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Plenarsitzung

Was tun gegen Gewalt und Hate-Speech?

01. Okt. 2020

Immer öfter werden Kommunalpolitiker/-innen und Akteur/-innen der Zivilgesellschaft beschimpft, bedroht, eingeschüchtert oder erhalten Hassbotschaften. Einer Umfrage zufolge hatten 40 Prozent aller Rathäuser bundesweit schon einmal mit Bedrohungen im Alltag zu tun. Die Ergebnisse einer Kleiner Anfrage „Angriffe auf Kommunalpolitiker/-innen in Sachsen-Anhalt“ weist zudem darauf hin, dass auch hierzulande Drohungen und Angriffe zugenommen haben. Im Rahmen einer Anhörung beschäftigte sich der Ausschuss für Inneres und Sport am Donnerstag, 1. Oktober 2020, mit dem Problem.

Schmierereien auf einem Kaffeehaus-Schaufenster in der Magdeburger Innenstadt. Die Attacke richtete sich gegen den ehemaligen Landtagsabgeordneten Sören Herbst (Grüne). Archiv-Foto von 2015: privat

Aus seiner eigenen Erfahrung würde sich Markus Nierth, ehemaliger Bürgermeister von Tröglitz, wünschen, dass auch Ortsbürgermeister und Ortschaftsräte verstärkt Weiterbildungen zur politischen Bildung angeboten würden. Gleiches gelte für Schüler und Lehrkräfte. Ebenfalls erschreckend sei das Schweigen einer großen Mehrheit der Bevölkerung gewesen. Die Demokratie lebe von mündigen Bürgern, die sich auch trauten zu äußern. Er selbst habe jedoch oft erlebt, dass politische Diskussionen in Ortsräten nicht ausgetragen würden, sondern stattdessen geschwiegen würde.
Wenn die Bürger nicht lernten, politische Statements abzugeben und das Schweigen zunehme, sei unser politisches System ernsthaft in Gefahr, warnte Nierth. „Ich wünsche mir von Ihnen [Politik], dass da, wo sich Menschen für die Demokratie eingebracht haben, ihnen auch professionelle Hilfe zur Seite gestellt wird.“ Seine Kinder hätten das Trauma zwar gut überwunden, seine Ehefrau benötige jedoch noch heute psychologische Betreuung, so Nierth.
Die Gesellschaft müsste noch stärker nach den Ursachen für die wachsende Gewalt suchen. Diese würden teilweise auch im gesellschaftlichen System immanent sein. Nicht selten erwachse Gewalt gegen andere aus einem Hass gegen sich selbst, erklärte Nierth. Zudem brauche es eine „Kultur der Empathie“. Es dürfte nicht als normal hingenommen werden, dass politische Diskussionen Morddrohungen zur Folge hätten.

Seit 2016 hätten sich Qualität und Quantität der Beschimpfungen deutlich verstärkt, erläuterte Alexander Dexbach vom Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt e. V.(LAMSA). Daher gebe es jede öffentliche Veranstaltung  mittlerweile ein Sicherheitskonzept und die Mitarbeiter würden extra instruiert. Gleiches empfehle der Verein seinen Mitgliedsgemeinden, der Beratungsbedarf für diesen Bereich sei deutlich gestiegen.
Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019 habe LAMSA beispielsweise eine Hotline einrichtet, bei der sich etwa 700 Menschen gemeldete hätten. Sie alle fürchteten um ihre Gesundheit, wenn sie sich weiter politisch oder in ihren Kulturverbänden engagierten oder einfach weil sie eine andere Nationalität hätten, so Dexbach. Die jüdische Gemeinde in Dessau habe beispielsweise ihren Mitgliedern geraten, sich bei öffentlichen Veranstaltungen nicht mehr als Mitglieder zu erkennen zu geben.

Pascal Begrich, Geschäftsführer Miteinander e. V., (Träger der Mobilen Opferberatung für Opfer rechter Gewalt) erläuterte, dass Hass und Gewalt immer vor dem Hintergrund politischer Diskussionen betrachtet werden müssten. Dies sei sowohl während der Flüchtlingskrise 2015 zu beobachten gewesen und jetzt aktuell während der Corona-Krise.
Haltung und Handlungen von Menschen würden zudem durch die Kommunikation in den sozialen Medien unterstützt. Dort fänden sich Vorbilder und Gleichgesinnte. Somit gebe es zweifellos eine Verquickung von Online- und Offline-Akivitäten. Diese Gefahrenlage werde auch durch wissenschaftliche Studien belegt, erläuterte Begrich. Insbesondere gegenüber Frauen und engagierten Politiker/-innen spielten Hass-Kommentare im Internet eine große Rolle. Sie hätten vielfältige Folgen, und würden unter anderem zum Schweigen Andersdenkender führten und ein verzehrtes Realitätsbild lieferten.
Um all dies zu verbessern, brauche es zukünftig Zivilcourage, Widerspruch, Rückhalt von Betroffenen durch die Politik, aktiven Widerspruch sowie eine konsequente Moderation aus Social-Media-Accounts. Derzeit würde nur ein Prozent der Hass-Kommentare angezeigt. Außerdem plädierte Begrich für eine Ausweitung der wissenschaftlichen Forschung sowie ein zentrales Meldesystem für rassistische Straftaten und einen Unterstützungsfonds für Gewaltopfer.

Robert Fietzke, Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e. V., berichtete von diversen Vorfällen der Einschüchterung und Bedrohung in sozialen Netzwerken. Dabei würden immer öfter persönliche Daten von Mitarbeitern veröffentlicht. Ebenfalls stark zugenommen hätten Drohbriefe per Post. Die AfD-Fraktion hätte zudem mehrere Anfragen im Landtag zu seinem Verein gestellt. Damit solle der diffamiert und als Feindbild dargestellt werden, meint Fietzke.
Auch er selbst sei bereits Opfer von direkter oder indirekter Gewalt geworden und habe Morddrohungen erhalten. Diese habe er zur Anzeige gebracht, allerdings ohne Ergebnis. Nach jedem Social-Media-Posting des Flüchtlingsrates könne man auf neue aggressive Antworten, Hetze und Hassbemerkungen warten.

Die Bedrohungslage für Kommunalpolitiker/-innen habe in den vergangenen Jahren subjektiv zugenommen, konstatierte Jürgen Leindecker, Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalt.  Drastischere Begrifflichkeiten und Schmähungen würden häufiger verwendet. Dabei ginge es nicht um die Sache oder eine Entscheidung an sich,  sondern darum, „die betroffene Person unmittelbar verbal herabzuwürdigen, zu verletzen, zu erniedrigen“. Die Menschen würden immer stärker ihre eigenen Ziele und Interessen im Blick haben und die Akzeptanz für das Gemeinwohl ginge verloren. Die eigene Unzufriedenheit mit der Lebenswirklichkeit und wirtschaftlichen Situation würde auf die Kommunalpolitik übertragen. „Die Komplexität heutiger Lebensverhältnisse, aber auch politischer Prozesse machen es für den Einzelnen immer schwieriger, die jeweils zugrundeliegenden Zusammenhänge zu erkennen und zu bewerten“, schätzte Leindecker ein. Die Anonymität im Netz (beispielsweise in Kommentarmöglichkeiten auf Internetseiten) dürfe nicht die Gewalt gegen Kommunalpolitiker begünstigen, sagte Leindecker

Die kommunale Selbstverwaltung sei das Fundament der Demokratie, sie lebe von den Akteuren vor Ort, deswegen sei es unerlässlich, diese – oftmals auch nur im Ehrenamt – vor Gewaltandrohung und Gewalt zu schützen, betonte Heinz-Lothar Theel vom Landkreistag Sachsen-Anhalt. Gewalt werde auch gegen kommunale Beschäftigte immer öfter registriert. Theel warb für die Benennung eines zentralen Ansprechpartners für Betroffene von Gewalt(androhungen) im kommunalen Sektor für das ganze Land, der hinsichtlich der Verfolgung koordinierend eingreifen könnte.

Im Zeitraum von Januar 2016 bis August 2020 seien in Sachsen-Anhalt 258 politisch motivierte Straftaten gegen Politiker verzeichnet worden, 118 davon haben aufgeklärt werden können, hinzu seien 166 Straftaten gegen Parteieinrichtungen gekommen, fast ausschließlich Sachbeschädigungen, neun seien davon aufgeklärt worden, erklärte Sirko Eckert vom Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt. Das Landeskriminalamt agiere vordergründig zum Schutz der Mitglieder der Landesregierung. Für Straftaten gegen kommunale Politiker und öffentliche Personen seien die jeweils örtlichen Polizeiinspektionen zuständig, so Eckert. Drohungen und Gewalterfahrungen sollten auf jeden Fall zur Anzeige gebracht werden, nur so könnten sie verfolgt und auch mit anderen Straftaten in Verbindung gebracht werden, betonte Eckert. Er empfahl, persönliche Daten/Angaben in Social Media möglichst gering zu halten, um hier kein Angriffspotenzial zu liefern.

Die Staatsanwaltschaften seien nicht für Prävention zuständig, sie könnten immer erst tätig werden, wenn Straftaten bekannt wären, erklärte Oberstaatsanwalt Gerhard Wetzel vom Ministerium für Justiz und Gleichstellung Sachsen-Anhalt. Es müsse also vorausgesetzt werden, dass Taten auch zur Strafanzeige gebracht und diese auch bezeugt würden. Diese würden dann auch im Rahmen der engen gesetzlichen Regelungen verfolgt, sofern ein Täter habe ermittelt werden können. Dies sei oft schwierig, weil viele Menschen im Internet nicht mit Klarnamen agierten oder Taten (noch) nicht den Straftatsbestand erfüllten. Man sei bei der Straftatsverfolgung jedoch weder auf dem linken noch auf dem rechten noch auf dem religiösen Auge blind. Die Staatsanwaltschaften müssten dringend technisch und personell aufgerüstet werden, um ihren Aufgaben zufriedenstellend nachkommen zu können. Wetzel forderte vom Gesetzgeber zudem klarere Formulierungen von Staatsschutztatbeständen, damit diese auch besser anwendbar würden.

Der Ausschuss für Inneres und Sport wird sich in den kommenden Wochen weiter mit den Erkenntnissen aus der Anhörung und den abgegebenen Stellungnahmen beschäftigen.