Bei der zentralen Gedenkstunde zum Volkstrauertag am Sonntag, 17. November 2019, im Landtag von Sachsen-Anhalt am wurde der Toten der Kriege und der Opfer von Gewaltherrschaften gedacht. Der Volkstrauertag stand in diesem Jahr – unter dem Motto „Die Welt braucht Friedensstifter“ – ganz im Zeichen der Gründung des Volksbunds vor 100 Jahren, auf dessen Initiative der Gedenktag ins Leben gerufen wurde.
„Wir erinnern und gedenken, weil wir nicht vergessen dürfen. Wir greifen die Botschaft der Millionen Gräber in der Vergangenheit und der Opfer in der Gegenwart dafür auf“, betonte Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch. „Deren Botschaft heißt ‚Frieden und Versöhnung‘. Dafür einzutreten, ist eine Mahnung, die die Opfer, an die erinnert und gedacht wird, uns mitgegeben haben.“
Die Gedenkrede hielt in diesem Jahr Botschafter a. D. Dr. Axel Hartmann. Er war in seiner Zeit als Generalkonsul in Italien und später als Botschafter in der Slowakei mit den Belangen der Kriegsgräberfürsorge im Ausland befasst und hat ganz unterschiedliche Ereignisse im Umgang mit den Kriegstoten, insbesondere dem Gedenken an die Gefallenen, miterlebt.
„Einen Schlussstrich wird es nicht geben“
Der Volksbund habe vor 100 Jahren die Aufgabe übernommen, die Gefallenen des Ersten Weltkriegs zu bergen und zu identifizieren, erinnerte Dieter Steinecke, der Vorsitzende des Landesverbands Sachsen-Anhalt im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V., noch mehr Leid sei durch den Zweiten Weltkrieg über die Menschen gekommen.
Der Volksbund gebe den Menschen mit den gepflegten Kriegsgräberstätten einen Ort der Trauer und des Nachdenkens. Dies sei eine Art, die Vergangenheit zu bewältigen. Nie, nie wieder sollten neue Kriegsgräberstätten anzulegen sein, forderte Steinecke. Die Kriege hätten unermessliches Leid und Zerstörung und Millionen Tote gebracht, die Menschheit habe den Boden unter den Füßen verloren.
Der Volksbund sei in der DDR verboten gewesen, sagte Steinecke, denn dort habe er als revanchistische Vereinigung gegolten. Nach der Wiedervereinigung sei auch ein Landesverband in Sachsen-Anhalt entstanden. Noch heute fragten Menschen nach ihren Angehörigen, diese Zeit könne damit nicht abgeschlossen sein. Es dürfe nicht sein, dass die Ewiggestrigen Nationalismus und Fremdenhass das Wort redeten. Die Kriegsgräberstätten der Welt zeigten, was geschehe, wenn uns der Mut für Frieden und Gerechtigkeit fehlten. „Einen Schlussstrich kann und wird es nicht geben, denn Vergangenheit gibt es nur als Ganzes“, betonte Steinecke.
Gemeinsame Form der Trauer und des Gedenkens
Die Gründung des Volksbunds sei 1919 aus einer Art Bürgerbewegung hervorgegangen, die sowohl den deutschen als auch den ausländischen Opfern gedenken wollte, resümierte Axel Hartmann. Die Geschichte des Volksbunds sei indes ambivalent, der junge demokratische Frühling in der Weimarer Republik habe nur kurzen Bestand gehabt, der Volksbund sei auch hier eher im national-konservativen Milieu angesiedelt gewesen. Dem sei die Heldengedenktagsmythologie mit nationalistischem Pathos der Nationalsozialisten gefolgt, bevor es in der Bundesrepublik eine Rückbesinnung auf frühere Ziele, in der DDR das Verbot gab.
Deutschland habe unermessliches Leid über die Menschen in Europa gebracht, Millionen über Millionen Tote seien die Folge der deutschen Angriffskriege gewesen, sagte Hartmann. Der Volksbund kümmere sich um die Pflege der Grabstätten und die Umbettung von Kriegstoten: 2,8 Millionen Kriegstote auf etwa 800 Friedhöfen in 46 Staaten. Besonderes Augenmerk werde dabei auf gemeinsame friedenspädagogische Jugendtreffen zwischen den Staaten gelegt – „und dies in der längsten und hoffentlich nie enden wollenden Friedensphase in Europa“, wünschte sich Hartmann.
Das Erinnern an die Kriegstoten sei mitunter schwierig gewesen, eigene Erfahrungen sammelte Hartmann etwa während seines diplomatischen Dienstes in Ungarn und in Italien. In Italien beispielsweise habe es 1988 eine Kontroverse im Gedenken gegeben, als aufgedeckt worden sei, dass auf dem Soldatenfriedhof Costermano seit 1959 unter denn 22 000 deutschen toten Soldaten drei schwere Kriegsverbrecher bestattet lagen – darunter Christian Wirth [unter anderem Vorgesetzter der Kommandanten der Vernichtungslager Belzec, Treblinka und Sobibor sowie treibende Kraft bei der „Aktion T4“; A.d.R.]. Opferverbände weigerten sich daher, am Volkstrauertag an der dortigen Veranstaltung teilzunehmen.
Gemeinsam von deutscher und italienischer Seite habe man eine Lösung und eine für alle vertretbare Form der Trauer und des Gedenkens gefunden. In klaren Worten beschreibe ein Text in der Gedenkstätte die Verbrechen der drei Kriegsverbrecher. Die Namen der drei SS-Leute sind aus dem „Ehrenbuch“ des Friedhofs getilgt und ihre Dienstgrade auf den Grabsteinen entfernt worden.
Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch sprach traditionell das Totengedenken, bei dem aller Opfer von Krieg, Verfolgung, Terrorismus und anderer Ursachen gedacht wird. Die musikalische Gestaltung der Gedenkstunde oblag der 10. Klasse des Magdeburger Kinder- und Jugendchores. Schülerinnen des Hegel-Gymnasiums Magdeburg trugen zudem Gedichte vor.
Im Anschluss an die Gedenkstunde wurden Kränze auf dem Westfriedhof in Magdeburg niedergelegt. Am Vortag des Volkstrauertags waren bereits Kränze an den Kriegsgräbern in Magdeburg auf dem Westerhüser Friedhof, im Nordpark und dem Neustädter Friedhof niedergelegt worden.
Hintergrund: Volkstrauertag
Der 1919 ins Leben gerufene Verein Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge initiierte noch im Jahr seiner Gründung den späterhin genannten Volkstrauertag als Gedenktag für die gefallenen deutschen Soldaten des Ersten Weltkrieges. Die erste Gedenkstunde wurde 1922 im Berliner Reichstag abgehalten. Mit dem Volkstrauertag verband der Volksbund eine klare Zielvorstellung: Er wollte bei allen Deutschen eine einheitliche Erinnerung an das Leid des Krieges bewirken und so die Menschen über die Schranken der Parteien, der Religionen und der sozialen Stellung hinweg zusammenführen. Die zentrale Gedenkstunde zum Volkstrauertag findet jährlich im Deutschen Bundestag statt, parallel dazu gibt es Veranstaltungen in den Landesparlamenten. Fester Bestandteil ist das sogenannte Totengedenken.