Vor einem Jahrhundert kaum vorstellbar: Bürgermeisterinnen, Landrätinnen, Ministerinnen, Ministerpräsidentinnen, Kanzlerinnen … inzwischen Realität. Dass Frauen sich aktiv in gesellschaftliche Prozesse einmischen, ist heute selbstverständlich und verfassungsmäßig garantiert. Der Weg dahin war steinig, national wie international. Ungeachtet ihres Engagements blieben Frauen nach der Revolution 1848/49 von allen Bürgerrechten ausgeschlossen. Rigide Gesetze verhinderten, dass Frauen sich organisierten. Erst in den 1860er Jahren begann sich eine Frauenbewegung zu formieren.
Forderungen schon in 1870er Jahren
Wie Louise Otto-Peters und andere forderte Hedwig Dohm frühzeitig politische Mitsprache für Frauen, da „nur über das Stimmrecht (…) der Weg zur Selbständigkeit und Ebenbürtigkeit, zur Freiheit und zum Glück der Frau“ gehe. „Ohne politische Rechte seid ihr machtlos“, schrieb sie 1876. Frauenstimmrecht gehörte seit 1891 zu den programmatischen Forderungen der SPD. Mit dem neuen Reichsvereinsgesetz 1908 wurden Frauen nicht mehr wie Minderjährige oder Lehrlinge behandelt und das Politikverbot für Frauen aufgehoben. Die Debatten um das Frauenstimmrecht zur Jahrhundertwende spiegelten bestehende politische Differenzen unter den Frauen wider und waren zugleich Teil parteipolitischer Diskurse zur Wahlrechtsfrage.
Die Wahlrechtsfrage – das hieß in Deutschland die endgültige Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts für Männer – erwies sich im Herbst 1918 als politische Prinzipien- und Machtfrage, aber auch als Prüfstein demokratischer Gesinnung und Politik. Die Verkündung des neuen, auch Frauen einschließenden Wahlrechts am 12. November 1918 durch den Rat der Volksbeauftragten öffnete Frauen den Zugang in eine bisher männliche Domäne.
Bereits zwei Tage zuvor übernahm in Braunschweig die aus Egeln stammende Minna Faßhauer (1875–1949, USPD) das Amt der Volkskommissarin für Volksbildung. Die erste Ministerin in Deutschland schaffte in ihrer nur bis Februar 1919 dauernden Amtszeit die kirchliche Schulaufsicht ab, setzte die Religionsmündigkeit auf 14 Jahre herab, schuf die gesetzlichen Grundlagen für eine weltliche Einheitsschule und trat für die Einrichtung von Volkskindergärten und Volksschulen ein.
Neues Reichswahlgesetz tritt in Kraft
Mit der Veröffentlichung des neuen Reichswahlgesetzes am 30. November 1918 begannen reichsweit Wahlvorbereitungen. Neben Kommunalwahlen konnten die Wahlberechtigten unserer Region in den Folgejahren über Mandate für den Reichstag und drei Landtage entscheiden. Von diesen vier überregionalen Parlamenten hatten neben dem Reichstag nur die Landtage in Anhalt und Preußen gesetzgebende Kompetenz. Das unterscheidet sie vom Landtag der Preußischen Provinz Sachsen (Provinziallandtag Sachsen, Ständehaus Merseburg). In diesen vier Parlamenten nahmen zwischen 1918 und 1933 insgesamt 29 Frauen Mandate für die Region Sachsen- Anhalt wahr.
Doch zurück in den Herbst 1918. In Anhalt verzichtete nach Bekanntwerden des Kieler Matrosenaufstands das Herzogliche Haus auf den Thron und ebnete den Weg für die Bildung eines sozialdemokratisch geführten Staatsrates, der bereits am 16. November 1918 das neue demokratische Wahlrecht verkündete und den 15. Dezember 1918 als Wahltag für die konstituierende Landesversammlung festlegte.
Unter den 75 Kandidaten zu diesen Wahlen warben mit Maria Wirth, Agnes Müller, Hildegard Ahrendt (alle Dessau), Minna Fiedler, Minna Agnes Körner (beide Zerbst) und Marie Kettmann (Roßlau) sechs Frauen, wenn auch erfolglos, um die Stimmen der Wahlberechtigten. Erst im Dezember 1919 rückte die Sozialdemokratin Marie Kettmann in das Parlament mit Sitz im Behördenhaus Dessau nach.
Eine Frau und 35 Herren
Die Anwesenheit einer Frau neben 35 Herren würdigte der Landtagspräsident Heinrich Peus in seiner Begrüßung im Plenum mit dem deutlichen Hinweis, dass auch weibliche Interessen Berücksichtigung verdienen. Verhaftet in gängigem Rollenverständnis gestand auch er Frauen nur eine eingeschränkte Politikfähigkeit zu und leitete, ausgehend von tradierter Arbeitsteilung, politische Wirkungsfelder für Frauen ab. Ein Blick in die Landtagsprotokolle verrät, dass sich die entsprechende Ansprache nur zögerlich durchsetzte und der Anschein entstehen konnte, dass die „Herren Abgeordneten“ unter sich waren.
Auch im Parlament ihrer Heimatstadt Roßlau war Marie Kettmann die erste weibliche Abgeordnete und wirkte hier bis 1927. Anders als ihre im Januar 1919 für die Wahlen zur Nationalversammlung erfolgreich kandidierenden Kolleginnen Minna Bollmann (Halberstadt, SPD) und Anna Hübler (Schkeuditz, USPD) gab die Ehefrau eines Elbschiffers und Mutter einer Tochter an, dass sie Hausfrau sei. Marie Kettmann blieben nur wenige Monate bis zum Ende der Legislatur.
Engagement in der Hebammenhilfe
Als Berichterstatterin des Petitionsausschusses nahm sie zur freien Hebammenwahl aufgrund der Eingabe des Gemeindevorstandes Klepzig (bei Köthen) Stellung. Nach geltenden Bestimmungen musste eine Grundgebühr für die Geburtshilfe an die öffentliche Kasse gezahlt werden, unabhängig davon ob eine öffentlich angestellte oder eine freie Hebamme gerufen wurde. Das heißt, Frauen, die sich für eine freie Hebamme entschieden haben, zahlten doppelt: die Mindesttaxe der Gebührenordnung an die zuständige Bezirkshebamme und die Kosten für die Geburtshilfe. Dagegen wandte sich der Gemeindevorstand mit seiner Eingabe. Beide – Ausschuss und Landtag – sahen keinen Handlungsbedarf, da eine freie Hebammenwahl gewährleistet sei.
Die Abgeordnete Kettmann hatte die Wahl, entweder für eine wirkliche freie Hebammenwahl ohne finanzielle Sanktionen im Sinne „doppelter“ Gebühren einzutreten und zugleich die Schmälerung des Einkommens der Bezirkshebamme billigend in Kauf zu nehmen oder den Schein einer freien Hebammenwahl über erhöhte Gebührenpflicht durch die Gebärende zu vermitteln. Die getroffene Entscheidung erübrigte ein Nachdenken über die Finanzierung der Bezirkshebammenstellen, eingeschlossen die zusätzliche Bereitstellung öffentlicher Mittel. Zugleich entstand der Eindruck, dass ein weiblicher Erwerbszweig – zumindest für den Teil der staatlich angestellten Hebammen – gesichert wurde.
Eine Frau als Nachrückerin
Nach Inkrafttreten der Weimarer Verfassung und der damit verbundenen Bestätigung der Eigenstaatlichkeit des Freistaats Anhalt, erhielt auch die im Juli 1919 verabschiedete neue Landesverfassung in Anhalt 1920 Gültigkeit. Im Ergebnis der folgenden Landtagswahlen am 6. Juni 1920 blieb das Parlament ausschließlich Männern vorbehalten.
Erst 1924 gelang mit der Bernburgerin Emilie Henze, Antonie Buchheim aus Köthen und Frieda Fiedler aus Bernburg erneut Frauen der Einzug in den Landtag des Freistaats. In diesem Jahr wurden die Wahlberechtigten gleich zweimal um ihr Votum gebeten. Im Juni betraten Emilie Henze (KPD) und Antonie Buchheim (DVP) parlamentarischen Boden. Henze hatte bereits 1920 auf Listenplatz 27 für die USPD kandidiert. Antonie Buchheim zog infolge des Mandatsverzichts eines männlichen Konkurrenten in das Parlament ein. Neuland betretend und sich als erste eigene Vertreterin der Hausfrauen und Mütter verstehend, ermutigte sie die Frauen in Anhalt, politisch zu wirken. Demnach sah Antonie Buchheim in der Kinder- und Jugendfürsorge, im Armenwesen und im Bildungsbereich ihre parlamentarischen Wirkungsfelder.
Frieda Fiedler kommt in den Landtag
Im Unterschied zu beiden Frauen war die Sozialdemokratin Frieda Fiedler, Kommunalpolitikerin und Mitbegründerin der AWO Bernburg, bei den Wahlen im November 1924 erfolgreich. Als einzige Frau gehörte sie dem Landtag Anhalt über zwei Wahlperioden an. Die Sozialpolitikerin setzte sich erfolgreich für den Ausbau der Schwangeren- und Säuglings- sowie der Tuberkulosefürsorge, für die Einrichtung von Kinder- und Jugendheimen, für Kinderferienspiele, Schulspeisung, hygienische Wohnverhältnisse und für die Sicherung des Existenzminimums für Frauen und Männer und deren Familien ein.
Frieda Fiedler beteiligte sich aktiv an den reichsweiten Debatten um die Abschaffung der §§ 218/219 Strafgesetzbuch und agierte, ihre Gestaltungsspielräume nutzend, ganz bewusst frauenpolitisch im Landtag. Dabei ging es ihr ebenso um eine Verbesserung der Situation wie um die Anerkennung der Leistungen von Frauen. Mit ihrem Wechsel im Januar 1932 als Nachrückerin in den Reichstag blieb der Landtag des Freistaats Anhalt ohne weibliche Stimme. Die Mandatsträgerinnen im Landtag Anhalt in der Zeit von 1918 bis 1933 waren sowohl in ihren Fraktionen als auch im Parlament die einzigen Frauen und mussten die damit verbundene „Isolation“ überwinden.
Ein plötzliches Ende des politischen Engagements
Die Einengung des Wahlrechts für Frauen 1933 wie auch die Abtretung der Entscheidungsbefugnisse der Parlamente signalisierten ebenso wie die unter Berufung auf das Gesetz über die Gleichschaltung der Länder mit dem Reich (31. März 1933) vorgenommenen Korrekturen der Ergebnisse der Märzwahlen die Beendigung einer gerade entstandenen demokratischen Tradition.
Dr. Elke Stolze, die Autorin des Artikels, veröffentlichte zum Thema Frauenwahlrecht dasBuch „Die weiblichen ‚Herren Abgeordneten‘. Politikerinnen der Region Sachsen-Anhalt 1918–1945“.