Im Stadtschützenhaus in Halle (Saale) trat am 18. November 1946 der am 20. Oktober 1946 gewählte Landtag der Provinz Sachsen zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Der Tagungsort war ein Provisorium, da das für den Landtag vorgesehene Gebäude in der Merseburger Straße in Halle noch nicht bezugsfertig war. Die Saalestadt Halle war zur Provinz- und später zur Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts erhoben worden.
Die „Provinz Sachsen“ unterschied sich wesentlich von der früheren preußischen Provinz Sachsen, wie sie bis 1944 bestanden hatte. Die sowjetische Besatzungsmacht, zu deren Besatzungszone das Territorium gehörte, hatte mit der Bildung der Provinz Sachsen faktisch den Plan zur Gründung eines mitteldeutschen Landes Sachsen-Anhalt, den Landeshauptmann Erhard Hübener bereits im Jahr 1929 formuliert hatte, realisiert. Danach war der Regierungsbezirk Erfurt bei Thüringen geblieben, während alle in Sachsen-Anhalt gelegenen Exklaven anderer deutscher Länder in die neue Gliederung einbezogen wurden. Das Land Anhalt war Bestandteil der Provinz Sachsen, ohne dass zunächst sein Name in der Bezeichnung des neuen Verbunds auftrat.
Freie Wahlen zum Landtag
Die Landtagswahl war mit erheblichen Begünstigungen der SED gegenüber den Parteien CDU und LDP verlaufen, hatte aber insgesamt wesentliche Züge einer demokratischen Wahl. Trotz aller Wahlbeeinflussung und Begünstigung der SED durch die Besatzungsmacht hatte alle wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger an jedem Ort der Provinz Sachsen die Möglichkeit, frei und geheim zu wählen. Dies hatte zur Folge, dass die SED statt des erwarteten klaren Siegs, gemessen an ihrem Anspruch, eine Wahlniederlage erlitt und LDP und CDU zusammen eine Mehrheit im Landtag erreichten. Die Landtagswahl hatte folgende Ergebnisse:
- SED: 45,8 Prozent, 51 Mandate
- LDP: 29,9 Prozent, 32 Mandate
- CDU: 21,8 Prozent, 24 Mandate
- VdgB: 2,5 Prozent, 2 Mandate
Damit hatte die SED wie in der Provinz Brandenburg auch mit den Mandaten der von ihr gesteuerten Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) keine Mehrheit. Nach dem Wahlergebnis hätte der LDP noch ein weiteres Mandat zugestanden, das sie aber nicht erhielt, weil sie zu wenig Kandidaten auf die Landesliste gesetzt hatte. Der Landtag hatte daher statt 110 nur 109 Mitglieder.
Große Hoffnungen auf Abgeordnete
Das Wahlergebnis und die Zusammensetzung des Landtags hatten zunächst Hoffnungen auf eine demokratische und föderale Entwicklung der Verhältnisse in Sachsen-Anhalt geweckt. Bekannte demokratische Politiker der Weimarer Republik waren als Abgeordnete in den Landtag gewählt worden. Dazu zählten vor allem Carl Delius, Fritz Hesse (beide LDP), Erich Fascher und Leo Herwegen (beide CDU). Aber auch innerhalb der SED-Fraktion waren bekannte frühere Sozialdemokraten vertreten. Es handelte sich unter anderem um Ernst Thape und Fritz Jungmann.
Auch in der Provinzialregierung, die in der zweiten Sitzung des Landtages gewählt wurde, und in anderen hohen Verwaltungsämtern wie den Bezirksverwaltungen waren bekannte und vertraute demokratische Persönlichkeiten vertreten. Dazu gehörten neben dem Ministerpräsidenten Erhard Hübener vor allem Heinrich Deist (SPD/SED), Siegfried Berger, (DDP/LDP) und Otto Baer (SPD/SED). Das Wahlergebnis wirkte sich nicht auf die Regierungsbildung aus, da von vornherein eine Allparteienregierung vorgesehen war.
Dennoch gab es in Sachsen-Anhalt eine wesentliche Besonderheit unter den Ländern der sowjetischen Besatzungszone (SBZ), weil mit Erhard Hübener ein Ministerpräsident gewählt wurde, der nicht der SED angehörte und ein bekannter demokratischer Politiker der Weimarer Republik gewesen war. Hübener war nach 1945 Mitglied der LDP und vor 1933 der DDP bzw. der Staatspartei.
Parlament auf demokratischem Wege
Mit der ersten Sitzung des Landtags am 18. November 1946 im Stadtschützenhaus von Halle war erstmals ein auf vorwiegend demokratischem Wege zustande gekommenes Parlament des ins Leben tretenden deutschen Landes Sachsen-Anhalt konstituiert worden. In einer eindrucksvollen Veranstaltung bekannte sich der Landtag in einer Erklärung zur deutschen Einheit und zu einem föderalen Deutschland.
Am 3. Dezember 1946 wurde in der zweiten Sitzung des Landtags die Regierung mit Erhard Hübener als Ministerpräsidenten gewählt. Der Landtag beschloss, die Provinz Sachsen-Anhalt zu nennen, nachdem noch die Namensvorschläge Mitteldeutschland, Mittelsachsen und auch Mittelelbe in der Diskussion eine Rolle gespielt hatten. Mit der Entscheidung für „Sachsen-Anhalt“ war der Name Anhalt in die Bezeichnung der Provinz bzw. des Landes aufgenommen worden.
Aus der Provinz wird das Land
Die Bezeichnung Provinz wurde im Jahr 1947 nach Auflösung des faktisch nicht mehr bestehenden Landes Preußen durch die Alliierten in Land Sachsen-Anhalt umgewandelt. Allerdings war mit der Änderung der Bezeichnung keinerlei Veränderung des Status oder der staatsrechtlichen Stellung verbunden. Sachsen-Anhalt kann von Beginn seiner Existenz als Provinz Sachsen an deshalb als deutsches Land angesehen werden. Es muss dabei jedoch berücksichtigt werden, dass Sachsen-Anhalt wie die anderen Länder der SBZ unter den spezifischen Bedingungen der sowjetischen Besatzung existierte.
Am 10. Januar 1947 hatte der Landtag eine Landesverfassung verabschiedet, die eindeutig demokratische Züge trug. Der Verfassung lagen Entwürfe der SED und der CDU zugrunde. Der verabschiedete Text wurde von allen Parteien gebilligt. Die Verfassung wurde aber nicht zur Grundlage für eine demokratische Entwicklung, denn mit der massiven Hilfe der Besatzungsmacht, die ja die Regierungsgewalt innehatte, wurden die demokratischen Bestimmungen ausgehöhlt, wurden Demokraten verfolgt und eingeschüchtert.
Editorische Notiz:
Dieser Text von Prof. Dr. Mathias Tullner erschien erstmals im Jahr 2004 in der Parlamentarischen Schriftenreihe (Heft 26): „Landtagsgebäude und Landtage in Sachsen-Anhalt von 1825 bis 2004“.