Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration führte am Mittwoch, 16. Januar 2019, eine Anhörung in öffentlicher Sitzung durch, die auf die Ausgestaltung einer Änderung des Behindertengleichstellungsgesetzes gemünzt war. Dem vorausgegangen war die Einbringung eines Gesetzentwurfs der Landesregierung in den Landtag im November 2018, der von den Abgeordneten in den Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration überwiesen worden war.
Ausgangspunkt des Gesetzentwurfs ist die EU-Richtlinie 2016/2102, deren Zweck es ist, digitale Produkte und Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen besser zugänglich zu machen. So sollen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die einen barrierefreien Zugang zu Websites und mobilen Applikationen öffentlicher Stellen regeln, angeglichen werden.
Gleichzeitig soll durch die Umsetzung eines Landtagsbeschlusses eine Landesfachstelle für Barrierefreiheit geschaffen werden, die bei der Unfallkasse Sachsen-Anhalt angesiedelt werden soll. Die Fraktion DIE LINKE hatte einen Änderungsantrag eingebracht, durch den die Schaffung einer Landeskoordinierungsstelle für Mädchen und Frauen mit Behinderungen Eingang in das Gesetz finden soll.
Die Interessenvertreter verschiedener Institutionen gaben Stellungnahmen ab und stellten sich anschließend den Nachfragen der Abgeordneten. Im Folgenden finden Sie – zusammengefasst – die Wortmeldungen der Angehörten:
Stellungnahmen der Behindertenverbände
Es sei generell notwendig, das Behindertengleichstellungsgesetz des Landes zu novellieren, betonte Dr. Jürgen Hildebrand, Vorsitzender des Allgemeinen Behindertenverbands in Sachsen-Anhalt e. V. Die Interessen der Menschen mit Behinderung scheinen nur eine geringe Rolle in der Arbeit der Landesregierung zu spielen. Generell stehe der Behindertenverband für eine barrierefreie Gestaltung der Gesellschaft ein. Die Ausnahmeregelungen und Beschränkungen der barrierefreien Gestaltung der Gesellschaft seien aber nicht hinnehmbar. Die durch das Gesetz angestrebten Änderungen bzw. Verbesserungen liefen so oft ins Leere, so Hildebrand. Die Einrichtung der von der Fraktion DIE LINKE vorgeschlagenen Landeskoordinierungsstelle werde vom Verband unterstützt.
Marcus Graupner, Vorsitzender des Allgemeinen Behindertenverbandes in Deutschland, äußerte sich zum Bereich öffentlicher Personennahverkehr: Barrierefreie Bahnhöfe suche man mancherorts vergebens. Es gelte, möglichst alle Bereiche der Gesellschaft bei deren inklusiven Umgestaltung mitzunehmen.
Behindertenbeauftragter der Landesregierung
Die Schaffung des Gesetzentwurfs durch die Landesregierung und dessen Erste Beratung im Plenum sei viel zu schnell erfolgt, so habe es von den Betroffenenverbänden keine adäquate Mitarbeit geben können, kritisierte Maike Jacobsen als erste von vier Vertreterinnen des Behindertenbeauftragten der Landesregierung von Sachsen-Anhalt und als Mitglied des Landesbehindertenbeirats (der selbst einen Gesetzentwurf vorgelegt hat). Das Gleichstellungsgesetz soll einen qualitativen Mehrwert für Menschen mit Behinderung und handlungsfähige Gremien liefern, die Landesregierung habe allerdings nur ein Gesetzesfragment vorgelegt. „Wir lehnen den Gesetzentwurf der Landesregierung ab“, so Jacobsen, es handle sich lediglich um „hektischen Aktionismus“ seitens der Landesregierung.
Der Gesetzentwurf der Landesregierung ziele auf die Umsetzung von EU-Richtlinien, aber er enthalte keinerlei Konkretisierung, welche Aufgaben eine im Entwurf vorgesehene Landesfachstelle übernehmen soll, erklärte Scarlett Herrmann. „Alles, was die EU-Richtlinie fordert, ist enthalten; alles, was Menschen für ein würdiges Leben und Altwerden benötigen, fehlt“, bemängelte Herrmann.
Zwar sei die Beseitigung von Barrieren bei Neubauten gesetzlich geregelt, trotzdem würden mit öffentlichen Mitteln Barrieren erhalten oder neu geschaffen, kritisierte Yvonne Jahn. Menschen mit Behinderung würden weiterhin wissentlich ausgegrenzt. In Seniorenheimen im Land gebe es mitunter solche Mängel, dass die Feuerwehr unlängst eingeräumt habe, im Brandfall Menschen mit schwerer Behinderung nicht retten zu können.
Welche Möglichkeit haben Beschäftigte im öffentlichen Dienst, überhaupt ihren Arbeitsplatz zu erreichen?, fragte Sandra Osterburg. „Wir brauchen eindeutige Vorschriften für Barrierefreiheit.“ Osterburg warb bei den Abgeordneten dafür, den „rudimentären Vorschlag der Landesregierung zur teilweisen Änderung des Gleichstellungsgesetzes“ zurückzuweisen und sich stattdessen dem Gesetzentwurf des Landesbehindertenbeirats zuzuwenden und ernsthaft zu verwenden.
Weitere Wortmeldungen
Die im Gesetzentwurf vorgesehenen Verordnungsermächtigungen (§ 16e) seien noch einmal zu prüfen, erklärte Heiko Liebenehm für den Landkreistag und den Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalt. Ein weiterer Änderungsvorschlag der kommunalen Spitzenverbände bezieht sich auf Kostenerstattungen für Kommunen, die im § 16f geregelt sind.
Grundsätzlich werde die Novellierung des Behindertengleichstellungsgesetzes begrüßt, sagte Scarlett Herrmann vom Selbstbestimmt Leben in Sachsen-Anhalt e. V. Allerdings seien keine Menschen mit Behinderung bzw. deren Verbände in die Erarbeitung des Gesetzentwurfs einbezogen worden. Es sei nicht verständlich, warum das Konzept des ehemals agierenden Kompetenzzentrums für Barrierefreiheit (LAKOB) bei jener zu schaffenden hauptberuflichen Landesfachstelle nicht berücksichtigt worden sei. Der Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE werde begrüßt.
Das Vorhaben der Einrichtung einer Landesfachstelle für Barrierefreiheit bei der Unfallkasse durch die Landesregierung werde von der Unfallkasse Sachsen-Anhalt begrüßt, so deren Vertreter Martin Plenikowski. Die Landesfachstelle soll zentrale Anlaufstelle zu Fragen der Barrierefreiheit für die öffentlichen Stellen sein. Die im Gesetz vorgesehene Personalausstattung sei quantitativ und qualitativ wohl angemessen; eine genaue Einschätzung sei aber erst nach zweijähriger Arbeit möglich.
Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration wird sich in seinen kommenden Sitzungen weiter mit dem Gesetzentwurf der Landesregierung und dem Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE beschäftigen. Am Ende der Beratungen soll eine Beschlussempfehlung entstehen, die dem Landtag zur Abstimmung vorgelegt werden soll.