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Plenarsitzung

228 Fragen über 30 Jahre Sachsen-Anhalt

Anlässlich des 30. Geburtstags des Landes Sachsen-Anhalt im Oktober 2020 hatte die Fraktion DIE LINKE eine Große Anfrage an die Landesregierung gestellt. Inhaltlich geht es um einen Vergleich der Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Einwohnerinnen und Einwohner des Landes sowie eine Analyse der Entwicklungen, die das Land seit der Wiedervereinigung durchlaufen hat. Die Antworten der Landesregierung auf die insgesamt 228 Fragen wurden nun im Plenum diskutiert.

Parallel dazu wurde ein Antrag der Fraktion DIE LINKE beraten. Darin sprach sie sich dafür aus, dass der Landtag der 7. Wahlperiode die nachfolgenden Landtage und Landesregierungen auffordern soll, sich zur Überwindung der Ost‐West‐Ungerechtigkeiten und der Wirtschaftskrise unter anderem folgenden Ziele zu setzen: Lohnoffensive Ost, Niedriglöhne überwinden, Nulltoleranz‐Politik bei Kinderarmut, Abwanderung stoppen, bessere Verkehrsanbindung in ländlichen Regionen sowie die gute Bezahlung in den Pflege‐ und Gesundheitsberufen.

Blick in den vollbesetzten Saal der konstituierenden Sitzung des Landtags von Sachsen-Anhalt.

So fing vor dreißig Jahren alles an: Blick in den vollbesetzten Saal der konstituierenden Sitzung des ersten Landtags von Sachsen-Anhalt nach der Wiedervereinigung. Foto: Stadtarchiv Dessau-Roßlau

Positiven Blick auf Ostdeutschland stärken

Die Friedliche Revolution jähre sich in diesem Jahr zum 32. Mal, es sei an der Zeit, ein Resümee zu ziehen. Ostdeutschland spiele in der Politik der Bundesrepublik noch immer eine untergeordnete Rolle, Ostdeutschland und ostdeutsche Biographen würden noch immer abgewertet, kritisierte Eva von Angern (DIE LINKE). Der Ausverkauf der DDR durch die Treuhand sei bis heute nicht ausreichend aufgearbeitet worden. Bestehende Ungerechtigkeiten sollten deutlich benannt werden. Solche Missstände gehörten der Vergangenheit an, „wir brauchen vielfältige Karrierewege und Identifikationsmöglichkeiten für Menschen aus dem Osten Deutschlands“, so von Angern. „Wir erleben in Ostdeutschland einen zunehmenden Vertrauensverlust gegenüber Staat und Parteien in politische Entscheidungen.“

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Sachsen-Anhalt würden im Bundesdurchschnitt zwar wöchentlich zwei Stunden länger arbeiten, erhielten allerdings 6,16 Euro pro Stunde weniger Vergütung. In Sachsen-Anhalt müssten höhere Löhne gezahlt und eine stärkere Tarifbindung umgesetzt werden. Von Angern sprach sich für ein modernes Vergabe- und Tariftreuegesetz aus. Es gäbe in Sachsen-Anhalt keinen Fachkräftemangel, wenn angemessene Löhne gezahlt würden. Der Gesetzgeber sei hier am Zug, denn: „Der Markt regelt eben nicht alles.“

Altersarmut bedeute in Sachsen-Anhalt vor allem Frauenarmut, es gebe eine eklatante Rentenungerechtigkeit nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch zwischen Frauen und Männern. Deutschland brauche eine Steuerreform, die die Ärmsten entlaste und die Superreichen endlich zur Kasse bitte. Positiv hob von Angern den Kita-Ganztagsanspruch hervor, dieser sei sehr wohl ein Qualitätsmerkmal des Landes Sachsen-Anhalt. Aber es bedürfe einer wirksamen Kindergrundsicherung, um allen Kindern den qualitativ selben Start ins Leben zu ermöglichen. Die Abgeordnete der Linken kritisierte den quasi „nichtexistenten sozialen Wohnungsbau im Land“ und den Abbau der Schienenstrecken und Bahnhöfe, während der motorisierte Individualverkehr angestiegen sei.

Antwort coronabedingt mit Verspätung

Alle Ministerien der Landesregierung hätten sich an der Beantwortung der Großen Anfrage beteiligt, erklärte Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU). Aufgrund des Umfangs und der coronabedingten Einschränkungen war die Antwort erst mit Verspätung vorgelegt worden. Auf die Inhalte der Antworten zur Großen Anfrage ging die Ministerin nicht ein.

Wehrhafte Demokratie und verlässlicher Rechtsstaat

„Können wir stolz sein auf dreißig Jahre Sachsen-Anhalt? – Ja!“, betonte Dr. Katja Pähle (SPD). „Die Bürgerinnen und Bürger können mit Stolz darauf blicken, was sie geleistet haben“, sie hätten in den vergangenen dreißig Jahren das Land wirtschaftlich wiederaufgebaut und eine wehrhafte Demokratie in einem verlässlichen Rechtsstaat geschaffen.

„Darf man sich zufrieden geben? – Nein!“, meinte Pähle, unter anderem deswegen, weil die Menschen in Sachsen-Anhalt noch immer nicht so bezahlt würden, wie sie es verdienten. In der Entwicklung der Löhne und Gehälter habe sich in den zurückliegenden Jahrzehnten zu wenig bewegt. Die schwache Struktur im Land führe nach wie vor zur Abwanderung.

„Wohin muss das Land geführt werden?“, fragte Pähle. Die derzeitige Ausnahmesituation (Corona) sei irgendwann vorbei, dann könne sich das Land wieder entfalten, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell. Man müsse selbstbewusst zeigen, was Sachsen-Anhalt heute schon leiste und was es zu einer klimafreundlichen Wirtschaft beitragen könne. Es gelte, an die Stärke anzuknüpfen, die das Land im Bereich der erneuerbaren Energien schon gezeigt habe. „Stillstand können wir uns nicht leisten“, so Pähle, stattdessen müssten die Weichen für Innovation, gute Arbe und Klimaschutz gestellt werden.

„Brauchen sofort eine radikale Familienpolitik“

Die Große Anfrage zeige das Versagen der Landesregierung und die Fehlentwicklung des Landes Sachsen-Anhalt, sagte Matthias Büttner (AfD). Die Landesregierung werde den Ansprüchen der Bevölkerung nicht mehr gerecht. Er kritisierte die Abnahme der Krankenhauszahl, Gewinnstreben und Privatisierungen hätten sich negativ auf die Krankenhauslandschaft ausgewirkt.

Sachsen-Anhalt sei das Land mit der ältesten Bevölkerung, es habe keine geburtenfördernden Maßnahmen für das Land gegeben. Die Zahl der Kinder im Land sei seit 1990 um 50 Prozent zurückgegangen. „Wir brauchen sofort eine radikale Familienpolitik, um das Land kinderfreundlich zu machen“, sagte Büttner. Wenn man eine schlechte Familienpolitik betreibe, brauche man sich über die Vergreisung der Bevölkerung nicht zu wundern. Büttner zeigte Befürchtungen über den „deutschen Volkstod“.

Immer weniger Menschen seien im Land im produzierenden, verarbeitenden und im Baugewerbe tätig, Wachstum gebe es dagegen im Finanzsektor und in der Verwaltung. Büttner kritisierte das prägnante Lohngefälle zwischen West und Ost.

Umbruch und Strukturwandel

Die grundlegende Ursache, dass der Osten wirtschaftlich schlechter abschneide als der Westen, seien die schlechten Startbedingungen im Herbst 1990 gewesen, erinnerte Olaf Meister (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Die seinerzeit weitläufige Nichtbeachtung des ostdeutschen Erfahrungshorizonts wirke sich bis heute negativ auf die Entwicklung des Landes aus. Die Umbrüche von damals seien zu bewältigen, der Strukturwandel von heute warte ebenfalls auf seine Umsetzung.

Wichtige Weichen für das Land gestellt

Der Landtag habe bereits im Oktober 2020 eine Bilanz zu dreißig Jahre Sachsen-Anhalt gezogen (Regierungserklärung des Ministerpräsidenten), erinnerte Ulrich Thomas (CDU). Man könne auf die Entwicklung des Landes durchaus stolz sein, die Deutsche Einheit sei eine Erfolgsgeschichte für Deutschland und Sachsen-Anhalt. „Sachsen-Anhalt ist eine blühende Landschaft“, wie sie Helmut Kohl einst versprochen habe. Aus der Abrisswirtschaft am Anfang der 1990er Jahre sei eine Wiederaufbauwirtschaft in den vergangenen dreißig Jahren geworden. Das Land habe noch immer mit vielen Altlasten zu kämpfen. Aber die Soziale Marktwirtschaft sorge dafür, dass die Narben der Vergangenheit verschwänden.

„Bei allen noch zu lösenden Problemen sind wir in Sachsen-Anhalt ein großes Stück vorangekommen“, betonte Thomas. Aus heutiger Sicht sei eine Fehleranalyse leicht, aber seinerzeit habe kein Patentrezept für diese völlig neue Situation vorgelegen. Sachsen-Anhalt habe nach vierzig Jahren Sozialismus wirtschaftlich „viel aufgeholt“, die freiheitliche Wirtschaft habe es Gründerinnen und Gründern ermöglicht, neue Unternehmen an den Start zu bringen und Arbeitsplätze zu schaffen. Lohnforderungen zu stellen, ohne zu erklären, wie diese bezahlt werden sollen, sei nicht sinnvoll, sagte er Richtung DIE LINKE.

Die Abwanderung aus Sachsen-Anhalt sei durch innovative Maßnahmen gestoppt oder gar umgekehrt worden. Der Großteil der Bevölkerung Sachsen-Anhalts betrachte die Entwicklung des Landes als gut, resümierte Thomas. Die Herausforderungen für Wirtschaft und Gesellschaft seien heute noch vielschichtiger. Die CDU-geführten Landesregierungen hätten wichtige Impulse für die Entwicklung des Landes Sachsen-Anhalt gesetzt.

Beschlüsse zur Sache wurden am Ende der Aussprache zur Großen Anfrage nicht gefasst. Der Antrag der Fraktion DIE LINKE wurde im Anschluss an die Debatte in die Ausschüsse für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung, für Finanzen, für Inneres und Sport sowie für Arbeit und Soziales überwiesen.