Die Landesregierung hatte Ende Januar 2019 den Entwurf für ein Drittes Buch des Justizvollzugsgesetzbuches in den Landtag eingebracht, das sich konkret mit dem Vollzug des Jugendarrests beschäftigt. Der Gesetzentwurf soll die landesrechtlichen Grundlagen für einen modernen Vollzug des Jugendarrests in Sachsen-Anhalt schaffen und regelt unter anderem Aufnahme, Unterbringung, Bildung, Beschäftigung, Entlassung und Nachsorge der jugendlichen Straftäter sowie Aufbau und Organisation der Anstalten. In Sachsen-Anhalt gibt es bislang keine eigenständige Rechtsgrundlage für den Vollzug des Jugendarrests, nur einige Einzelbestimmungen im Jugendgerichtsgesetz und im Strafvollzugsgesetz.
Nach der Ersten Beratung im Plenum wurde der Gesetzentwurf federführend in den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung überwiesen. Dort fand am Freitag 7. Juni 2019 eine öffentliche Anhörung zu dem Thema statt.
Gleichzeitig wurde über einen Antrag der Fraktion DIE LINKE vom September 2017 beraten. Bereits damals hatte sie den Landtag gebeten, die Landesregierung aufzufordern, einen Gesetzentwurf über den Vollzug des Jugendarrests in Sachsen-Anhalt vorzulegen. Der Antrag enthält umfangreiche konkrete Anregungen über die Ausgestaltung „eines modernen, pädagogisch zeitgemäßen und zeitnahen Vollzugs des Jugendarrestes“.
Was ist Jugendarrest und welches Ziel hat er?
„Der Jugendarrest ist keine Strafe im Rechtssinn, sondern ein sogenanntes Zuchtmittel nach dem Jugendgerichtsgesetz“, erklärte Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) bei der Einbringung des Gesetzentwurfs im Januar 2019. Als kurzzeitige Freiheitsentziehung für Jugendliche und Heranwachsende stehe der Jugendarrest zwischen den Erziehungsmaßregeln und der Jugendstrafe.
Er werde verhängt, wenn eine Verwarnung oder die Erteilung von Weisungen und Auflagen nicht mehr ausreichen, um den Jugendlichen das Unrecht, den Unrechtsgehalt ihrer Vergehen vor Augen zu führen und ein Bewusstsein für das begangene Unrecht nicht besteht, aber eine Gefängnisstrafe noch nicht geboten ist, erläutert die Justizministerin weiter. In diesem Sinne sehe das Jugendgerichtsgesetz verschiedene Formen des Jugendarrests vor (Freizeit-, Kurzzeit-, Dauer-, Warnschuss- und Beugearrest).
Ziel des Jugendarrests ist es, die Jugendlichen zu einem eigenverantwortlichen Leben zu befähigen, so Justizministerin Keding. Dabei sie ein strukturierter Tagesablauf ebenso wichtig, wie sinnvolle Freizeitbeschäftigung und die „Vermittlung von Werten und Prinzipien eines gewaltfreien Zusammenlebens“.
Große Herausforderung dabei sei natürlich die kurze Aufenthaltsdauer der Jugendlichen (maximal vier Wochen) bei gleichzeitig häufig sehr komplexen Problemen. Daher könne der Vollzug des Jugendarrests nur einen ersten Impuls für eine veränderte Lebenseinstellung geben, die Vermittlung in weitergehende Hilfen veranlassen und die Jugendlichen zu einer aktiven Rolle in ihrem Leben motivieren.
Die Meinung der Anzuhörenden im Einzelnen
Der Kinder- und Jugendring Sachsen-Anhalt e. V. (KJR) lehnt den Jugendarrest als Zucht- und Erziehungsmittel grundsätzlich ab, erklärte Johannes Schmidt. Da es ihn nun aber einmal gebe, sollte er unbedingt in ein umfangreiches Hilfsangebot eingebettet werden. Dies betreffe sowohl Prävention als auch Nachsorge. Auch Bezugspersonen aus dem Alltag mit engem Vertrauensverhältnis (neben Eltern auch Großeltern, Lehrer, Freunde, Vereinstrainer) sollten einbezogen werden.
Des Weiteren sei die Jugendarrestanstalt mit ausreichend qualifiziertem Personal (Psychologen und Sozialarbeitern) auszustatten. Ebenfalls nötig sei ein Jugendarrestvollzugsplan der im Rahmen einer Konferenz aufgestellt wird. Die Einrichtung müsste zudem über ein Gewalt- und Deeskalationskonzept verfügen. Einen besonders gesicherten Arrestraum innerhalb der Anstalt lehnt der KJR ab.
Prävention statt Repression
Pascal Begerich vom Landesjugendhilfeausschuss Sachsen-Anhalt bezweifelt die erzieherische Wirkung des Jugendarrests. Eher sei zu beobachten, dass sich die Jugendlichen mit dem Aufenthalt „brüsten“ und erste Kontakte zum kriminellen Milieu erhielten. „Verweildauer und Rahmenbedingungen des Jugendarrests könnten die vorliegenden Sozialisationsdefizite in keinem Fall ausgleichen.“ Begerich ist überzeugt: Bei Jugendlichen bewirke Prävention mehr als Repression!
Die erzieherischen Ziele ließen sich aufgrund der kurzen Zeit (maximal vier Wochen Jugendarrest) nur schwer verwirklichen, Maßnahmen der Jugendhilfe hätten eine deutlich längere Wirksamkeit. Während des Jugendarrests müsse es für die Jugendlichen ein möglichst großes Maß an Individualität geben. Außerdem sollte darüber nachgedacht werden, Maßnahmen zur Suchtberatung und psychologischen Betreuung anzubieten.
Oftmals lägen zwischen Tat und Vollstreckung viele Monate, in denen sich die Situation des Jugendlichen schon stabilisiert haben könne. Wenn dann jemand aus seinem sozialen Umfang herausgerissen werde, sei dies nicht hilfreich sondern eher kontraproduktiv, kritisierte Begerich.
Täter-Opfer-Ausgleich auch im Jugendarrest
Jugendarrest könne immer nur eine flankierende Maßnahme sein, erklärte Tobias Lentze, vom Landesverband für Kriminalprävention und Resozialisierung Sachsen-Anhalt e. V.. Wichtig sei herauszufinden, wo die Gründe für das Verhalten der Arrestanten liegen. Außerdem sollte die „Bereitschaft zur Mitwirkung lernpsychologisch betrachtet, belohnend geweckt und gefördert werden“. Eine erzieherische Auseinandersetzung sei nur möglich, wenn der Jugendliche auch bereit dazu sei.
Lentze sprach sich unbedingt für eine räumliche Trennung zwischen Jugendarrest und Jugendvollzug aus, Kurz- und Freizeitarrest sollten gänzlich abgeschafft werden. Wichtig sei zudem, beim jugendlichen Täter ein Bewusstsein für den dem Opfer zugefügten Schaden zu wecken und ihn wiedergutzumachen. Die Methode des „Täter-Opfer-Ausgleichs“ werde vom Landesverband daher auch im Bereich des Jugendarrests empfohlen.
Kosten-Nutzen-Rechnung spricht für Sozialarbeiter
Weiterhin empfahl Lentze, mit der „Freien Straffälligenhilfe“ zusammenzuarbeiten und diese in Paragraf 6 des Gesetzentwurfs aufzunehmen. Sie sei bereits viele Jahre in der Kriminalprävention und Resozialisierung aktiv und regional gut vernetzt. Wünschenswert wäre zudem mehr psychologisches und pädagogisches Personal, so Lentze. Dieses könnte einen passenden Weg nach dem Jugendarrest ebnen, beispielsweise ein stationäres Sozialtraining veranlassen.
Laut Zahlen des Statistischen Landesamt Sachsen-Anhalt belaufen sich die Kosten für vier Wochen Dauerarrest pro Person auf rund 6.500 Euro. Demgegenüber stünden Personalkosten für eine pädagogische Fachkraft, die in Form von Einzelbetreuung nachhaltig und individuell- partizipativ Hilfe gestalten könne, von 3.300 Euro brutto, erklärte Lentze.
Richterin meint: Jugendarrest ist notwendig
Typische Arrestanten kämen aus bildungsfernen Familien mit sozialen Problem, seien zwischen 16 und 20 Jahren und etwa die Hälfte sei drogenabhängig, beschrieb Richterin Kathleen Aschmann, Richterin am Amtsgericht Halle, ihre praktischen Erfahrungen. Die Taten der Arrestanten reichten von räuberischer Erpressung über Nötigung bis hin zu Körperverletzung. Oft habe es vor dem Jugendarrest schon eine Vielzahl von Maßnahmen und Möglichkeiten zur „Wiedergutmachung“ gegeben, die jedoch offenbar nichts gebracht hätten.
Aus ihrer Sicht ermögliche der Jugendarrest einen regelmäßigen Tagesablauf und eine andere Perspektive zum herkömmlichen Alltag. Natürlich könne er nicht 15 Jahre problematische und vielleicht gescheiterte Erziehung aufarbeiten, räumte Richterin Aschmann ein. Anders als ihre Vorredner hielt sie einen gesicherten Arrestraum für zwingend erforderlich, da es durchaus erhebliches Gewaltpotential unter den Jugendlichen gebe.
Der Datenschutzbeauftragte des Landes Sachsen-Anhalt, Harald von Bose, erklärte, dass Jugendarrestgesetz wolle auf eigene datenschutzrechtliche Regelungen verzichten, indem es auf das Justizvollzugsdatenschutzumsetzungsgesetz verweise. Dadurch werde der Jugendliche im Jugendarrest in Bezug auf den Datenschutz wie ein Gefangener im Strafvollzug behandelt. Dies hält von Bose für problematisch und empfahl es zu überdenken.
So geht es mit dem Gesetzentwurf weiter
Der Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung wird sich einer seiner weiteren Sitzungen erneut mit dem Gesetzentwurf beschäftigen. Ziel ist eine Beschlussempfehlung für den Landtag zu erarbeiten.