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Plenarsitzung

Podiumsdiskussion zum Frauenwahlrecht

Am 15. Dezember 1918 konnten auf dem Gebiet des heutigen Landes Sachsen-Anhalt erstmals Frauen ihre Stimme bei den Wahlen für den Landtag des damaligen Freistaats Anhalt abgeben. 100 Jahre später erinnerten der Landtag und der Landesfrauenrat Sachsen-Anhalt mit einer Podiumsdiskussion am Donnerstag, 13. Dezember 2018, an diesen Meilenstein der Gleichberechtigung.

Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch fasst die heutigen Herausforderungen so zusammen: „Für unser Demokratieverständnis ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau eine wesentliche Grundlage. Auch die echte Chancengerechtigkeit ist Maßstab für unsere Gesellschaft. Doch die tatsächliche Gleichberechtigung ist kein Selbstläufer. Künftig sollten wir von starken Persönlichkeiten sprechen, anstatt vom starken Geschlecht.“

Diese Damen bestritten den Abend auf dem Podium (v.l.): Eva Labouvie, Vera Wolfskämpf, Johanna Wanka, Gabriele Brakebusch, Eva von Angern, Ute Fischer und Anne Wizorek. Foto: Stefan Müller

Im Mittelpunkt des Gesprächs auf dem Podium stand der Blick ins Heute und in die Zukunft. Bis heute setzen sich Frauen aktiv für ihre Rechte ein. Was verbindet sie? Welche Fragen sind bis heute wichtig im Kampf für mehr Frauenrechte und wo liegen heute die Herausforderungen? Auf Einladung von Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch und der Vorsitzenden des Landesfrauenrats Eva von Angern (MdL) diskutierten unter der Moderation von Vera Wolfskämpf (MDR):

  • Ute Fischer (Mitglied des Landtags von Sachsen-Anhalt 1994–2006 sowie Vorsitzende des Landesfrauenrates Sachsen-Anhalt e. V. 2005–2010)
  • Prof. Dr. Eva Labouvie (Lehrstuhl für Geschichte der Neuzeit/Geschlechterforschung an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg)
  • Prof. Dr. Johanna Wanka (Bundesministerin a. D.)
  • Anne Wizorek (Publizistin)


Herausforderungen gibt es auch heute noch

Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch erinnerte in einer kleinen historischen Rückschau an das Erstreiten des Wahlrechts für Frauen seit Mitte des 19. Jahrhunderts. 82,3 Prozent der Frauen hatten sich an der reichsweiten Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 beteiligt.

Es müsse noch mehr getan werden, um beispielsweise die Chancengleichheit im beruflichen Alltag für Männer und Frauen zu gewährleisten. Führungsposten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sollten in Zukunft stärker mit Frauen besetzt sein, forderte Brakebusch. Der Landtag sei hier kein gutes Beispiel, wo der Frauenanteil lediglich rund 20 Prozent der Abgeordneten betrage.

Kurzer historischer Abriss

Die Frauen im Freistaat Anhalt seien mit der Teilnahme an der Wahl zum Landtag am 15. Dezember 1918 zwar deutsche Pionierinnen des aktiven, aber nicht des passiven Wahlrechts gewesen – denn es gelang zunächst keiner Frau der Sprung in den Landtag, rekapitulierte Prof. Dr. Eva Labouvie. Vornehmlicher Grund: Weil alle auf aussichtslosen Listenplätzen der Parteien gestanden hatten. Erst ein Jahr später hätte es Marie Kettmann geschafft, als Nachrückerin (für gut ein halbes Jahr) Abgeordnete im Landtag Anhalt zu werden.

„Heraus mit dem Frauenwahlrecht“ hatte der Leitspruch der Frauen im 19. Jahrhundert gelautet, nur eine Forderung der vielen lokalen und überregionalen Frauengruppen, die sich auch für mehr Teilhabe im gesellschaftlichen Leben eingesetzt hätten, erinnerte Labouvie.

Wortmeldungen aus der Podiumsdiskussion

Frauen müssten verstärkt jene Parteien wählen, in denen Frauen auch repräsentiert würden und eigene Netzwerke aufbauen könnten, mahnte Ute Fischer an. Frauen würden Frauen nicht wählen, es würden aber auch nur wenige Frauen zur Wahl stehen, kritisierte Fischer. Politische Partizipation (zum Beispiel Nachmittagssitzungen im Kreistag) werde in vielen Unternehmen aber auch erschwert.

Auch Anne Wizorek, Etabliererin von „#aufschrei“ erkannte ein strukturelles Problem in den Parteien: Frauen würden nicht wollen, würden aber auch nicht gelassen. Das Alpha-Männchen-System in der Parteienlandschaft stünde dem Engagement von Frauen im Wege. Im Oktober 2014 hatte Wizorek das Buch „Weil ein Aufschrei nicht reicht. Für einen Feminismus von heute.“ veröffentlicht. Mit frauenorientierten Themenstellungen könnte es den Parteien gelingen, Frauen als Wählerinnen und politisch Engagierte „abzuholen“, so die Publizistin.

Es dauere lange, bis politische Ziele erreicht würden und diese seien sehr fragil, sagte Eva Labouvie. Dennoch gebe es unheimlich viele Frauen, die Geschichte gemacht, aber nicht geschrieben hätten – heißt: sie hätten zwar wichtige Leistungen für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft erbracht, seien aber dennoch vergessen worden oder unbekannt geblieben.

Das Wahlrecht habe eine Schlüsselposition inne, aus heutiger Sicht sei es schier unmenschlich, dass Frauen die Mitbestimmung so lange verwehrt worden sei, erklärte Johanna Wanka. Entsetzlich sei, dass die größte Gruppe der Nichtwählenden in Deutschland ausgerechnet die der jungen Frauen sei.

Die Sozialisation spiele eine wichtige Rolle, sagte Wanka, aufgewachsen in der DDR. In der DDR-Verfassung sei die Gleichstellung von Mann und Frau verankert gewesen, aber deren Umsetzung habe doch anders ausgesehen. Zwar seien Frauen gleichberechtigt gewesen, seien arbeiten gegangen usw., aber auch in der DDR habe es ungerechte Lohnunterschiede gegeben und Frauen in Führungspositionen seien die absolute Seltenheit gewesen. Positiv zu besetzen seien die zahlenmäßig höheren Bildungsabschlüsse von Frauen in der DDR und die bessere Kinderbetreuung. Wanka forderte die Frauen auf, sich nicht in eine Opferrolle zu begeben, sondern um ihre Ziele zu kämpfen.

Die Standards und die Sicherheit, wie sie heute in Deutschland herrschten, seien nicht selbstverständlich, diese müssten mehr wertgeschätzt werden, stimmten Johanna Wanka und Ute Fischer überein. Eva Labouvie wünschte sich, dass der Leitspruch „Menschenrechte haben kein Geschlecht“ endlich Realität würde. Die Menschen- und Frauenfeindlichkeit der AfD sei das Schmiermittel für weitere negative Entwicklungen, wertete Anne Wizorek.

Stichworte und Anregungen von Podium und Zuschauern

  • parteiübergreifende Zusammenarbeit der Frauen
  • eine gemeinsame neue Utopie entwickeln
  • Fallstricke aufzeigen, die bereits Vorgängerinnen überwinden mussten
  • Veränderung der Wahlgesetze, um die paritätische Besetzung politischer Ämter zu gewährleisten
  • Grundwährung in der Politik: kein universeller Anspruch auf den einzig richtigen Lösungsweg
  • mehr Frauen in der Politik, schnellere gesellschaftspolitische Veränderungen
  • erfüllende Berufstätigkeit trotz Kindern ermöglichen

Landesfrauenrat bildet den Abschluss

Die Frauen im Landesfrauenrat seien in die Tradition der Frauen von vor 100 Jahren getreten, erinnerte Eva von Angern zum Abschluss der Veranstaltung. Auffallend sei, dass Frauen sich vielerseits außerhalb der Politik engagierten. Es gebe aber auch positive Beispiele in der Politik, über die Fraktionsgrenzen hinweg, so von Angern: „Man kann auch mit 20 Prozent Frauenanteil im Landtag etwas erreichen, man braucht nur viel Durchhaltevermögen“, so die Vorsitzende des Landesfrauenrats.