Wenn Minderjährige bei Ärztinnen und Ärzten ambulant oder stationär behandelt werden und diese den Verdacht auf Kindesmisshandlung hegen, ist es den betroffenen Ärztinnen und Ärzten grundsätzlich nicht erlaubt, sich ohne Einverständnis der Erziehungsberechtigten ‒ mögliche Täter/in? ‒ über ihre Befunde und einen hinreichenden Verdacht auf Kindesmisshandlung interkollegial auszutauschen. Auf Antrag der Koalitionsfraktionen soll die Landesregierung die Novellierung des Gesetzes über die Kammern für Heilberufe Sachsen‐Anhalt hinsichtlich der Möglichkeit eines interkollegialen Ärzteaustauschs prüfen.
Tobias Krull (CDU) betonte, es sei unglaublich, was Menschen Kindern und Jugendlichen antun könnten. Die Täter seien oft keine Fremden, etwa 25 Prozent kämen aus dem familiären Umfeld und 50 Prozent aus dem sozialen Nahraum. Der Antrag ziele darauf, den interkollegialen Ärzteaustausch zu unterstützen, denn sogenanntes „Ärzte-Hopping“ sei kein seltenes Phänomen, um Missbrauchstaten zu verschleiern. Derzeit machten sich Ärzte strafbar, wenn sie sich über mögliche Misshandlungsfälle austauschen würden, erläuterte Krull. Selbstverständlich wolle man den Datenschutz nicht aushebeln, er sollte aber nicht zum Täterschutz führen.
Gesundheitsministerin unterstützt Antrag
Kinderschutz sei ein hohes Gut, zu dem Staat und Gesellschaft gleichermaßen beizutragen hätten, konstatierte auch Sozial- und Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD). Sie begrüßte den Vorstoß der Koalitionsfraktionen zum interkollegialen Ärzteaustausch, weil er helfen könne, eine Kindesmisshandlung schneller festzustellen und dann entsprechend handeln zu können. Wegen der Schweigepflicht sei dies momentan nicht möglich. Gerade Eltern, die etwas zu verbergen hätten, würden diese nicht freiwillig aufheben.
„Debatten um den Schutz von Kindern verkommen leider sehr oft zu einer Ansammlung von wohlklingenden Satzbausteinen.“ Der vorliegende Antrag habe jedoch einen sehr konkreten Kern und das Anliegen selbst sei unterstützenswert, meinte Gordon Köhler (AfD). Denn der Schutz von Kindern erschöpfe sich nicht nur auf die Prävention, sondern beinhalte auch die Reaktion auf begangene Taten. Seine Fraktion unterstütze daher den Auftrag an die Landesregierung, eine entsprechende Regeländerung herbeizuführen.
Missbrauchserfahrung verändert das ganze Leben
Die Zahl von getöteten Kindern (mehr als 100 im Jahr 2022) und der deutliche Anstieg von Missbrauchsdarstellungen im Netz ließen einen erschauern und lösten Wut aus, sagte Katrin Gensecke (SPD). Die Gesetzesänderung ermögliche den Ärzten, sich bereits bei Verdacht auf Kindesmissbrauch auszutauschen. Die Gesetzesänderung sei daher „eine wichtige Weichenstellung, damit Kindesmissbrauch zukünftig früher erkannt werden kann“.
Konstantin Pott (FDP) erklärte, Misshandlung in jungen Jahren sei eine traumatische Erfahrung, die die Opfer ein Leben lang präge. Umso wichtiger sei es, dass solche Taten frühzeitig erkannt würden. Mit dem interkollegialen Ärzteaustausch soll ermöglicht werden, dass sich die Ärzte untereinander austauschen könnten, ohne gegen die Schweigepflicht zu verstoßen. Daher unterstütze seine Fraktion die angestrebte Änderung des Heilberufegesetzes.
Besser gleich Gesetzentwurf vorlegen
Natürlich seien Kinderschutz und Kindeswohl wichtige Aufgaben für das Parlament und die Gesellschaft, stellte auch Nicole Anger (Die Linke) fest. Der Antrag der Koalitionsfraktionen gehe daher in die richtige Richtung. Eine Umsetzung hätte jedoch auch ohne die nun vorgeschlagene langwierige Prüfung erfolgen können. Gleichzeitig mahnte sie an, dass Kinderschutz nicht als alleinige Aufgabe der Ärzte begriffen werden könne, sondern er müsse „ganzheitlich gedacht werden“ und es brauche entsprechende Strukturen und ausreichend Personal beispielsweise bei den Jugendämtern.
„Inhaltlich sind wir offensichtlich im ganzen Haus einig“, resümierte Susan Sziborra-Seidlitz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Natürlich sollten sich Ärzte austauschen können, ohne rechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen. Einzig schade am Antrag sei, dass zunächst nur ein Prüfauftrag an die Landesregierung gestellt werden soll. Stattdessen hätten die Koalitionsfraktionen gleich einen Gesetzentwurf vorlegen können, so die Grünen-Abgeordnete.
Am Ende der Debatte wurde der Antrag der Koalitionsfraktionen von CDU, SPD und FDP einstimmig angenommen.