Sachsen-Anhalt gehört seit Jahren zu den Vorreitern beim Thema erneuerbare Energien in Deutschland. So gebe es nach Auskunft von Energie- und Umweltminister Prof. Armin Willingmann (SPD) 2700 Wind- und mehr als 70.000 Solaranlagen zwischen Arendsee und Zeitz. Rund 62 Prozent des Stroms würden bereits aus erneuerbaren Energien erzeugt. Allerdings gibt es seit Jahren auch die Kritik, dass die Gemeinden und die Menschen vor Ort an diesem Erfolg nicht ausreichend wirtschaftlich beteiligt werden.
Daher hat die Landesregierung im April 2024 den Gesetzentwurf „zur Akzeptanzsteigerung und Beteiligung beim Ausbau der erneuerbaren Energien“ in den Landtag eingebracht. Nach der ersten Beratung im Plenum wurde er zur weiteren Beratung in den Ausschuss für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt überwiesen. In einem Fachgespräch hatten Experten dort am Mittwoch, 7. August 2024, die Möglichkeit Stellung zum Gesetzentwurf zu nehmen.
Gesetzentwurf erfreut viele Kommunen
Zu Beginn des Fachgesprächs betonte Prof. Dr. Armin Willingamnn, Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt, dass der vorliegende Gesetzentwurf dem Wunsch eines Großteils der Bevölkerung und der Kommunen entspreche. „Das Gesetz soll zielgenau, verständlich und unbürokratisch Regelungen enthalten, die beim weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien und der angemessen wirtschaftlichen Beteiligung von Kommunen eine Rolle spielen.“
Das sei ein Anliegen der gesamten Landesregierung. Für jede Gemeinde solle deutlich werden, welche finanziellen Einnahmen die Errichtung einer Photovoltaikanlage konkret bedeute. Willingmann zeigte sich sehr zufrieden mit dem Gesetzentwurf, nicht zu letzt, weil er kürzlich im Sächsischen Landtag verabschiedet worden sei und sich die Gesetzgeber dort stark am Gesetzentwurf aus Sachsen-Anhalt orientiert hätten.
Bernward Küper vom Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalt erklärte, grundsätzlich sei es „ein sehr guter Gesetzentwurf“, im Detail habe man jedoch noch Veränderungswünsche. Mit der Zweckbindung habe man grundsätzlich keinen Dissens, dennoch sollte die grundsätzliche Entscheidung bei den Gemeindevertretern vor Ort liegen. „Wir halten 50 Prozent Bindung für zu weit gehend“. Grundsätzlich begrüße er, dass die Verwendung der Mittel, den Kommunen freigegeben werde. Dies stelle sicher, dass sie die Einnahmen nicht nur für den Schuldenabbau nutzen dürften, und steigere sicher die Akzeptanz des Gesetzes.
Beim Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) habe man Windkraft- und Photovoltaikanlagen bei der Preisgestaltung gleichbehandelt, im Gesetzentwurf seien jetzt 6 Euro für Wind- und 3 Euro für Photovoltaikanlagen je Kilowattstunde angedacht, dies könne er nicht nachvollziehen und plädierte in beiden Fällen 6 Euro zu zahlen. Küper verwies außerdem darauf, dass er die angedachte Summe bei Ordnungswidrigkeiten (100.000 Euro) für zu gering halte. Mecklenburg-Vorpommern habe beispielsweise 1 Million Euro festgelegt.
Dirk Trappe von der Landesenergieagentur LENA konstatierte: „Kommunen und Anwohner müssen stärker vom Ausbau der erneuerbaren Energien profitieren.“ Zudem müsse den Bürgerinnen und Bürgern der vor Ort erzeugte Strom günstiger zur Verfügung gestellt werden. Der vorliegende Gesetzentwurf löse eine wichtige Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag ein und sollte zeitnah verabschiedet werden, damit er seine Wirkung bereits bei derzeit in Planung befindlichen Projekten entfalten könne.
Die LENA unterstütze insbesondere die Einführung von verpflichtenden Zahlungen an die Kommunen, sowie die Zweckbindung. Auf diese Weise werde sichergestellt, dass die finanziellen Mittel in den Gemeinden nicht zwingend zur Haushaltskonsolidierung genutzt werden müssten, sondern selbstdefinierte Maßnahmen in den Ortschaften umgesetzt werden könnten, unterstrich Trappe. Ein Problem habe er beim Punkt „Ordnungswidrigkeiten“. Hier empfehle er, eine Ausgleichsabgabe wie am Beispiel des Gesetzes aus Nordrhein-Westfalen einzuführen. Seine Agentur sehe grundsätzlich noch einen hohen Beratungsbedarf zum Thema erneuerbare Energien bei den Kommunen. Daher habe man unter anderem einen „Onlinewertschöpfungsrechner“ eingeführt.
Landkreise kritisieren fehlende Beteiligung
Das Ziel des Gesetzentwurfs werde generell unterstützt, insbesondere im ländlichen Raum müsse die Akzeptanz für erneuerbare Energien gestärkt werden, resümiert Christian Plath vom Landkreistag Sachsen-Anhalt. „Allerdings dürfen die Landkreise nicht Außen vorgelassen werden, sondern müssen beteiligungsberechtig werden.“ Der ländliche Raum in Sachsen-Anhalt sei geprägt von großen Flächengemeinden, wie zum Beispiel Gardelegen.
Wenn die Mittel nur in einzelnen Ortsteilen genutzt würden, sei dies kein Vorteil für die gesamte Bevölkerung, Investitionen in den ÖPNV beispielsweise für eine gesamte Region seien besser, argumentierte Plath. „Hilfsweise zu einer direkten Beteiligung [der Landkreise] muss zumindest gesichert werden, dass die Einnahmen der Gemeinden in die Berechnung der Kreisumlage einfließen.“ Natürlich müssten die Gelder vor Ort eingesetzt werden, aber ein Teil der Mittel sollte auch den Kreisen zukommen.
„Informationshoheit der Investoren“
Bei den Menschen gebe es ein großes Ungerechtigkeitsempfinden, dies müsse man aufgreifen, der Gesetzentwurf sei hier ein guter Schritt, betonte René Schernikau, Verbandsgemeindebürgermeister von Arneburg-Goldbeck. Allerdings müssten Details geändert werden. So werde es großen Unmut geben, wenn man tatsächlich festlege, dass 50 Prozent der Einnahmen direkt in die jeweilige Ortschaft fließen müssten.
Analog zum Städte- und Gemeindebund sagte Schernikau, dass die Stadt- und Gemeinderäte je nach Projekt und Investor vor Ort entscheiden sollten, wofür und an welcher Stelle die Einnahmen investiert würden. Außerdem plädierte er dafür, dass Gesetz auch auf die bereits bestehenden Windkraftanlagen anzuwenden, zumindest sollte es hier eine Minimalverpflichtung für die Investoren geben. Zweifellos sei es der richtige Ansatz, die gewonnenen finanziellen Mittel vom Finanzausgleichsgesetz freizustellen, zeigte sich der Verbandsgemeindebürgermeister überzeugt.
Einen großen Nachteil für die Kommunen sieht Schernikau in der „Informationshoheit der Investoren“, mit ihren Rechtsanwälten und Erfahrungen sein sie den Gemeinden überlegen. Theoretisch gebe es zwar viele Bürgerinvestitionsmöglichkeiten, am Ende scheitere es jedoch daran, dass keiner so genau wisse, wie es geht und auch nicht die personellen Ressourcen habe, um sich intensiv in die Materie einzuarbeiten. Hier wünschte er sich noch mehr praktische Unterstützung durch die LENA oder das Ministerium. Hilfreich seien zum Beispiel Informationen darüber, welche Pachtverträge schon abgeschlossen und welche Erträge dort durchschnittlich erzielt werden, auch Standard-Vertragsentwürfe könnten Kommunen Arbeit abnehmen.
Alternative Modelle berücksichtigen
Aus der Perspektive eines kommunalen Unternehmens, erklärte Eiko Fliege, Geschäftsführer der Stadtwerke Quedlinburg, dass Stadtwerke völlig fehlten in dem Gesetzentwurf. Dies habe ihn nicht nur verwundert, sondern auch enttäuscht. Denn schließlich seien die Stadtwerke ein wichtiger Player bei der Energiewende. Seine Kunden würden erwarten, dass die Stadtwerke, sie mit Energie zu versorgen.
Aufgrund der fehlenden Regelungen im Gesetz zu Stadtwerke, würden diese „pönalisiert“, kritisierte Fliege. Die Stadtwerke Quedlinburg hätten Investitionsprogramme in regenerative Energien aufgelegt, um von den teuren Börsenpreisen wegzukommen. Dabei könnten sich auch Bürger indirekt in eine Gemeinschaft einkaufen, diese Modell komme im Gesetzentwurfe jedoch nicht vor. Er warb dafür, auch solche Initiativen zu berücksichtigen und zu schauen, warum investiert werde.
Kritik von Anlagenbetreibern
Der Landesverband Erneuerbare Energien Sachsen-Anhalt e.V. (LEE), begrüße die Initiative zum Gesetzentwurf prinzipiell. Gleichzeitig erinnerte sie daran, dass es bereits ein Raumordnungsgesetz des Bundes gebe, das diverse Schutzgüter definiert (Tierschutz, Bodenschutz etc.) und einen entsprechenden Ausgleich vorsieht, sagte Felix Linke vom LEE. Der Gesetzentwurf gehe jetzt offenbar davon, dass dies nicht ausreiche, im Kontrast zu Müllhalden, Kohlekraftwerken, Autobahnen usw. Seitens der Industrie- und Handelskammern gebe es diesbezüglich die Besorgnis, dass dieser neu eingeschlagene Weg dazu führen könnte, dass den Menschen suggeriert werde, wenn sie von Industrieprojekten direkt betroffen seien, müsse es einen monetären Ausgleich geben, damit sie stattfinden. Dies könnte sich auf lange Sicht nachteilig für den Wirtschaftsstandort Sachsen-Anhalt auswirken, argumentierte Linke.
Die LEE plädierte für „Fairness und Fingerspitzengefühl vor Ort“. Dies beginne zum Beispiel bei der im Gesetzentwurf festgelegten Berechnungsgrundlage, die sich momentan auf die installierte Leistung beziehe, wünschenswert wäre eine Änderung hin zum „tatsächlichen Ertrag“. Außerdem wünschte sich Linke Nachbesserungen im Fall eines Ausfalls der Solaranlage oder einzelner Module, beim Geltungsbereich des Gesetzes (Start erst nach Genehmigung) sowie der Höhe der Zahlungspflicht von drei bis sechs Euro je Kilowattstunde Nennleistung der Anlage. Diese Summen seien aus Sicht von vielen Photovoltaik-Betreibern nicht finanzierbar, monierte die LEE. Unter diesen Umständen könnte es sein, dass kleinere Betreiber zumachen müssten, dies würde nicht zum angestrebtem Ziel, einem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien führen.
Für den Gesetzentwurf sei es wichtig, eine realistische Prognose zugrunde zu legen, unterstrich Moritz von Scharfenberg von der e-wikom GmbH. Die grundsätzlich gestiegenen Preise würden dazu führen, dass die Investitionslandschaft weniger vielseitig sein werde. Der Ausbau der erneuerbaren Energien hätte ein Finanzierungsproblem (Stichwort hohe Zinsen bei Krediten). Unterschiedliche Voraussetzungen in den Bundesländern könnten zu einem Wettbewerb im Ländervergleich führen, Solaranlagen ohne zusätzliche operative Kosten ließen sich dann leichter betreiben als andere. Wichtig sei es zudem, dass zwischen Solar- und Windkraftanlagen und deren Erträgen unterschieden werden müsste.
Des Weiteren fehle das Thema Agri-Pholtaik (gleichzeitige Nutzung einer Fläche für Photovoltaik und Landwirtschaft). Scharfenberg plädierte für das Prinzip der Freiwilligkeit bei der Höhe der Ausgleichszahlungen, analog zum Paragraf 6 des EEG. Eine Zahlungspflicht in der vorgesehen Höhe sei schlichtweg nicht realistisch. Besser sei es, einen Mindestbetrag festzulegen, quasi „einen Deckel nach unten“, so von Scharfenberg. Auf diese Weise könnten die Kommunen planen, dies könnte ein Kompromiss sein, mit dem beide Seiten leben könnten.
Wie geht's mit dem Gesetzentwurf weiter?
Am Ende des Fachgesprächs haben die Mitglieder des Ausschusses beschlossen, sich in einer der nächsten Sitzungen erneut mit dem Gesetzentwurf zu beschäftigen und sich mit den Argumenten der Experten aus dem Fachgespräch auseinanderzusetzen. Ziel ist es, am Ende eine Beschlussempfehlung für den Landtag zu erarbeiten.