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Plenarsitzung

Aus: Keine Atomkraft aus Stendal

06. Aug. 2020

Das Kernkraftwerk Stendal sollte eines der größten in Europa werden und nach Fertigstellung einen Großteil der 16 Millionen DDR-Bürger mit Strom versorgen. Vor dem Hintergrund der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen im Sommer 1990 wurden die Vorzeichen für das DDR-Prestigeprojekt jedoch deutlich schlechter. Am Ende standen Abwicklung und Abriss statt Einweihungsfeier und Erfolgsprämien.

Die Überreste des verlassenen Atomkraftwerks Stendal, in der Nähe von Arneburg. Foto: Felix König

Bereits 1970 hatte das Präsidium des Ministerrats der DDR beschlossen, ein drittes Atomkraftwerk nördlich von Magdeburg zu bauen. Bisher gab es ganze zwei in der DDR: Lubmin bei Greifswald und Rheinsberg im nördlichen Brandenburg. Als dritter Standort war das kleine Dorf Niedergörne (15 Kilometer entfernt von Stendal) auserkoren. Direkt an der Elbe gelegen, war es aus Sicht der Planer perfekt – die 120 Einwohner wurden zwangsumgesiedelt.

In Vorbereitung der konkreten Baumaßnahmen entstanden in Stendal-Stadtsee und Osterburg etwa 14 000 Wohnungen, daneben ein neues Krankenhaus, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten und ein Kulturzentrum. Offizieller Baubeginn für das Kernkraftwerk war im November 1981. Das Baugelände umfasste etwa 450 Hektar, umgerechnet sind das etwa 630 Fußballfelder. Im Sommer 1990 arbeiteten auf der riesigen Baustelle mehr als 7 000 Menschen. 

Auf der größten Baustelle der DDR sollten bis Ende der 1990er Jahre vier Reaktorblöcke mit insgesamt 4 000 Megawatt Leistung entstehen. Damit wären rund 20 Prozent des gesamten Energiebedarfs der DDR gedeckt gewesen. Als Vorbild dienten sowjetische Kernkraftwerke ähnlicher Bauart, jedoch sollte beim AKW Stendal erstmals sogenannte Strahlenzellenverbundtechnik eingesetzt werden, erklärte Harald Gatzke, ehemaliger stellvertretender DDR-Minister für Kohle und Energie, in einem Interview gegenüber dem ARD-Fernsehmagazin Fakt. Diese neue Technik hätte ein hohes Maß an Sicherheit garantiert, meinte Gatzke.

Harald Gatzke kam im Mai 1990 in die Altmark – in der Tasche den Auftrag der Treuhand, das Bauprojekt zu Ende zu bringen. Wie er im ARD-Interview erklärte, gab es anfangs durchaus Grund zum Optimismus: "Die Bauarbeiten am ersten Block waren zu 90 bis 95 Prozent fertiggestellt. Wir waren fest davon überzeugt: Das Kernkraftwerk wird zu Ende gebaut."

Am Ende überwogen dann aber die Bedenken der Bundespolitiker und die Ängste der Bevölkerung. Während die DDR-Bevölkerung dem Projekt zunächst aufgeschlossen gegenüberstand, hatten die Bedenken nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl 1986 deutlich zugenommen. Unter anderem ein Grund dafür, warum rund 100 Mitarbeiter der Staatssicherheit nahezu jeden Schritt auf der Baustelle überwachten. Spätestens nach einem Besuch des damaligen Bundesumweltministers Töpfer auf der Baustelle in Stendal war Gatzke klar, „dass politisch keine Absicht bestand, diese Technik zu übernehmen und weiterzuführen“.

Filmdokumentation über das Atomkraftwerk 

Youtube-Video „Der Koloss von Stendal – die teuerste Baustelle der DDR“, eine Dokumentation des MDR (2013). Youtube


Neben den steigenden Sicherheitsbedenken wuchsen auch die finanziellen Probleme für die mittlerweile gegründete KKW Stendal GmbH, denn nach der Währungsunion explodierten die Kosten. Wurden diese Anfang der 1980er Jahre noch auf rund 10 Mrd. DDR-Mark geschätzt,  gingen Projektplaner zehn Jahre später von einer Verdopplung der Kosten aus. Da sich weder die Bundesrepublik noch private Investoren für das Projekt begeistern konnten, war das Ende für die größte Baustelle der DDR besiegelt.

Am 14. Juli 1990 forderte der Kreistag Stendal einen offiziellen Baustopp für das Atomkraftwerk. Am 17. September 1990 wurde dann vom Generalauftragnehmer, der Kraftwerks- und Anlagenbau AG Berlin, ein vorläufiger Baustopp verfügt, die Beschäftigten wurden auf Kurzarbeit „Null“ gesetzt. Endgültig eingestellt wurde der Bau der beiden Reaktoren im März 1991. Gleichzeitig beauftragte die Treuhand die KKW Stendal GmbH und die Kraftwerksanlagenbau GmbH Berlin die noch bestehenden Investitionsleistungsverträge abzuwickeln. 

Modernes Zellstoffwerk entstanden

Elf Jahre nach der Abwicklung des KKW Stendal entstand auf dem Gelände zwischen Stendal und Arneburg eines der größten und modernsten Zellstoffwerke Europas. Heute arbeiten dort mehr als 500 Beschäftigte und produzieren hochwertigen Zellstoff, der vor allem bei der Herstellung von Druck- und Hygienepapieren sowie als Verstärkungsfaser bei der Verarbeitung von Altpapier eingesetzt wird. Darüber hinaus ist Zellstoff Stendal gleichzeitig Betreiber von Deutschlands größtem Biomassekraftwerk mit einer Leistung von 135 MW. Das Werk erzeugt seinen gesamten Eigenbedarf an Strom selbst, und speist darüber hinaus einen großen Teil der auf Basis erneuerbarer Rohstoffe erzeugten Energie in das öffentliche Stromnetz ein.

Der Text stammt aus unserem Archiv vom Oktober 2015.