Während andere Weltregionen die Chancen der Biotechnologie seit Jahrzehnten nutzten, zielten die regulatorischen Rahmenbedingungen in Deutschland und Europa bisher auf einen weitgehenden Ausschluss der Anwendung, insbesondere gentechnischer Verfahren ab, konstatiert die FDP-Fraktion. Sie hatte nun eine Aktuelle Debatte beantragt, in der sie sich mit den anderen Fraktionen über das Thema „Chancen der grünen Biotechnologie für die Nahrungsmittelproduktion und den Forschungsstandort Sachsen-Anhalt nutzen“ austauschte.
Ertragreichere Pflanzen schaffen
Zwei gute Gründe gebe es für die Aktualität des Themas, sagte Kathrin Tarricone (FDP): zum einen werde auf EU-Ebene vorgeschlagen, die Entwicklung, den Anbau und die Vermarktung von Nutzpflanzen zu erleichtern, die durch Biotechnologie weiterentwickelt wurden. Zum anderen sei die Erntebilanz 2023 für Sachsen-Anhalt bei Getreide und Raps unterdurchschnittlich. Es war sowohl zeitweise zu trocken als auch zu nass, die Qualität der Ernte sei unbefriedigend. Der Ernährungswirtschaft sei klar, es bedürfe mehr Pflanzen, die einerseits mit schwierigen Umweltbedingungen besser zurechtkommen und die andererseits wenig Dünge- und Pflanzenschutzmittel benötigen. Durch die CRISPR-Technologie, also einer gezielten Mutation im Genom einer Pflanze, könnten belastbarere und ertragreichere Pflanzen gezüchtet werden. Die FDP spreche sich dafür aus, molekularbiologische Methoden verstärkt zum Einsatz zu bringen.
„Überwachen, aber nicht verhindern“
„Die grüne Biotechnologie ist ein unglaublicher Schatz, den wir heben müssen, und das tun wir auch in der Wissenschaftslandschaft Sachsen-Anhalts“, erklärte Wissenschaftsminister Prof. Dr. Armin Willingmann (SPD). Im Sinne der Ernährungssicherheit müssten Kulturpflanzen gezielt und schnell an zukünftige Umweltbedingungen angepasst werden. In den Forschungseinrichtungen in Sachsen-Anhalt werde an verantwortungsbewussten und innovativen Lösungen für die Nahrungsmittelproduktion gearbeitet. „Die Züchtungsmethoden (zum Beispiel mit der „Gen-Schere“) müssen kontinuierlich überwacht, nicht aber verhindert werden“, betonte Willingmann.
CRISPR versus biologische Diversität
Genveränderte Pflanzen sollen künftig auch auf EU-Ebene ähnlich den konventionellen Pflanzen behandelt werden, erklärte Nadine Koppehel (AfD). Mit ihren liberalen Vorstellungen in der Gentechnik stehe die FDP allerdings auf Bundesebene recht alleine da, die Koalitionspartner lehnten einen freieren Umgang ab, erinnerte Koppehel. Ungekennzeichnete genveränderte Lebensmittel lehnten die Verbraucher ab; dieser Meinung schließe sich auch ihre Fraktion an. Der Erhalt der natürlichen Biodiversität stehe mit genmanipulierten Pflanzen infrage. Es bedürfe einer breiten gesellschaftlichen Debatte, inwieweit die CRISPR-Forschung überhaupt weiter vorangebracht werden soll.
Europäisches Gentechnikrecht novellieren
Die klassische Gentechnik stehe der modernen Genom-Editierung gegenüber, was die Debatte erschwere, sagte Elrid Pasbrig (SPD). Im Jahr 2020 lebten 7,8 Milliarden Menschen auf der Erde, 2050 werden es wohl nochmal zwei Milliarden mehr sein. Elf Prozent der Weltbevölkerung litten schon heute an Hunger. Die Landwirtschaft stehe vor der großen Aufgabe, die wachsende Bevölkerung zu ernähren. Man müsse auf extreme Klimaereignisse reagieren, die die Ernten verringerten. Wünschenswert wäre es, auf Pflanzen zurückgreifen zu können, die weniger Wasser benötigten und resilienter gegen Schädlinge und Umwelteinflüsse seien. An solchen Pflanzen werde auch in Sachsen-Anhalt geforscht, lobte Pasbrig. Genom-editierte Pflanzen hätten auch auf natürliche Art entstehen können. Durch die Gen-Schere sei der Mutationsprozess nur verschnellert worden. Einer einwandfreien Nutzung stehe noch das derzeitige europäische Gentechnikrecht entgegen. Dies müsste angepasst werden. Um Akzeptanz in der Gesellschaft müsse geworben werden, es kämen nur Pflanzen in Umlauf, die für Mensch und Tier unbedenklich seien, so Pasbrig.
Begrüßen das neue Verfahren
Die jahrtausendealte Auslesezüchtung habe zur Nahrungsmittelsicherung beigetragen und den Weg für die gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung frei gemacht, sagte Hendrik Lange (DIE LINKE). Klassische Züchtung sei zwar zielgerichtet, aber bisweilen würden Eigenschaften vererbt, die nicht gewünscht seien, mitunter führten die veränderten Eigenschaften der Pflanzen auch zu Allergien. Das Verfahren mit der Gen-Schere erlaube sehr genaue Eingriffe in das Erbgut der Pflanzen. Bestimmte Eigenschaften könnten zusammengeführt werden. Man könne damit den jahrelangen Züchtungsprozess abzukürzen und verbesserte Pflanzen erzeugen, erklärte Lange. Dass die EU dieses Verfahren leichter nutzbar machen möchte, sei zu begrüßen.
Wahlfreiheit bleibt gegeben
Neuerungen für die aktuellen rechtlichen Bedingungen seien dringend angeraten, erklärte Olaf Feuerborn (CDU). Denn noch immer sei eine Nutzung der neuen Erkenntnisse für die Landwirtschaft nicht möglich. Die Vorlage der EU-Kommission sei ein positives Signal für die Wissenschaft. Darin stehe, dass es weniger auf das Verfahren als vielmehr auf das Ergebnis des gentechnischen Eingriffs ankomme. Mithilfe der Gen-Schere würden Pflanzen geschaffen, die am Ende gar nicht mehr als gentechnisch verändert zu erkennen wären, weil sie auch auf natürlichem Wege hätten entstehen können. Bleibe die Kennzeichnungspflicht bestehen, hätten Hersteller und Verbraucher nach wie vor eine Wahlfreiheit.
„Uns läuft die Zeit davon“
Die FDP spreche von „grüner Biotechnologie“, um nicht von „Gentechnik“ sprechen zu müssen, monierte Dorothea Frederking (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Die Grünen hielten auch bei der CRISPR-Technik an der europäischen Gentechnikrichtlinie fest, dass also das Vorsorgeprinzip, die Kennzeichnungspflicht und die Wahlfreiheit erhalten blieben. Die Wunschvorstellungen der FDP hätten zurzeit noch nichts mit der Realität zu tun, sagte Frederking. Auf keinem Ort der Welt seien bisher die vielfach versprochenen resistenten und ertragreicheren Pflanzen kreiert worden. Uns laufe die Zeit davon, um nach alter Art geeignete Pflanzen zu züchten, räumte Frederking ein, der Forschung werde man sich nicht verschließen. Aber schon jetzt könne man agrarwirtschaftliche Maßnahmen ergreifen.
Im Anschluss an die Debatte wurden wie gewohnt keine Beschlüsse zur Sache gefasst.