Der Petitionsausschuss des Landtags von Sachsen-Anhalt führte in seiner Sitzung am Donnerstag, 16. November 2017, eine öffentliche Anhörung zur kürzlich in den Ausschuss überwiesenen Volksinitiative „Den Mangel beenden! – Unseren Kindern Zukunft geben!“ durch. Hier meldeten sich vier der Vertrauensleute zu Wort.
Viele Dinge bleiben auf der Strecke
„Uns eint das Ziel, Schule noch besser zu machen“, zitierte Dr. Thomas Jäger, einer der Vertrauensleute der Volksinitiative „Den Mangel beenden! – Unseren Kindern Zukunft geben!“ Bildungsminister Marco Tullner und unterstrich damit auch das Ziel der Volksinitiative. In einer nie dagewesenen Dimension falle jedoch Unterricht aus; das Schulwesen brenne, „unsere Schulen laufen am Limit“, kritisierte Jäger.
Zusammengelegte Klassen zur Aufsicht, oder gar Beaufsichtigung durch Eltern oder Großeltern – dies sei mitunter Realität in den Schulen in Sachsen-Anhalt. Das Defizit an Lehrern sei in allen Schulformen im Land zu beobachten. Über 100 unbesetzte Schulleiterstellen klafften im Land auf. Maßnahmen zur Inklusion und die Begabtenförderung blieben auf der Strecke. Der Unterricht sei im vergangenen Jahr insgesamt nur sichergestellt worden, indem die Klassenstärke erhöht und Pädagogen abgezogen beziehungsweise umgesetzt worden seien.
Die Ministerien seien aufgerufen, umgehend zu handeln, beispielsweise mit einem finanziell fundierten Sofortprogramm zur Einstellung von neuen Lehrkräften. Die Forderung der Volksinitiative nach zusätzlichen 1 000 Lehrern und 400 pädagogischen Mitarbeitern bleibe bestehen. Jäger kündigte für den letzten Sitzungstag des Landtags im Dezember eine Demonstration auf dem Domplatz an, bei der noch einmal alle Forderungen der Volksinitiative verdeutlicht würden. „Lasst uns Vorreiter sein, damit wir im Bereich Bildung wieder vorn dabei sind“, warb Jäger. Nur so könne gezeigt werden, dass Lehren und Lernen Spaß machten.
Aus dem Alltag einer Grundschullehrerin
Thekla Mayerhofer, ebenfalls Vertrauensperson der Volksinitiative, berichtete zunächst von ihrem Arbeitsalltag als Lehrerin in einer Grundschule. Dieser ist weit entfernt vom traditionellen Frontalunterricht ohne viele Vorkommnisse. So sei sie nicht nur Bildende, sondern auch Sozialarbeiterin, Vertrauensperson, Hausmeisterin, bei kleineren Unfällen bisweilen gar Krankenschwester.
Zeit für individuelle Betreuung einzelner Schüler bleibe kaum, der Tagesplan könne wegen unvorhersehbarer Zwischenfälle oft nicht umgesetzt werden. „Ich bin sehr gut vorbereitet, aber ich bin allein und kann meinen eigenen Plänen aufgrund der Arbeitsbedingungen nicht gerecht werden“, bedauerte Mayerhofer. „Ich liebe meinen Beruf, aber ich bin enttäuscht. Das ist nicht gerecht – für niemanden.“
Doppelte Belastung der Ressourcen
Vertrauensperson Dr. Sören Messerschmidt berichtete von der Situation in den Förderschulen und der Inklusion in den Regelschulen. Generell sei zu beobachten, dass die damit betrauten Lehrerinnen und Lehrer zum großen Teilen nicht fachspezifisch ausgebildete Lehrkräfte seien. Unterrichtsausfälle und hoher Krankenstand seien an der Tagesordnung, viele Schulen könnten die Unterrichtsangebote nicht erfüllen, von besonderen Zusatzangeboten (profilbildende Maßnahmen) ganz zu schweigen. Der Mangel an pädagogischen Mitarbeitern hätte eklatant negative Auswirkungen auf den Arbeits- und Unterrichtsalltag in den Förderschulen.
Inklusion in den Regelschulen werde nicht – wie zunächst vorgesehen – von Fachpersonal geleistet, sondern von den Lehrern vor Ort. „Das ist gar nicht zu leisten“, erklärte Messerschmidt und wies auf die nötige umfängliche Betreuung der Kinder, die Beratung der Eltern und die notwendige Diagnostik und Vorsorge hin – neben dem herkömmlichen Unterricht. „Wir haben eine doppelte Belastung der Ressourcen – aus einem Pool, der kaum dazu geeignet ist, auch nur einen der beiden Teile ausreichend zu bewirtschaften“, erklärte Messerschmidt. Er warb dafür, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Ein Austausch von Meinungen und Informationen mit der Politik sei jederzeit möglich.
„Es gibt noch genügend Reserven im Land“
Der Totalausfall des Unterrichts steigt und korreliert mit der Unterrichtsversorgung“, erklärte Vertrauensperson Eva Gerth. Vor allem Krankheit der ohnehin zu gering an Zahl beschäftigten Lehrkräfte sei dafür verantwortlich. 600 Lehrkräfte würden derzeit wegen Krankheit oder Elternzeit fehlen. Im Falle höherer Lehrerzahlen könnte dies abgefedert werden. Elf Prozent des Unterrichts würden derzeit nicht planmäßig erteilt. „In Grund- und Förderschulen wird dieser Ausfall aufgefangen, indem Klassen zusammengelegt werden“, sagte Gerth. Dies führe allerdings wieder zu einer stärkeren Belastung der Lehrkräfte, dies wiederum zu mehr Krankmeldungen.
Sachsen-Anhalt dürfe es sich nicht erlauben, Lehrerkandidaten abzulehnen. Gerth plädierte dafür, die Ausschreibungen noch offener zu gestalten; es gebe noch genügend Reserven an Kandidaten, die als Lehrkräfte angestellt werden könnten. Auch Einzelfallentscheidungen – beispielsweise bei Quereinsteigern oder Schulformwechslern – müssten öfter getroffen werden.
Bei den Quereinsteigern, sei das Ziel zu definieren: Man bräuchte bei ihnen eine Ausbildung, die einer Lehrausbildung (Bildungswissenschaft und Didaktik) entspreche; hierfür müssten entsprechende Programme gestrickt werden – um Musiker, Mathematiker oder Literaturwissenschaftler als Lehrer zu beschäftigen. „Wir brauchen das Ganze jetzt und nicht erst 2019“, betonte Gerth abschließend.
Zum weiteren Ablauf
Angenommene Volksinitiativen, die keinen Gesetzentwurf zum Inhalt haben, sind vom Landtag innerhalb von vier Monaten nach der Bekanntmachung abschließend zu behandeln. Zwischenzeitlich kann der Ausschuss auch Meinungen und Gutachten von Sachverständigen einholen. Am Ende seiner Beratungen in der Sache wird der Petitionsausschuss eine Beschlussempfehlung für den Landtag erarbeiten. Dieser beschließt dann, wie weiter mit dem Anliegen der Volksinitiative umgegangen wird.