Mit dem Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für Personen mit einer psychischen Erkrankung des Landes Sachsen-Anhalt (PsychKG LSA) sollen die Rahmenbedingungen für eine effiziente gemeindenahe, vernetzte, personenzentrierte und bedarfsgerechte psychiatrische Versorgung sichergestellt werden. Aus diesem Grund werde bei der Neufassung des Gesetzes durch die Landesregierung großer Wert auf die Koordination der Versorgungsangebote untereinander gelegt, so Sozialministerin Petra Grimm-Benne bei der Einbringung des Gesetzentwurfs in den Landtag im November 2019. Dort wurde er unter anderem in den Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration (federführend) überwiesen, der am Mittwoch, 19. Februar 2020, eine Anhörung in öffentlicher Sitzung durchführte.
Wortmeldungen aus der Anhörung
Prof. Dr. Hans-Henning Flechtner, Vorsitzender des Ausschusses für Angelegenheiten der psychiatrischen Krankenversorgung des Landes Sachsen-Anhalt, ging insbesondere auf die Situation in der Kinder-und Jugendpsychiatrie ein. Außerdem regte er an, den Ausschluss von Zwangsbehandlungen auf Situationen der Selbstgefährdung zu beschränken. Die Beschreibung des Personenkreises, für den das Gesetz zuständig sei, biete genügend Spielräume, als Ausschuss handelnd oder beobachtend zu wirken.
Der Gesetzentwurf sei eine Verbesserung zu bestehenden gesetzlichen Regelungen, betonte Prof. Dr. Thomas Frodl, Direktor der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Therapie, Rehabilitation und Prävention würden zwar berücksichtigt, gerade Letztere müsse aber noch ausgebaut werden. Die Risiken der Entstehung einer psychischen Erkrankung müssten schärfer in den Blick genommen werden, um die Zahl der Krankheitsfälle zu verringern. Die meisten Patienten kämen in einer akuten Situation per Rettungswagen in eine psychiatrische Klinik und nicht aufgrund eines Unterbringungsbeschlusses – die Bedingungen der Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung seien hier bisher nicht ausreichend geklärt.
Der Gesetzentwurf ziele auf Hilfen und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen, rekapitulierte Prof. Dr. Jörg Frommer, Direktor der Universitätsklinik für psychosomatische Medizin an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Probleme sehe er beim Besuch einer Kommission, er sehe hier einen schweren Eingriff in die Arzt-Patienten-Vertraulichkeit: Der Psychiatrieausschuss des Landes an sich sei sinnvoll, aber bei Patienten, bei denen keine primäre psychiatrische Erkrankung vorliege oder die gar zwangsweise untergebracht werden müssten, verstoße die neue gesetzliche Regelung gegen zahlreiche Rechtsnormen. Die Zuständigkeit des Ausschusses auch für Menschen mit eindeutig nichtpsychiatrischen Erkrankungen gehe zu weit. Psychosomatische Erkrankungen (zum Beispiel psychische Erkrankungen aufgrund anderer Primärkrankheiten wie Krebs) sollen demnach ebenso einbezogen werden, das sei aber ein ganz anderer medizinischer Zweig, so Frommer.
Die Regelungen des Gesetzes würden grundsätzlich positiv gesehen, betonte Ralf Hattermann für die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege im Land Sachsen-Anhalt. Zu begrüßen sei, dass die Erkenntnisse aus der sogenannten FOGS-Studie in den Gesetzentwurf eingeflossen seien. Er sprach sich dafür aus, die kommunalen Strukturen in der psychiatrischen Hilfe zu unterstützen.
Im Gesetz werden Hilfe und Schutzmaßnahmen aufgeführt und diese quasi in einem Atemzug mit Menschen mit einer behandlungsbedürftigen Suchterkrankung genannt. Es gebe allerdings erhebliche Unterschiede in den psychiatrischen Versorgungsstrukturen und in der Suchthilfe, erklärte Helga Meeßen-Hühne, Leiterin der Landesstelle für Suchtfragen in Sachsen-Anhalt. Beide Bereiche hätten eigene Behandlungs- und Rehabilitationsangebote. Dem Kooperations- und Vernetzungsbedarf in der Suchthilfe und -prävention sollte im Gesetzentwurf stärker Rechnung getragen werden.
Es gebe im Gesetzentwurf eine neue Formulierung zur ärztlichen Personengruppe, die die Voraussetzung erfülle, psychiatrische Erkrankungen zu begutachten – Notärzte sollen laut Gesetzentwurf in diesen Kreis aufgenommen werden. „Das sehen wir nicht so“, betonte Martin Wenger, Hauptgeschäftsführer der Kassenärztlichen Vereinigung. Eine entsprechende Ausbildung zum Umgang mit psychiatrischen Fällen liege bei Notärzten nämlich nicht zwangsläufig vor.
Finden in Krankenhäusern Behandlungen nach dem PsychKG statt, so sollten die Krankenkassen informiert werden, erklärte Andreas Arnsfeld (AOK) für die Verbände der gesetzlichen Krankenversicherungen. Dies würde unnötige Fallprüfungen obsolet machen. Die sozialpsychiatrischen Dienste seien insofern zu stärken, als dass nicht davon abgelassen werden dürfe, solche Dienste durch einen Facharzt leiten zu lassen.
Das Gesetz bringe Klarheit für Menschen mit psychiatrischer Erkrankung/Behinderung, die eben über kein tiefgreifendes juristisches Wissen verfügten, sagte Ingrid Hollmann von EX-IN. Mehr gesetzliche Klarheit wünsche sie sich, wenn es beispielsweise um Zwangsfixierungen gehe. Es gelte, die Rolle der Patientenfürsprecherinnen und Patientenfürsprecher zu stärken, sie sollten nicht gleichzeitig auch Beschwerdestelle sein und beim Wiedereingliederungsprozess helfen müssen. Der Patientenfürsprecher sollte bewusst parteilich sein, aber es werde jetzt auch erwartet, dass er ausgleichend und unterstützend wirke – dies werde zu großen Schwierigkeiten hinsichtlich des eigentlichen Sinns dieses Amtes führen. Hollmann kritisierte, dass die Vergütung der Patientenfürsorgerinnen und Patientenfürsorger nicht im Gesetz geregelt sei.
Positiv hervorgehoben werde das große Gewicht auf gemeindenahe Versorgungsangebote, erklärte Anna Manser von der Halleschen Jugendwerkstatt GmbH. Die bessere Vernetzung von Betreuungsstellen für psychisch erkrankte Eltern und deren Kinder werde begrüßt. Die Begrifflichkeit „geistige Erkrankung“ solle gestrichen werden, da sie zu sehr mit einer „geistigen Behinderung“ assoziiert werde. Die in der Hallenser Einrichtung „Labyrinth“ befragten Betroffenen gaben an, eine Behandlung „ambulant vor stationär“ zu bevorzugen. Nachsorgebehandlungen sollte mehr Raum und Zeit eingeräumt werden, zudem solle mehr in präventive Maßnahmen und Aufklärung investiert werden.
Es bedürfe mehr denn je der Fachkompetenz in den sozialpsychiatrischen Diensten, erklärte Dr. Anke Schmidt, Sprecherin des Landesarbeitskreises sozialpsychiatrischer Dienste. Die Leitung eines solchen Dienstes sollte, anders als jetzt im Gesetz geplant, die mehrjährige Erfahrung im akutpsychiatrischen Dienst voraussetzen. Schmidt wies darauf hin, dass es nur drei kinder- und jugendpsychiatrische Dienste in Sachsen-Anhalt gebe, insbesondere im ländlichen Bereich bestehe hier eine prekäre Versorgungssituation. Begrüßt werde, dass es die Position der Psychiatriekoordinatoren flächendeckend geben soll.
Der vorliegende Gesetzentwurf trage den rechtlichen, gesellschaftlichen und politischen Veränderungen seit 1992 Rechnung, erklärte Simone Küchler, Psychiatrie- und Suchtkoordinatorin im Landkreis Saalekreis. Insbesondere die Stärkung der Patientenrechte werde begrüßt. Es müsse oberste Priorität sein, dass die Leitung eines sozialpsychiatrischen Dienstes mit einem Facharzt/einer Fachärztin besetzt sei, betonte auch Küchler. Es sei angeraten, verbindlichere Regelungen für den Einsatz von Patientenfürsprechern zu schaffen.
Die Schutzmaßnahmen im psychiatrischen Bereich würden durch die Novellierung des Gesetzes westlich intensiver ausgestaltet, lobte Karin Becker für die Kommunalen Spitzenverbände in Sachsen-Anhalt. Allerdings müssten die zusätzlichen Kosten für die Landkreise ermittelt und dann durch das Land ausgeglichen werden; bis jetzt zeichne sich eine Kostenunterdeckung ab. In verschiedenen Bereichen werde das Tätigwerden von Psychiatrie-Fachärzten gefordert – dies sei im Grunde nach zu begrüßen, so Becker: „Aber stehen sie in hinreichender Zahl zur Verfügung?“
Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration wird sich weiter mit dem Gesetzentwurf der Landesregierung beschäftigen. In Zusammenarbeit mit den anderen involvierten Ausschüssen des Landtags soll am Ende eine Beschlussempfehlung erarbeitet werden, die dem Landtag zur Abstimmung vorgelegt werden soll.
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