Da fast 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Möglichkeit, von Angesicht zu Angesicht mit Zeitzeugen sprechen zu können, schwindet, wird die Erinnerungskultur in den kommenden Jahren neue Wege beschreiten müssen. Doch wie reagieren die kommenden Generationen auf ein kollektives Gedächtnis, das zwar mit Schrift, Ton und Bild, nicht aber mit lebendigen Menschen in Verbindung gebracht werden kann? Was, wenn Auschwitz, Bergen-Belsen und Treblinka nur mehr Ortsnamen sind, die heute völlig Unbeteiligte mit den Schicksalen von Millionen füllen müssen, um an die Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu erinnern und ein Bewusstsein für die unglaubliche Fehlbarkeit von Menschen aufrechtzuerhalten?
Schwinden die Zeitzeugen, ist eine Erhaltung authentischer Orte umso wichtiger, betont die Kulturanthropologin Aleida Assmann. Seit den 1990er Jahren sei in der ganzen Bundesrepublik eine verstärkte Beschäftigung mit den Opfergeschichten zu erkennen. Bürgerinitiativen, Förder- und Trägervereine setzten sich mit den Opfern aus dem eigenen Umkreis auseinander und holten deren Namen durch Benennung von Schulen, Stiftungen, Straßen und Häusern ins öffentliche Bewusstsein zurück. „Gedächtnisorte verhindern Vergessen“, erklärt Aleida Assmann. „Wenn man sich nicht um diese Orte kümmert, geht das Leben über sie hinweg und verwischt die Spuren.“ Für sie sind authentische Gedächtnisorte „begehbare Geschichtsbücher“ und gleichzeitig wichtige Kontaktzonen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die stummen Zeugen würden durch die Markierung von Schauplätzen und den Erhalt originaler Fundstücke zum Sprechen gebracht.
Die Bundeszentrale für politische Bildung hält eine umfangreiche Artikelsammlung zum Thema Erinnerungskultur vor.
Kulturanthropologin Aleida Assmann im Gespräch.
Aleida Assmann über das "Soziale und Kollektive Gedächtnis" (Quelle: bpb.de)