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Plenarsitzung

Stimmen aus der Anhörung

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration führte am Mittwoch, 17. Oktober 2018, eine Anhörung in öffentlicher Sitzung durch, in der sich mit zwei Gesetzentwürfen zur Kinderförderung im Land Sachsen-Anhalt beschäftigt wurde. Im Folgenden lesen Sie eine Zusammenfassung der Redebeiträge der Angehörten in der Redereihenfolge.

Zentrum für Sozialforschung Halle e. V.

Während der Evaluation des KiFöG habe sich gezeigt, dass die durchschnittliche Betreuungszeit von Kindern in Kitas bei über acht Stunden liege, erklärte Susanne Winge vom Zentrum für Sozialforschung Halle e. V. an der MLU Halle-Wittenberg. Es könnten also Kosten eingespart werden, wenn der Ganztagsanspruch von zehn auf acht Stunden reduziert würde, so Winge.

Pufferzeiten für Eltern seien aber notwendig, sodass bei Bedarf auch zehn Stunden Betreuung gebucht werden könnten. Bei der Evaluation seien auch die Ausfall- und Abwesenheitszeiten der Erzieherinnen und Erzieher (Krankentage, Schließzeiten, Fortbildungen) ermittelt worden, diese würden etwa 40 Tage im Jahr ausmachen. Die im Gesetzentwurf eingeplanten zehn Tage seien ein Anfang, würden aber dem tatsächlichen Bedarf nicht entsprechen, so Winge.

Kommunale Spitzenverbände

Jürgen Leindecker regte für die kommunalen Spitzenverbände an, die Verantwortung für die Kinderbetreuung bei den Städten und Gemeinden zu belassen. Der Spardruck in der Kommunalverwaltung sei enorm, es gelte also, kostendeckende Vereinbarungen zu treffen. Die administrative Umsetzung des Gesetzes sei nicht einfacher geworden, kritisierte Leindecker, zum Beispiel die stundenweise Abrechnung der Kita-Nutzung würde zu einem erhöhten Personalbedarf führen.

Die kommunalen Strukturen müssten im Zuge der Gesetzesnovellierung die eigenen Satzungsregelungen im Kommunalrecht anpassen – „das braucht Zeit und Vorbereitung“, so Leindecker. Er wies darauf hin, dass 2019 Kommunalwahlen seien und also Handlungslücken bei sich erst bildenden Räten bestünden. Die kommunalen Spitzenverbände weisen zudem darauf hin, dass es nicht zweckmäßig erscheine, die landesrechtlichen vor den bundesrechtlichen Neuregelungen (derzeit in Bearbeitung) zu treffen, weil das Landesrecht dem Bundesrecht folge.

Forschungsnetz Frühe Bildung

Dr. Anja Schwentesius vom Forschungsnetz Frühe Bildung an der Hochschule Magdeburg-Stendal wies darauf hin, dass sich bereits ein Fachkräftemangel in der Kinderbetreuung abzeichne. Die Ausbildung pädagogischer Fachkräfte im Gesetzentwurf der Linken werde daher begrüßt. Sie erkenne insgesamt in den Gesetzentwürfen einen Beitrag zur Qualitätssteigerung in den Einrichtungen. 

Alternative Ausbildungswege seien für die Gewinnung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nötig. Bei der Ausbildung sei eine adäquate Praxisbegleitung notwendig. Überdies sollten Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten geschaffen werden, für die es ein festgeschriebenes Budget geben sollte.

Landeselternvertretung der Kindertageseinrichtungen

Die Verbesserung der Kinderbetreuung könne freilich nur begrüßt werden, erklärte Gordon Schüler von der Landeselternvertretung der Kindertageseinrichtungen in Sachsen-Anhalt. Er kritisierte jedoch den engen Zeitrahmen der Beratung zum Gesetzentwurf. Die geplante Herabsetzung des Ganztagsanspruchs von zehn auf acht Stunden lehnt die Landeselternvertretung ab.

Die Wichtigkeit der gleichen Bildungs- und Betreuungschancen für alle Kinder sei bei der Einführung des Anspruchs auf zehn Stunden unterstrichen worden. Daran solle auch weiterhin festgehalten werden. Schüler forderte im Namen der Landeselternvertretung mehr und besseres Personal für die Kitas und eine gezielte Einbeziehung der Eltern in Vorhaben bei geplanten Änderungen des Kinderförderungsgesetzes.

Landesverbands Kindertagespflege Sachsen-Anhalt

Die Tagespflege sei ein wichtiger Bestandteil in der Kinderbetreuung, erklärte Ines Liebegott, Vorsitzende des Landesverbands Kindertagespflege Sachsen-Anhalt. Die mögliche Herabsetzung der Betreuungszeit habe schwere Auswirkungen auf die Ausstattung der Tagespflegeeinrichtungen, da die Tagesmütter pro Kind und Betreuungszeit bezahlt würden.

Es sei ein massiver bürokratischer Mehraufwand bei der Herabsetzung der Betreuungszeit zu erwarten, wenn die Mehrzeit extra beantragt beziehungsweise angemeldet werden müsse. Außerdem werde es womöglich zu einem schwer zu händelnden „Stundenhopping“ in der Betreuungszeit von 7 bis 17 Uhr kommen.

Landesjugendhilfeausschuss

Der Landesjugendhilfeausschuss sprach sich für ein Kinderförderungsgesetz aus, das allen Kindern und Eltern verlässliche Bedingungen biete. Der vorgelegte Gesetzentwurf der Landesregierung – mit der Reduzierung des Tagesanspruchs von zehn auf acht Stunden für SGB-II-Familien – bedeute hier einen Schritt zurück.

Die Ausschussvorsitzende Nicole Anger kritisierte die voraussehbare Zwei-Klassen-Tagesbetreuung, stattdessen solle es weiter beim Rechtsanspruch auf zehn Stunden Betreuung für alle Kinder bleiben. Keine wirkliche Verbesserung gebe es beim Personalschlüssel im Hort. Die Elternbeiträge sollen stabil gehalten, perspektivisch abgesenkt werden, so Anger.

Die Geschwisterregelung sei ein erster positiver Schritt, aber zu viele Familien seien dabei noch benachteiligt (Ein-Kind-Familien, Geschwister mit größerem Altersunterschied). Der Jugendhilfeausschuss sei irritiert von der Eile der Umsetzung des Gesetzesvorhabens, denn es brauche doch einen angemessenen Diskussionsprozess. Anger warb dafür, zunächst die neuen Bundesregelungen abzuwarten.

Evangelischen integrativen Kindertagesstätte St. Ulrich

Eva-Maria Wiesemann, Leiterin der evangelischen integrativen Kindertagesstätte St. Ulrich Halle (Saale), wies auf das große Manko Personalschlüssel bei der Betreuung von Kindern von unter anderthalb Jahren hin. Hier sei nur ein Schlüssel von 1:3 akzeptabel. Die Nebenaufgaben, die zur eigentlichen Betreuungszeit hinzukämen, nämlich Elterngespräche in allen erdenklichen Formen, Qualitätsmanagement, Fortbildungen, Fallbesprechungen, Konzeptionsarbeiten und vieles mehr, seien kaum zu bewältigen. Hierfür müssten im Gesetzentwurf Extrazeiten eingeplant werden.

Wenn man am System der Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsvereinbarungen (LEQ) festhalten wolle, müsse man sie auch als Grundlage für die Errechnung der Bezuschussung und der Geschwisterkindermäßigung heranziehen, erklärte Enrico Schilling, Bürgermeister der Stadt Gräfenhainichen.

Jugendamt des Saalekreises

Kritisch am Gesetzentwurf werde die Prüfung des erweiterten Betreuungsanspruchs gesehen, sagte Antje Springer vom Jugendamt des Saalekreises. Nichtsdestoweniger sei das Vorhaben als Stärkung der Eltern zu betrachten, die fortan nur die Betreuungszeiten bezahlten, die sie auch benötigten. Diese Staffelung dürfe aber nicht dazu führen, dass der Einsatz von Personal wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll sei.

Das Jugendamt begrüße die Einbindung der Gemeinden bei der weiteren Bedarfsplanung, auch die Definition der Verpflegungskosten sei zu begrüßen. Die Umsetzung des Gesetzesvorhabens zum 1. Januar 2019 sei zeitlich aber nicht zu schaffen, erklärte Springer.

LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen-Anhalt

Obwohl mit dem Gesetzentwurf auf die Verbesserung der Bedingungen in den Kita-Einrichtungen abgezielt werde, hätte die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen-Anhalteinige erhebliche Zweifel an deren Umsetzung, betonte die stellvertretende Vorsitzende Dr. Gabriele Girke.

Gelten die im Gesetz verankerten Daten und Fakten für alle Kinder und überall, tragen die Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei und bieten sie attraktive und auskömmliche Arbeitsplätze für Erzieherinnen und Erzieher sowie gute Bedingungen für freie Träger?, fragte Girke. Eher nicht. Es sei stattdessen keine signifikante Verbesserung bei der Qualität der Kinderbetreuung zu erkennen, sondern eher eine Erhöhung des bürokratischen Aufwands und unklare administrative Regelungen. Von einer breiten Entlastung der Eltern könne nicht gesprochen werden, da von den Regelungen weit weniger profitieren würden als prognostiziert worden sei.

„Die erzielten Einsparungen durch den abgesenkten Zeitanspruch werden ganz sicher vom höheren Verwaltungsanspruch aufgefressen“, glaubt Girke und fügte an: „Ist es in der Kürze der Zeit überhaupt möglich, die vorgetragenen Änderungsvorschläge noch ins Gesetzgebungsverfahren einfließen zu lassen? Sind die Regelungen eindeutig genug und vernünftig umsetzbar?“ In entscheidenden Themen treffe dies nicht zu.

Sie empfahl, das Kita-Gesetz des Bundes abzuwarten oder das Gesetz jetzt zu beschließen, es aber erst zum 1. Januar 2020 (statt wie geplant 2019) in Kraft treten lassen, um allen Beteiligten genügend Zeit für die Veränderungen zu lassen. Zudem soll es nochmal einem erweiterten Praxischeck unterzogen werden.

AWO-Kreisverband Harz

Kai-Gerrit Bädje vom AWO-Kreisverband Harz bietet mit seinem Verband einem relativ großen Bereich der Kinder- und Jugendhilfe Raum. Die frühkindliche Bildung diene dem Wohl und der Entwicklung des Kindes, betonte er. Diese müsse im Rahmen der zur Verfügung stehenden Ressourcen ermöglicht werden. Er warnte davor, dass, wenn die Betreuungszeit sinke, dies negative Auswirkungen auf den Betreuungsschlüssel in den Kitas haben werde.

Bundesagentur für Arbeit

Eine der Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit sei es, die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu schaffen, erinnerte deren Vertreterin Petra Alsleben. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Anerkennung von Fachkräften für Tageseinrichtungen werde positiv betrachtet. Derzeit kämen auf 100 Stellen 57 Fachkräfte, was einer relativ guten Quote entspreche. Wichtig sei der Bundesagentur, die Gründe für einen erhöhten Betreuungsanspruch zu konkretisieren. Gelte dies beispielsweise auch dezidiert für Maßnahmen der Agentur für Arbeit, fragte Alsleben.

GEW-Landesverband Sachsen-Anhalt

Die Qualität sei in den Kindertageseinrichtungen nicht so zu erreichen, wie vom Gesetzgeber gewollt, bemängelte Frank Wolters vom GEW-Landesverband Sachsen-Anhalt. Die personelle Unterbesetzung in den Kitas sei daran schuld. Es fehle Personal/Zeit für Leitungsaufgaben, für die Fachberatung, Praxisanleitung und vieles mehr. Die Einschränkung des Rechtsanspruchs von zehn auf acht Stunden Betreuung sei ein sozialpolitischer Rückschritt, kritisierte Wolters. Positiv am Gesetzentwurf werde gesehen, dass die Finanzierungsbeteiligung des Landes transparenter gestaltet werden soll.

Die Schulhorte seien nach wie vor ein Sorgenkind des Kinderförderungsgesetzes. Wolters empfahl, keine zeitliche Staffelung der Nutzung einzuführen, sondern einen Hortplatz generell als Sechs-Stunden-Platz zu generieren. Kritisch beäugt die GEW auch die „Aufweichung des Fachkräftegebots durch mehr Hilfskräfte“. Zuletzt sprach sich Wolters für eine Reform der Erzieherinnenausbildung aus.