Dr. Eva Umlauf hat als eines der jüngsten Opfer die Deportation und Aufnahme ins Konzentrationslager Auschwitz überlebt. Erst in hohem Alter stellte sie sich ihrer eigenen Geschichte und trug Fakten und Erinnerungen in einem Buch zusammen. Im Rahmen des Holocaustgedenktags im Jahr 2022 erzählte sie dem Landtag von Sachsen-Anhalt in einem Videointerview ihre Geschichte und äußerte sich über die Zukunft der Erinnerungskultur und den Umgang mit Antisemitismus. So schlägt sie eine Brücke von den Erinnerungen aus der Vergangenheit hin zu Perspektiven für Gegenwart und Zukunft.
Ein Herzinfarkt im Februar 2014 ließ Eva Umlauf innehalten: Ihre Lebenszeit zeigte auf einmal deutlich ihre Endlichkeit auf. Dabei wusste sie, dass sie noch ein großes Projekt zu bewältigen hatte, die Aufarbeitung der Geschichte ihrer Familie.
Viele Erinnerungen drängten aus dem Unterbewusstsein nach außen, die Ereignisse hinter diesen Erinnerungen (viele davon auch keine eigenen, sondern tradierte) hatten das Leben der ganzen Familie geprägt. Denn Eva Umlauf trägt auf dem Arm eine tätowierte Nummer, wie es auch ihre Mutter und ihr Vater getan hatten. Denn die kleine Familie aus der Slowakei war Anfang November 1944 ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert worden.
Nach dem Herzinfarkt 2014 begann Eva Umlauf nachzuforschen, spricht mit noch lebenden Zeitzeugen, wertet externe Quellen aus, um ihrer eigenen Geschichte nachzuspüren. Einmal mehr wird deutlich: In der Familie bzw. mit der Mutter hat man „nicht darüber geredet“, gemeint ist die Zeit in den Lagern und das Leben „nach Auschwitz“.
So kehrt sie auf Buchseiten zurück in die eigene Vergangenheit: in die Slowakei, die sich 1939 von der Tschechoslowakei abspaltete und ein Vasallenstaat von Nazideutschland wurde. In Sachen Antisemitismus stand die Slowakei dem Bündnispartner in nichts nach.
1941 beispielsweise trat ein „Judenkodex“ in Kraft (eine Art „Nürnberger Gesetze“), mehrere Zehntausend Juden wurden in slowakische Arbeitslager gezwungen und in die Konzentrations- und Vernichtungslager der Deutschen (Majdanek, Auschwitz) deportiert und ermordet.
Geboren im Arbeitslager Nováky
Und in einem dieser Arbeitslager für Juden, das im slowakischen Nováky, begann am 19. Dezember 1942 das Leben von Eva Umlauf in Nováky. Obwohl das Leben hinter Stacheldraht verläuft, bedeutet es für zwei Jahre eine Art „ziviles Leben hinter Stacheldraht“; die Eltern wohnen und arbeiten im Lager, es gibt auch Fotos aus dieser Zeit
1944 herrscht in Nováky Chaos: das Lager wird aufgelöst, viele Insassen schließen sich den Partisanen an, Evas Eltern bleiben – wohin auch mit einem Kleinkind, zudem ist Evas Mutter wieder schwanger. So werden sie in der Nacht schließlich doch noch deportiert: Endstation Auschwitz am 2. November 1944, Eva als eins von 86 Kindern auf diesem Transport. Die Deutschen haben unterdessen die fabrikhafte Vergasung und die vorherige Selektion von Menschen in Auschwitz eingestellt. Nur diesem Umstand ist es zu verdanken, dass Mutter und Tochter gemeinsam in Birkenau interniert werden. Eva bekommt die Häftlingsnummer direkt nach der der Mutter tätowiert. Später würde diese Nummer auch als Zeichen der Zusammengehörigkeit gelten, in vielen Fällen auch als Mittel der Identifikation von Kindern ermordeter Eltern.
Mit dem Vorrücken der Roten Armee aus dem Osten, drängen die deutschen Sicherheitskräfte auf Rückzug, viele Tausend Insassen werden auf die sogenannten Todesmärsche Richtung Westen geschickt. Unter ihnen ist auch Evas Vater, der im KZ Melk stirbt und nicht – wie sie bis zu ihren Recherchen gedacht hatte – bereits in Auschwitz erschossen worden war. Das erliest sie erst in Yad Vashem, der bedeutenden Holocaustgedenkstätte in Jerusalem.
Das Leben „nach Auschwitz“
Am 27. Januar 1945 befreit die Rote Armee den KZ-Komplex Auschwitz-Birkenau. Eva und ihre Mutter sind frei – zumindest rein formal betrachtet. Denn wohin soll die werdende Mutter mit dem Kleinkind gehen? Evas Schwester Nora wird in Auschwitz geboren, und erst im Juni 1945 verlässt die Mutter mit den beiden Kindern Auschwitz in Richtung Slowakei. Hier baut sie für sich und die Kinder ein neues Leben auf.
Doch auch in der wiederhergestellten Tschechoslowakei (ČSR) gibt es weiterhin Antisemitismus, auch regelrechte Pogrome. Dennoch lebt die Familie recht unbehelligt, wenn auch unter Stillschweigen über ihre jüdische Identität. Eva ist eine gute Schülerin, später studiert sie in Bratislava Medizin, promoviert. 1966 lernt sie während eines Jugoslawienurlaubs ihren späteren Ehemann Jakob kennen, der aus München kommt, ebenfalls die Shoa überlebt hat, nun als Architekt arbeitet und in der Münchener jüdischen Gemeinde aktiv ist. Im Juni 1966 beendet Eva Umlauf ihr Studium, im Folgemonat heiratet sie Jakob, ein halbes Jahr später reist sie nach München aus.
Trotz mehrerer erneuter Schicksalsschläge und Herausforderungen behauptet sich Eva Umlauf in ihrem neuen Leben in Deutschland. Sie arbeitet erfolgreich als Kinderärztin, wird Mutter dreier Söhne, absolviert eine zweite Facharztausbildung (psychotherapeutische Medizin) und ist noch heute als Therapeutin beruflich tätig. 2011 wurde sie als Überlebende für eine Gedenkrede nach Auschwitz eingeladen. Als „Zeitenzeugin“ erzählt sie gemeinsam mit Autorin Stefanie Oswalt ihre Geschichte in ihrem 2016 erschienenen Buch „Die Nummer auf deinem Unterarm ist blau wie deine Augen“. Mit ihm will sie die Menschen vor dem Vergessen retten und die Geschichte der Familie aufzeigen, es war zudem ihr Weg, ihre „Gefühlserbschaft“ zu bewältigen.