Das Bundesgesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht trat am 29. Juli 2017 in Kraft. Der in § 47 Asylgesetz neueingefügte Absatz 1b ermöglicht es den Ländern, für Asylsuchende eine längere Wohnverpflichtung als die in Absatz 1 der Vorschrift bisher vorgesehenen sechs Monate zu regeln. Zur Umsetzung der bundesrechtlich für die Länder eingeräumten Regelungsmöglichkeit ist eine landesgesetzliche Regelung erforderlich.
Diese brachte die Landesregierung mit einem Gesetzentwurf im August 2018 in den Landtag ein. Dieser wurde nach der Ersten Beratung federführend in den Ausschuss für Inneres und Sport überwiesen. Hier fand am Donnerstag, 11. Oktober 2018, eine Anhörung in öffentlicher Sitzung statt.
Standpunkte des Flüchtlingsrats
„Unser Rat spricht sich gegen die Anwendung des Gesetzes in Sachsen-Anhalt aus“, erklärte Stefanie Mürbe vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e. V. Die Unterbringung in den Aufnahmeeinrichtungen sei so kurz wie möglich zu gestalten, da es sich hier um einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grund- und Menschenrechte der Betroffenen handle.
Deren derzeitiges Leben sei ohnehin durch die psychosoziale Belastung durch Krieg, Flucht und der dauerhaften Isolation in der Unterkunft gekennzeichnet. „Wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nicht kurzfristig entscheiden kann, dass der Asylantrag unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist, müssen Asylsuchende entsprechend der bundesgesetzlichen Regelung unverzüglich die Aufnahmeeinrichtung verlassen dürfen.“ Es gebe keine empirischen Belege, dass die Zahl der Abschiebungen durch einen längeren Aufenthalt in den Einrichtungen ansteige.
„Das Gesetz setzt den Fokus auf eine spätestmögliche Integration“, kritisierte Mürbe. Der Zugang zum Bildungssystem solle nicht verzögert werden. Es gebe dringenden Regelungsbedarf hinsichtlich der Asylberatung, die vor der Anhörung zum Asylverfahren stattfinden müsse, sagte Mürbe abschließend.
Anmerkungen von den Gemeindevertretern
Der Städte- und Gemeindebund sowie der Landkreistag sprechen sich dafür aus, nur anerkannte Flüchtlinge in die Landkreise zu verteilen, erklärte deren Vertreterin Sabine Fiebig. Alle Nicht-Anerkannten sollten länger in den Erstaufnahmeeinrichtungen belassen werden. Dieses Ansinnen greife der Gesetzentwurf auf, er solle auch so beschlossen werden, so Fiebig.
Das Inkrafttreten des Gesetzes sei sehr kurzfristig geplant, merkte Fiebig an. Die Landkreise hätten jedoch Unterbringungskapazitäten (mit Bindung an Vermietung) geschaffen. Sollten dieses nun nicht in Anspruch genommen werden (da die Aslbewerber länger in den Aufnahmezentren verweilen würden), sei von Landesseite her finanzieller Ersatz zu gewähren. Zudem bestehe ein Personalmehrbedarf in den Ausländerbehörden (insbesondere in den Landkreisen Harz und Stendal), dieser Mehrbedarf müsse ausgeglichen werden.
Fiebig regte an, den Katalog der Ausnahmen noch einmal kritisch zu prüfen. So seien sehr viele Gruppen von Menschen von einer längeren Unterbringung in den Aufnahmeeinrichtungen ausgenommen. „Aber auch alleinreisende Frauen können dort geschützt untergebracht werden“, so Fiebig. Bei ethnisch Verfolgten solle erst eine eingehende Prüfung vollzogen werden, ehe Ausnahmen erteilt würden.
Erfahrungsbericht aus der Erstaufnahmeeinrichtung
Als letzter Anzuhörender meldete sich Liban Hassan, Vorsitzender der Diaspora Somalia (Organisation der Somalis in Deutschland) und selbst Asylbewerber in Deutschland, zu Wort. Hassan berichtete von seinen Erlebnissen im Aufnahmelager in Halberstadt. Man fühle sich dort isoliert, wie ein Gefangener. Durch das Aufenthaltsgebot dürfe man sechs Monate den Landkreis nicht verlassen, zudem brauche man eine Genehmigung, die Einrichtung verlassen zu dürfen. So sei es schwer, Freunde und Familie außerhalb von Sachsen-Anhalt zu besuchen.
Brauche man ärztliche Hilfe, müsse man in der Erstaufnahmeeinrichtung einem Mitarbeiter der Einrichtung sein Problem vortragen, und wenn dieser denkt, dass man krank sei, bekommt man ein Schreiben für das Sozialamt, dort dann wiederum ein Schreiben, mit dem man sich dann einen Arzt suchen könne. So vergingen mitunter Wochen bis zum Arztbesuch.
Hassan wünsche sich, schneller eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Diese sei während des Aufenthalts in der Erstaufnahmeeinrichtung nicht zu erhalten. Viele Asylbewerber hätten aber entsprechende Qualifikationen. „Wir sind nicht hier wegen Sozialleistungen, sondern wegen der Sicherheitslage im Heimatland, wir wollen den deutschen Gemeinden nicht auf der Tasche liegen, sondern unseren Beitrag leisten – denn das ist auch unsere Pflicht und eine Art, wie wir danke sagen können“, erklärte Hassan. Deswegen sei von einer Fristverlängerung auf 18 Monate auch dringend abzuraten. Hassan sprach sich für eine Verweildauer von nur drei Monaten in der Erstaufnahmeeinrichtung aus, das sei realistisch zur Klärung aller Fragen im Asylverfahren.
Der Ausschuss für Inneres und Sport und die anderen beratenden Ausschüsse werden sich in ihren weiteren Sitzungen mit dem Gesetzentwurf der Landesregierung beschäftigen, bevor dem Plenum eine Beschlussempfehlung vorgelegt werden wird.