Unter dem Motto „Versöhnung fördern“ debattierten die Abgeordneten im Rahmen einer Aktuellen Debatte über die fortschreitende Aufarbeitung des DDR-Unrechts. Anlass war der jüngste Tätigkeitsbericht der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Ende April stattfindende Bundeskongress zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit in Magdeburg.
Parallel zur Aktuellen Debatte wurde ein Antrag der Koalitionsfraktionen beschlossen. Er sieht vor, dass der Landtag einen Ausschuss zur Überprüfung der Abgeordneten auf eine hauptamtliche oder inoffizielle Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der DDR im Sinne des Stasi-Unterlagengesetzes einsetzt. Dem Ausschuss sollen fünf ordentliche und fünf stellvertretende Mitglieder des Landtags angehören.
Striegel kritisiert Umgang der Linken mit Vergangenheit
„Unrecht hat kein Verfallsdatum“ – Es könne und darf kein Ende der Erinnerung, kein Abbrechen der Aufarbeitung und keinen Schlussstrich geben, betonte Sebastian Striegel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Wer neues Unrecht verhindern wolle, müsste altes Unrecht anerkennen; insbesondere wegen der Betroffenen müsste die Erinnerung wachgehalten werden. „Wir Landtagsabgeordneten sollten hier beispielhaft vorausgehen und eine erneute Überprüfung auf Stasi-Mitarbeit auf den Weg bringen“, forderte Striegel.
Die Aufarbeitung dürfe sich jedoch nicht nur auf die Stasi-Vergangenheit beziehen, sondern müsse breiter angelegt werden. Es sei wichtig, über aktives Handeln zu reden, aber auch über Schweigen und Weggucken, so der Grünen-Abgeordnete. Ein jeder möge selbst beurteilen, wie er sich unter dem System der Staatssicherheit verhalten hätte. Die Fraktion DIE LINKE scheue sich seiner Ansicht nach immer noch vor einer „Auseinandersetzung mit alten Kadern“ und würde sich „in dialektischen Ausflüchten“ ergehen, wonach sie dem Antrag ja zugestimmt hätten, wenn man sie vorab gefragt hätte. Ein konstruktiver Umgang mit der Vergangenheit sehe anders aus, so der Grünen-Abgeordnete.
Justizministerin erläutert Entschädigungsmodalitäten
Die Ministerin für Justiz und Gleichstellung, Anne-Marie Keding, ging in ihrem Redebeitrag vor allem auf die juristische Aufarbeitung von DDR-Heimkindern und Zwangseinweisungen in Kliniken aufgrund mutmaßlicher Geschlechtskrankheiten ein. Bei letzteren hätten Politik und Gesellschaft bereits reagiert und den Opfern Entschädigungsforderungen erleichtert. Im Fall der rund 500 000 Heimkinder gebe es dagegen noch Defizite, wie die der jüngste Bericht der Beauftragten des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur konstatiere. Auf Bundesebene seien hier allerdings bereits erste Schritte eingeleitet worden, um die Situation zu verbessern, so Keding.
Die Justizministerin erinnerte außerdem daran, dass mit der heutigen Debatte nicht nur Unrecht aufgearbeitet, sondern auch die Versöhnung gefördert werden soll. Die Diskussion im Landtag beweise, dass sich die Abgeordneten jenseits der persönlichen Schuld, in einer moralischen Verantwortung sehen. „Ohne Anerkennung des Unrechts werden wir dem System DDR nicht angemessen begegnen können.“
Ausschuss nicht auf Stasi-Zusammenarbeit reduzieren
Birke Bull-Bischoff (DIE LINKE) erklärte: „Wer Zukunft gestalten will, muss sich der Vergangenheit stellen.“ Dieser Satz habe sowohl eine persönlich-moralische als auch eine politische Dimension. Die Linken-Abgeordnete wies den Vorwurf zurück, dass ihre Partei sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht der Verantwortung gestellt hätte. Noch immer erhitzten Debatten um das DDR-Unrecht die Gemüter sehr, was aus Sicht der Opfer nachvollziehbar sei. Um der Frage auf den Grund zu gehen, wie die DDR in seinem Mikrokosmos funktioniert habe, müssten jedoch vor allem Fragen an einzelne Persönlichkeiten gestellt werden, so Bull-Bischoff.
Zum beantragten Stasi-Untersuchungsausschuss erklärte sie, die politische Biografie sei keine Privatsache, vor allem nicht wenn man als Politiker im Parlament tätig sei. Für eine Kandidatur als Mandatsträger müsste daher die eigene Biografie offengelegt werden, dazu gehörten jedoch nicht nur die Stasi-Zusammenarbeit, sondern auch Mitgliedschaften in der FDJ oder in Blockparteien. Die öffentliche Auseinandersetzung mit den Ergebnissen solcher Überprüfungen sei in der Vergangenheit nicht ausreichend erfolgt, so die Linken-Abgeordnete, und wäre stattdessen meistens auf die Frage „schuldig oder nicht schuldig“ reduziert worden. Der Anspruch der Fraktion DIE LINKE sei es immer gewesen, die komplexen Verstrickungen aufzuarbeiten und nicht nur auf die Stasi-Zusammenarbeit zu blicken.
Schindler: „Keine Verfolgungsdebatte“ geplant
Der Beschluss zur Aufgabenerweiterung der Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen vom November 2015 sei ein klares Bekenntnis zur weiteren Aufarbeitung des DDR-Systems, konstatierte Silke Schindler (SPD). Die Koalition habe die Überprüfung nicht nur aus formalen Gründen beantragt, sondern um Vertrauen und Ansehen der Politik und Politiker zu wahren. Es gehe nicht um eine „Verfolgungsdebatte“, sondern um Offenheit und Wahrheit, betonte Schindler. Sie appellierte an alle Mitglieder des Hauses, sich an dieser Überprüfung zu beteiligen. Selbst wenn DIE LINKE dem Ausschuss nicht zustimmen wollte, habe doch jedes Mitglied die Möglichkeit selbst eine Überprüfung zu beantragen. Bisher habe sie dies von Linken-Abgeordneten aber noch nicht erlebt.
AfD kritisiert fehlende Konsequenz bei Überprüfungen
Matthias Büttner (AfD) fragte sich, ob die Linken überhaupt etwas aus der Geschichte begriffen hätten, da unter der Überschrift der Antifa noch immer Unrecht legitimiert werde. Ganz sicher würde sich in Deutschland niemand auf den Weg machen, um den Kommunismus oder Sozialismus wieder aufleben zu lassen. Man sollte sich der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit stellen und dafür auch die zuständigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Alles andere wäre ein Schlag ins Gesicht der Opfer, erklärte Büttner. Zwar könne man von Niemandem verlangen, einen Schlussstrich bei der Aufarbeitung zu ziehen. Dennoch müsste endlich mal Schluss sein mit der Überprüfung auf Stasi-Zugehörigkeit in den Parlamenten, zumal es keinerlei Konsequenzen zu geben scheine.
Umgang mit eigener Vergangenheit gehört dazu
Eva Feußner (CDU) stellte die Frage, wie Versöhnung weiter gefördert werden könnte, wenn sie 27 Jahre nach der Wiedervereinigung noch nicht stattgefunden habe. Viele Täter hüllten sich in Schweigen, seien abgetaucht oder hätten sich in anderen Bereichen etabliert. Zudem seien die Motive der Täter sehr unterschiedlich gewesen. Sie hinterfragte kritisch, ob Gespräche zwischen Opfern und Tätern tatsächlich zu Versöhnung führen könnten.Ob in Hohenschönhausen, im Roten Ochsen von Halle oder in Bautzen – wer einmal in die Fänge der Stasi kam, sei für immer gebrandmarkt gewesen, sagte Feußner und zitierte aus persönlichen Erinnerung von DDR-Stasi-Opfern.
Die CDU-Abgeordnete erklärte weiter: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht meistern.“ Zur Aufarbeitung gehöre auch der Umgang mit der eigenen Vergangenheit und die Bürger hätten ein Recht zu wissen, wer diese Überprüfung ablehne und wer nicht. Wer sie ablehne, habe entweder etwas zu verbergen oder wolle keine wirkliche Aufarbeitung mit dem SED-System.
Nach dem Redebeitrag von Eva Feußner entstand noch eine lebhafte und teils hitzige Diskussion, an der sich Mitglieder aller Fraktionen mit Redebeiträgen, Fragen und Kurzinterventionen beteiligten. Im Videoarchiv des Landtags können Sie die Debatte noch einmal nachverfolgen.
Landtag setzt Ausschuss zur Überprüfung ein
Am Ende der Aktuellen Debatte wurden keine Beschlüsse gefasst. Über den Antrag der Koalitionsfraktionen von CDU, SPD, und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wurde namentlich abgestimmt. Von 84 anwesenden Abgeordneten stimmten 61 mit „Ja“, und 20 mit „Nein“; drei Abgeordnete enthielten sich. Damit wird der Ausschuss zur Überprüfung der Landtagsabgeordneten auf Tätigkeit für die DDR-Staatssicherheit eingesetzt.
Mit einem Gesetzesbeschluss vom März 2007 hatte der Landtag den Weg zu einer Überprüfung der Abgeordneten auf eine Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der DDR eröffnet. Das Verfahren kommt dem nahe, welches im Deutschen Bundestag angewendet wird.