Im Dezember 2019 schlug die AfD-Fraktion in einem im Plenum eingebrachten Antrag vor, ein staatliches Ausstiegsprogramm für Linksextremisten durch das Ministerium für Inneres und Sport für das Land Sachsen-Anhalt bis spätestens Dezember 2020 ins Leben zu rufen. Die Antragsteller bezogen sich auf Zahlen aus dem Verfassungsschutzbericht des Landes für 2018. Diese belegten, dass die „Politisch motivierte Gewalt – links“ eine erhebliche Gefahr für die Gesellschaft darstelle, so die Antragsteller seinerzeit. Der Antrag war am 18. Dezember 2019 in den Ausschuss für Inneres und Sport überwiesen worden. Dieser hatte sich in einer seiner Sitzungen darauf verständigt, zum Antrag eine Anhörung durchzuführen, die am Donnerstag, 25. Juni 2020, abgehalten wurde.
Passgenaue Konzepte für jeden Einzelnen
Die Leiterin des Referats „Prävention“ im Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, berichtete über das landeseigene, im Jahr 2018 aufgelegte Aussteigerprogramm für Linksextremisten, genannt „left“. Es sei eines von drei Aussteigerprogrammen, neben jeweils einem für islamistische und rechtsextremistische Aussteiger. Ziel sei in allen Fällen, eine Reintegration in die Gesellschaft zu ermöglichen, Schutz vor Übergriffen aus der jeweiligen Szene zu gewähren, weitere Straftaten zu verhindern und die Zahl der Extremisten insgesamt zu verringern.
Die Aufklärung über ideologische Strukturen laufe dabei parallel zu einer Stabilisierung der Lebensumstände; beide bedingten einander. Eine gewisse Freiwilligkeit, eigene extremistische Denkmuster zu hinterfragen, sei dabei unbedingt notwendig. Durch die soziale Stabilisierung sei es einfacher möglich, auch auf die ideologische „Umschulung“ hinzuwirken. Experten unterschiedlicher Lebensbereiche würden in die Arbeit integriert. Die Ausstiegsprozesse liefen zwischen etwa drei und fünf Jahren.
Bis heute habe sich die Behörde mit 34 Personen befasst, derzeit befänden sich 19 Personen in der aktiven Begleitung. Das Programm werde gut aufgenommen, jedoch sei die Zielgruppe schwieriger zu erreichen, da sie in der Regel große Vorbehalte gegen staatliche Institutionen aufwiesen. Ein aktives Zugehen auf diese Menschen habe sich bewährt. 65 Prozent der betreuten Klienten seien direkt angesprochen worden, sie seien zwischen 18 und 25 Jahre alt. Die Problemlagen der angesprochenen Menschen seien sehr unterschiedlich, daher müsse auch für jeden Einzelnen ein passgenaues Ausstiegskonzept erarbeitet werden.
Drei Eben der Prävention und Hilfe
„Extremismus wende sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“, erklärte der Vertreter des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt. Diesem Problem stelle man sich nicht nur durch die Verfolgung von Straftaten, sondern auch durch Aufklärung und Prävention, beispielsweise im Rahmen der politischen Bildung im Sinne von Öffentlichkeitsarbeit, Beratungs- und Sensibilisierungsangeboten. Neben der primären Information wirke man in zweiter Instanz zum Schutz von Menschen vor extremistischer Indoktrination, ein dritter Schritt seien die verschiedenen Ausstiegsmöglichkeiten. Sie seien eine sinnvolle Komponente, um Aussteiger dabei zu unterstützen, den extremistischen Lebenshintergrund zu verlassen und sich wieder der demokratischen Gesellschaft zuzuwenden.
Nicht jeder Extremist wolle aussteigen, sondern lebe gern in seiner Welt. Es werde die Freiwilligkeit vorausgesetzt, sich auf die Unterstützung einer Ausstiegshilfe einzulassen. dies ergebe sich meist, wenn sich die Betroffenen einem besonderen Druck ausgesetzt sähen, aus dem sie keinen anderen Ausweg fänden. Die meisten Ausstiege vollzögen sich in der Tat still, ohne fremde Hilfe. Betroffene befänden sich nicht selten in sozialer Isolierung und sozialer Benachteiligung, dies sei im Bereich Rechtsextremismus jedoch sehr viel ausgeprägter.
In Sachsen-Anhalt bestünden deutliche Größenunterschiede in den extremistischen Bereichen. So gebe es etwa 1300 Rechtsextremisten und 500 Linksextremisten im Land. Unterschiedlich groß fielen demnach auch die Präventions- und Ausstiegsangebote aus. Bundesweit gebe es zwei Aussteigerprogramme für Linksextremisten an, die sich von ihrer Ideologie lösen wollen.
Das Potenzial an aussteigewilligen Linksextremisten sei jedoch relativ gering. Die Szene lehne den Staat und seine Institutionen ab, daher widerspreche eine Hinwendung zu einer staatlichen Institution deren Selbstverständnis, so der Vertreter der Verfassungsschutzes. Ein umfassender Bedarf für ein eigenes Aussteigerprogramm für Linksextremisten in Sachsen-Anhalt werde vom Verfassungsschutz nicht erkannt. Stattdessen solle weiterhin auf Kooperation und Synergieeffekte bei Linksextremismus und Islamismus gesetzt werden; so zum Beispiel bei Bundesprogrammen des Bundesamts für Verfassungsschutz, bei denen auch Menschen aus Sachsen-Anhalt Unterstützung finden könnten.
Stille Ausstiege, Hilfe zur Selbsthilfe
Der Vertreter des Bundesamts für Verfassungsschutz erklärte, dass im Bundesprogramm die Aussteigerprogramme in den verschiedenen Fachbereichen liefen. Anders als in Nordrhein-Westfalen würde die Behörde aber nicht proaktiv, sondern nur reaktiv auf Ausstiegswillige einwirken. Das Aussteigerprogramm für Linksextremisten laufe seit 2011 und verfolge einen ganzheitlichen Ansatz.
Meistens vollzögen sich die Ausstiege „still“, der Aussteigerweg würde – im Hinblick auf den allgemeinen Vorbehalt gegen staatliche Institutionen – nur ausnahmsweise eingeschlagen. „Ausstiegswillige dürfen nicht zu einer weiterführenden Zusammenarbeit verpflichtet werden, das sei gesetzlich ausgeschlossen. Vornehmlich werde im Programm Hilfe zur Selbsthilfe geboten, also Kontakte zu Jobcentern, Behörden, Vermietern etc.
„Aussteigerprogramm ist begrüßenswert“
Christian Jung, Gründer des Internetportals „Metropolico“ (Vorsitzender Metropolico UG) und seines Zeichens einst bayerischer Landesvorsitzender der rechtspopulistischen Partei „Die Freiheit“ hält ein Aussteigerprogramm für Linksextremisten in Sachsen-Anhalt für begrüßenswert. Ein erfolgreiches Programm setze aber eine überzeugende Positionierung staatlicher Behörden gegenüber Linksextremismus voraus, dies geschehe in Sachsen-Anhalt nur unzureichend.
Vor diesem Hintergrund kritisierte er die staatliche Förderung von nach seiner Ansicht nach linkspolitischen Aktionen und Initiativen. Darüber hinaus würden in Sachsen-Anhalt im Vergleich mit rechten Straftaten weniger Straftaten von linker Seite als extremistisch ausgewiesen, es handle sich folglich um eine „zweifelhafte Erfassung extremistischer Straftaten“.
Der Ausschuss für Inneres und Sport wird sich in einer späteren Sitzung wieder mit dem Antrag und den Ergebnissen der Anhörung auseinandersetzen. Ziel ist die Erstellung einer Beschlussempfehlung, die dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden soll.