60 Jahre nach der Unterzeichnung der Römischen Verträge werde die Zukunft der Europäischen Union so kontrovers wie seit Langem nicht diskutiert, sagt die Fraktion DIE LINKE. Auch die Entwicklungsmöglichkeiten des Landes Sachsen-Anhalt hingen maßgeblich von der Ausgestaltung der EU ab. Eine Aktuelle Debatte gab der Landesregierung und den Fraktionen im Landtag die Gelegenheit, ihre Positionen dazu darzulegen. Die Fraktionen von CDU, DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind sich darin einig, an der Zukunft der EU zu bauen, die AfD lehnt die Union ab.
Es gibt kein Zurück
„Niemand kann die Aktualität der Römischen Verträge auch 60 Jahre nach ihrer Unterzeichnung ernsthaft in Frage stellen“, erklärte Wulf Gallert (DIE LINKE). Denn sie hingen eng mit den Lebensrealitäten der Menschen in Europa zusammen. Zunächst habe bei der Gründung der EWG eine wirtschaftspolitische Debatte im Fokus gestanden, die Gründung einer Zollunion in Europa. Deutschland habe nach den Verbrechen des Nationalsozialismus wieder Zugehörigkeit gesucht und eine Westeinbindung angestrebt. Daraus habe sich bis heute ein europäisches Bewusstsein herausgebildet, das es zu verteidigen gelte.
Die Europäische Union sei aber nicht bloß als Freihandelszone gedacht gewesen, auch die soziale Frage habe von Anfang an eine wichtige Rolle gespielt, erinnerte Gallert, darunter auch das Vorhaben von gleichen Löhnen für gleiche Arbeit für Mann und Frau. „Warum aber ist das Ansehen der Europäischen Union heute in der Debatte?“, fragte Gallert.
Viele Entscheidungen aus Brüssel seien oft nicht nachvollziehbar und hebelten funktionierende gute Regeln in ihren Mitgliedsstaaten aus. Daher müsse man die Union in ihrer Konsistenz substanziell verändern, aber ohne gegen sie zu arbeiten, sondern für sie, denn ein Sozial- und Steuerdumping wäre die Folge. „Für uns gibt es kein Zurück“, erklärte Wulf Gallert. „Europa darf nicht zurückfallen in die Zeit der konkurrierenden und sich irgendwann bekämpfenden Nationalstaaten.“
„Es gilt, Europa besser zu machen“
Staats- und Kulturminister Rainer Robra (CDU) erinnerte nicht nur an die Römischen Verträge von 1957, sondern auch an den Vertrag von Maastricht aus dem Jahr 1992, dem Zeitpunkt der Entstehung der Europäischen Union, wie sie heute wirkt. Mit diesem Vertrag fand auch der Europaartikel im deutschen Grundgesetz Eingang, der die Mitarbeit an der Europäischen Union zum Staatsziel und Verfassungsauftrag unter Beteiligung der deutschen Länder machte.
Die Probleme der Europäischen Union müssten beim Namen genannt werden, Robra verwies beispielsweise auf die Überregulierung aus Brüssel. Aber es müsse zu einer konstruktiven Weiterentwicklung der Union kommen, nicht zu einem Trennungsgedanken. „Es gilt, Europa besser zu machen“, sagte Robra. Dazu gehöre auch, sich über den Tellerrand hinaus zu informieren und in Kontakt mit den europäischen Nachbarn zu treten. Darum werde es auch bei der Europawoche vom 2. Mai an in Sachsen-Anhalt gehen; die Zukunft der EU werde dort das meistdiskutierte Thema sein.
Nationalismus und Populismus stoppen
Es sei ja schon schwierig, in Deutschland eine Einigung zwischen Nordsee und Alpen zu finden, daher sei es ein kleines Wunder und zeuge von großer Kraft, dass es die Europäische Union schon so lange gebe und sie eine gute Entwicklung genommen habe, lobte Katrin Budde (SPD). „Es wäre eine Katastrophe, wenn die EU scheiterte“, sagte die SPD-Politikerin und freute sich, dass vor allem junge Menschen heute auf die Straße gingen, um für die Zukunft der EU zu demonstrieren. Es dürfe kein kritikloses Weiter-so geben – denn sie sei nicht perfekt –, man müsse auf wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten hinweisen, aber sich nicht zu introvertierten Einzelstaaten zurückentwickeln.
Nationalismus und Populismus müssten beide gestoppt werden, forderte Budde, die EU müsse quasi vor ihnen gerettet werden. Toleranz, Offenheit und Menschenechte müssten geschützt werden. Die Entwicklung zur Europäischen Union sei unerlässlich, habe bereits der frühere Bundeskanzler Willy Brandt gesagt, zitierte Budde. Schon er habe erkannt, dass die europäische Zukunft nicht in einzelnen Nationalstaaten liege.
AfD für Europa der Vaterländer
Die Zukunft der EU werde so kontrovers diskutiert wie noch nie, konstatierte Tobias Rausch (AfD). Es zeige sich, dass die EU in ihrer bisherigen Form nicht alternativlos sei, denn: „Europa ist nicht die EU und die EU ist nicht Europa“, sagte Rausch. Die vereinigten Staaten von Europa seien eine Utopie. Russland sei keine Bedrohung für die EU, zeigte sich der AfD-Abgeordnete überzeugt, wenn Russland und Europa zusammenstünden, ginge es den Leuten besser.
Der soziale Friede werde in Mitleidenschaft gezogen, da sich das vertraute Leben mit vertrauten Gesichtern in den Ländern geändert habe, bemängelte Rausch. Die EU stehe seiner Ansicht nach für Entwurzelung, Entortung, sogenannter Globalisierung und für eine „Ideologie von der Austauschbarkeit der Völker“. Die AfD stelle dem ein Europa der Vaterländer und Völker gegenüber, sagte Rausch. Seine Partei stehe für „souveräne Nationalstaaten in einem Kultur- und Schutzraum freier Völker“.
Auf europäische Dynamik bauen
Die Unterzeichnung der Römischen Verträge sei die Geburtsstunde der Europäischen Union gewesen, rekapitulierte Dorothea Frederking (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen habe dabei im Mittelpunkt gestanden. „Die Grünen bauen auf die europäische Dynamik, die in den letzten 60 Jahren Unvorstellbares geleistet hat“, versicherte Frederking. Es handle sich um die längste Friedenszeit in Europa, es sei die beste Periode für die Menschen, die hier lebten, ein Leben in Freiheit und Sicherheit. Man sei von der Konfrontation hin zur Kooperation gelangt, der Staatenbund garantiere den Frieden.
Nationalismus und Egoismus böten sich als vermeintliche Alternative dar, machte Frederking klar; man müsse folglich auf die europäischen Errungenschaften hinweisen – von den großen bis zu den kleinen. Freilich müsse sich die Union noch weiterentwickeln. Schwerpunkte für die Grünen seien da die Agrarpolitik und die Novellierung der Atomverträge. „Wir wollen eine EU mit einem verbindlichen und einheitlichen Rechtsrahmen“, sagte Frederking, auch die solidarische Verteilung von Geflüchteten müsse organisiert werden.
„Europa ist unsere Zukunft“
„Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen. Sie wurde eine Hoffnung für viele“, zitierte Markus Kurze (CDU) den früheren Bundeskanzler Konrad Adenauer. Man müsse es hoch schätzen, dass wir in Frieden leben könnten. Die Gemeinschaft habe viele positive Ergebnisse zutage gebracht, beispielsweise die Reisefreiheit, die Abschaffung von Zöllen und Handelshemmnissen und die gemeinsame Währung, nannte Kurze. Ängsten bei der Asyl- und Wirtschaftspolitik müsse man in der EU mit guter Politik begegnen.
Positiv zu sehen sei europaweit die Zustimmung zur EU, die sich dieser Tage auch durch zahlreiche Demonstrationen verdeutliche. Die Vielfalt unter einem Dach zu erhalten und zu entwickeln sei Ziel der EU. Auch Sachsen-Anhalt profitiere von den Finanzhilfen der Union. Kurze wünschte sich, dass die EU sich zukünftig wieder stärker auf ihre Kernaufgaben konzentriere und nicht länger an überbordender Demokratie herumdoktere. „Europa ist unsere Zukunft“, schloss Kurze mit Worten von Helmut Kohl.
Beschlüsse wurden am Ende der Aktuellen Debatte wie gewohnt nicht gefasst.