Mit herzlichen Grüßen vom ersten Landtagspräsidenten nach der Wiedervereinigung, Dr. Klaus Keitel, wandte sich die amtierende Landtagspräsidentin von Sachsen-Anhalt, Gabriele Brakebusch, an die Gäste der Feierlichkeiten zum 25. Geburtstag der Landesverfassung. Sie war am 15. Juli 1992 beschlossen und einen Tag später im Magdeburger Kloster Unser Lieben Frauen von Keitel und dem damaligen Ministerpräsidenten Dr. Werner Münch unterzeichnet worden, was den Weg für das Inkrafttreten freigemachte.
25 Jahre später hatten sich Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Gesellschaft im Magdeburger Plenarsaal versammelt, um dieses besondere Jubiläum zu feiern. Der frühere Ministerpräsident und „Landesvater“ Prof. Wolfgang Böhmer hielt die Festrede.
Aus vielen Entwürfen eine Verfassung geschaffen
„Die Verfassung ist nicht von der Friedlichen Revolution 1989 und der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 zu trennen“, erklärte Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch. Sie erinnerte an die damit verknüpften Leistungen des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl (gest. 2017). Ihm gedachte man mit einer Schweigeminute.
Dem Landtag von Sachsen-Anhalt kam es durch einen Beschluss der letzten DDR-Volkskammer zu, eine Landesverfassung auszuarbeiten. Brakebusch verwies auf das Engagement der Runden Tische, die an verschiedenen Entwürfen von Verfassungen gearbeitet hätten. Nach zähen Verhandlungen über diverse Entwürfe im Verfassungsausschuss des Landtags wurde die noch heute gültige Verfassung mit Zweidrittelmehrheit vom Plenum verabschiedet.
Die Verfassung, in den zurückliegenden Jahren nur minimal verändert (zum Beispiel Aufnahme von Kinderrechten), habe nichts von ihrer Gültigkeit und Aktualität eingebüßt, resümierte Brakebusch. Sie sei – auch eingedenk der Übernahme wichtiger Teile des Grundgesetzes – eine großartige Basis für das Miteinander in Sachsen-Anhalt.
Festrede vom Prof. Wolfgang Böhmer
Die Expertisen von Verfassungsjuristen und mehrere Tausend Hinweise aus der Bevölkerung flossen in die Ausgestaltung der Landesverfassung im Jahr 1992 ein, erinnerte Prof. Wolfgang Böhmer, unter anderem Ministerpräsident des Landes von 2002 bis 2011. Es sei ein Geschenk, zu diesem Anlass noch einmal im Landtag sprechen zu dürfen, sagte ein gerührter Ministerpräsident a. D.
Man habe die Freiheitsimpulse der Friedlichen Revolution aufnehmen und in die Landesverfassung zu verankern versucht. Die Verfassung sei eine Art Neuanfang gewesen, gleichwohl keine Stunde Null. Man sei von der Sehnsucht nach Demokratie und Freiheit getrieben gewesen. Brauchen wir überhaupt eine eigene Verfassung?, habe man sich seinerzeit gefragt. Nicht einmal alle „alten Bundesländer“ hatten alle eine eigene Verfassung, erinnerte Böhmer. Die einzelnen Länder seien allerdings für die Erfüllung staatlicher Aufgaben verantwortlich, und so sei eine eigene Verfassung wünschenswert gewesen.
„Satz für Satz haben wir sie ausdiskutiert und vor dem Hintergrund des Grundgesetzes geschrieben“, sagte Böhmer rückblickend. Die Zusicherung der Meinungsfreiheit sei dabei von besonderer Wichtigkeit gewesen. Deswegen habe man diesen Passus vom Grundgesetz übernommen und sogar noch stärker definiert.
Das Recht auf Arbeit, einst Teil der DDR-Verfassung, – sollte es auch in die Landesverfassung einfließen? Ein schwieriges Unterfangen, so Böhmer, denn am Ende sollten nur Rechte, die auch einklagbar wären, in die Verfassung einfließen. Nicht alles konnte zweifelsfrei formuliert werden, räumte der frühere Landesvater Sachsen-Anhalts ein.
„Die Demokratie ist in Deutschland fest verwurzelt“, lobte Böhmer. Alle Menschen in Deutschland können sich auf das Grundgesetz berufen. Über den Schutz der Landesverfassung wache das Landesverfassungsgericht. 557 Eingänge seien dort bisher behandelt worden. 189 Fälle resultierten allein aus den Protesten rund um die Kreisgebietsreform. Verfassungsgesetzgebung sei oft von langer Dauer, durch die hohen Mehrheitsforderungen bei Entscheidungen seien Fraktionen in den Landtagen immer auch auf die Stimmen anderer Fraktionen angewiesen.
Freiheit bedeute auch, Grenzen zu überschreiten. Das Gerechtigkeitsgefühl werde aber nie für alle gleich sein, mutmaßte Böhmer: „Unser Ziel von damals war, das Land Sachsen-Anhalt zu einem lebendigen Glied der Bundesrepublik und zum Teil der Gemeinschaft friedliebender Völker zu machen. Dafür gibt es heute und auch in der Zukunft noch viel zu tun. Wir haben mit der Landesverfassung eine identitätsstiftende Grundordnung geschaffen, möge sie für noch viele Generationen eine Richtungshilfe sein.“
Jugendliche Stimmen zum Verfassungsgeburtstag
Unter dem Motto „Sind wir in guter Verfassung?“, das auch für die von Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch initiierten Bürgerdialoge als Diskussionsgrundlage Pate stand, äußerten sich in der Festveranstaltung auch vier Jugendliche aus Sachsen-Anhalt zu Wort. Sie vermittelten den Blick junger Menschen auf die politische und gesellschaftliche Situation im Land.
Zur Geburtsstunde der Landesverfassung lagen Wirtschaft und Umwelt am Boden, erinnerte Josy Barteld aus Staßfurt, die erst geboren wurde, als es die Verfassung bereits gab. In Sachsen-Anhalt sei es gelungen, sich für neue Wirtschaftssektoren zu öffnen und die Kraterlandschaften aus Kohleabbau und Chemiestandorten zu renaturieren. Die Verfassung ermögliche es, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsplatz frei zu wählen. „Wir Jugendlichen sind herausgefordert, dieses Angebot anzunehmen und zu nutzen.“
Die Landesverfassung beinhalte die Verpflichtung, Kunst, Kultur und Sport zu fördern, erklärte Moritz Gärtner aus Dessau-Roßlau. Essenzielle Bestandteile der Jugendkultur fänden allerdings keine gezielte Berücksichtigung. Viele Jugendeinrichtungen müssten aus Kostengründen geschlossen werden. Dies könne nicht der richtige Weg sein. Allen Generationen müssten vielfältige kulturelle Angebote unterbreitet werden – dies gelte nicht nur in Museen und Gedenkstätten, sondern auch auf den Bühnen des Landes. „Wir wollen nur mit dem Besten zufrieden sein und auch wissen, warum.“
Die Verfassung gebiete das Recht und die Pflicht der Eltern bei der Gestaltung des Schulwesens mitzuwirken. „Die meisten Eltern haben dies erkannt und setzen es um“, lobte Antonia Schubert aus Dessau-Roßlau. Das Wohl des eigenen Kindes müsse in die Waagschale geworfen werden. Man müsse dem Abschluss an der Realschule wieder mehr Gewicht zubilligen, empfahl die Jugendliche. Unternehmen sollten prüfen, ob nicht ein Realschüler mit sehr gutem Abschluss einem Abiturienten mit schlechtem Abitur vorzuziehen sei. Antonia Schubert lobte das Voranschreiten der Inklusion in den Schulen und die Förderprogramme für besonders begabte Schülerinnen und Schüler. Unterrichtsausfall und überalterte Lehrerzimmer sorgten allerdings für Frust in den Schulen.
Jeder sei dazu aufgerufen, sich an der Verfassung zu beteiligen, rief Jason Rothe aus Aschersleben auf. Statt immer nur gegen etwas zu sprechen, sollte man lieber für etwas eintreten. Statt nur zu meckern, müssten echte Alternativen geboten werden. Beteiligung finde beispielsweise schon mit der Auseinandersetzung mit der/dem Wahlkreisabgeordneten oder mit dem Hinwenden an den Petitionsausschuss des Landtags statt. „Wir haben durch die Verfassung täglich die Gelegenheit, uns politisch zu engagieren.“
„Politik ist immer Menschenwerk“, sagte Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch zum Abschluss des Festakts im Plenarsaal. Es gelte, stets im Sinne der Bürgerinnen und Bürger zu entscheiden.
Das Magdeburger Rossini-Quartett umrahmte die Festveranstaltung musikalisch. Die Musiker schlugen eine musikalische Brücke in die Vergangenheit: einerseits durch die Wahl von auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt wirkenden Komponisten (Telemann, Bach, Händel), andererseits durch die Wiederholung der Musikstücke aus den Feierlichkeiten zur Unterzeichnung der Landesverfassung am 16. Juli 1992.