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Plenarsitzung

Aufarbeitung in Gegenwart und Zukunft

Die Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Birgit Neumann-Becker, hat dem Präsidenten des Landtags von Sachsen-Anhalt, Dr. Gunnar Schellenberger, am Dienstag, 21. März 2023, ihren Tätigkeitsbericht 2022/2023 übergeben. Auf 170 Seiten informiert sie über die Arbeit ihrer Behörde in den Bereichen Opferberatung, Aufarbeitung und Forschung, Erinnerungsarbeit und Bildung.

Der Landtagspräsident wies auf die Wichtigkeit der Aufarbeitungsarbeit hin und sagte zu, sich für die weitere Ausgestaltung der Forschung und Entschädigung starkzumachen. Letzteres betreffe zum Beispiel den Härtefallfonds, den das Land per Landtagsbeschluss im Jahr 2022 eingerichtet habe und dessen Höhe von 50 000 Euro eventuell stärker den tatsächlichen Bedürfnissen angepasst werden müsse. Für das vergangene Jahr seien die Mittel erschöpft, bestätigte dann auch die Landesbeauftragte, dabei habe man noch gar nicht so viele Betroffene und Hilfeberechtigte erreicht.

Foto von Landtagspräsident Dr. Gunnar Schellenberger, der den Tätigkeitsbericht 2022/2023 der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Birgit Neumann-Becker entgegennimmt..

Landtagspräsident Dr. Gunnar Schellenberger nahm den Tätigkeitsbericht 2022/2023 der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Birgit Neumann-Becker entgegen.

Härtefallfonds findet positive Resonanz

Durch den Härtefallfonds für Opfer des SED-Unrechts konnte, so Neumann-Becker, in 2022 13 Betroffenen in finanziellen Notlagen konkret geholfen werden. Denn gerade SED-Opfer befänden sich häufig in wirtschaftlich prekärer Lage, weil sie etwa durch die Verfolgung gesundheitlich geschädigt oder traumatisiert wurden oder weil das SED-Regime ihnen den angestrebten Berufsweg versagt habe. In Zeiten von hoher Inflation und dramatisch steigenden Energiepreisen verschärfe sich deren finanzielle Notlage weiter. Konkrete Unterstützung wurde bei (nicht von den Gesetzlichen Krankenkassen finanzierten aber notwendigen) Therapien und Mobilitätshilfen gewährt.

Neue Rehabilitierungsmöglichkeiten

„Die Novellierung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze hat 2019 neue Rehabilitierungs-möglichkeiten für politisch Verfolgte eröffnet, die für Beratungen zu Rehabilitierungen genutzt wurden“, erklärte Neumann-Becker. Die Zahl der persönlichen und telefonischen Beratungen der Landesbeauftragten seien 2022 auf rund 3 100 gestiegen – ein deutlicher Zuwachs im Verhältnis zum Vorjahr, aber noch nicht auf Vor-Corona-Niveau.

Die Anerkennung gesundheitlicher Folgeschäden für Betroffene von SED-Unrecht bleibe weiterhin schwierig, befindet die Landesbeauftragte. Obwohl bereits im Jahr 2019 vom Deutschen Bundestag ein Prüfauftrag an die Bundesregierung ergangen war, sei hier noch keine Verbesserung eingetreten. Sie unterstütze deshalb den Vorschlag der SED-Opferbeauftragten beim Deutschen Bundestag zur Einführung einer Vermutungsregelung, die eine erhebliche Erleichterung der Verfahren bedeuten würde. Eine enge Zusammenarbeit besteht weiterhin mit dem Stasi-Unterlagen-Archiv. Die Zahl der Akteneinsichtsanträge war 2021 stark gesunken und hat sich 2022 mit 2 711 Anträgen in diesem Bereich stabilisiert.

Forschungsprojekte angeschoben

Darüber hinaus hat die Landesbeauftragte auch 2022 zahlreiche Forschungsprojekte initiiert und gefördert, dazu gehört eine Arbeit zu den medizinischen, sozialen und pädagogischen Bedingungen in den Jugendhäusern Halle und Dessau sowie eine Biografie zu Herbert Priew (studentischer Widerstand am 17.Juni 1953 in Halle). Eine zentrale Aufgabe der Landesbeauftragten bleibe es, die Erinnerung an das SED-Unrecht und zivilgesellschaftliches Engagement in diesem Bereich zu fördern. Die Landesbeauftragte unterstützt, fördert und kooperiert deshalb auf vielfältige Weise mit Opferverbänden, Initiativen und auf diesem Gebiet tätigen Vereinen, etwa bei Informations- oder Gedenkveranstaltungen.

Projekte und Aktionstage im vergangenen Jahr

Bemerkenswert ist auch die digitale Karte „Orte der Repression in Sachsen-Anhalt von 1945 bis 1990“. Hierbei handelt es sich um ein Projekt von Mitarbeitenden im Freiwilligen Sozialen Jahr. Die Karte enthält nun 540 Datensätze und wurde um bereits errichtete Erinnerungsorte ergänzt. Die technische Umsetzung erfolgt weiter zuverlässig in Kooperation mit dem Landesamt für Vermessung und Geoinformation Sachsen-Anhalt.

Auch im vergangenen Jahr hat die Landesbeauftragte wieder Schulprojekte zu Menschenrechtsfragen in der DDR und zum „Archipel Gulag in der sowjetischen Literatur“ durchgeführt, bei denen circa 835 Teilnehmende erreicht wurden.

Am 29. und 30. April 2022 führte die Landesbeauftragte in Kooperation mit der Union der Opferverbände der Kommunistischen Gewaltherrschaft in Magdeburg die Hybrid-Tagung „Geraubte Heimat! Aktion Ungeziefer – 70 Jahre Zwangsaussiedlungen an der innerdeutschen Grenze“ durch. Neumann-Becker erwartet in diesem Bereich eine bessere Anerkennung der Folgen der Zwangsaussiedlung. Das zweitägige Halle-Forum, an dem circa 80 Personen teilnahmen (weitgehend ehemalige politische Häftlinge), stand unter dem Thema „Zwischen KSZE-Prozess und verschärfter Verfolgung. Die Bürgerrechtsbewegung im SED-Staat der 1970er-und 1980er-Jahre“ und beschäftigte sich mit den Widersprüchen sozialistischer Innen- und Außenpolitik.

Ausblick in die Zukunft

Auch in Zukunft werde sich die Landesbeauftragte besonders für die Anerkennung und Wertschätzung der Opfer von SED-Unrecht einsetzen und für weitere Verbesserungen bei den Rehabilitierungs- und Unterstützungsmöglichkeiten für die Opfer werben, erklärte Birgit Neumann-Becker. Dabei sei die besondere soziale und gesundheitliche Not der Betroffenen zu berücksichtigen, in die sie unverschuldet als Folge politischen Machtmissbrauchs geraten seien.

„Der Einsatz für die Opfer der SED-Diktatur und die Aufarbeitung ist in die Gegenwart und Zukunft gerichtet“, ist Neumann-Beckers Fazit. „Auch an dem Krieg in der Ukraine und an der Geschichtsumschreibung in Russland ist der hohe Wert von Demokratie und Freiheitsrechten zu erkennen. Dazu werden wir gemeinsam mit unseren Partnern auch in den nächsten Monaten Beiträge leisten Dazu gehört neben Fortbildungen für Lehrkräfte in Sachsen-Anhalt auch ein Modul für die Ausbildung von Rechtsreferendaren. Im Zusammenhang mit aktuellen Debatten wird deutlich, wie wichtig eine umfassende Geschichtsbildung für politische Entscheidungen und Einschätzungen ist. Dafür erwarte ich vom Zukunftszentrum in Halle zeitnah wichtige Impulse.“