Nicht nur die jüngsten Positionierungen des Chefs der EU-Kommission und des französischen Präsidenten entfachen laut Fraktion DIE LINKE eine Debatte über die Perspektiven der EU. Deshalb machte es die Fraktion zum Thema einer Aktuellen Debatte im Oktober-Plenum.
Sinnkrise in der Europäischen Union
Das Thema Europa habe im deutschen politischen Alltag einen recht geringen Stellenwert, beklagte Wulf Gallert (DIE LINKE). Dabei brauche es eine öffentliche Debatte über die Zukunft der Europäischen Union. „Wir müssen darüber diskutieren, welche die Grundwerte und Ziele der EU sind“, denn es gebe eine Sinnkrise der EU, so Gallert. Die Rückkonzentration auf die Nationalstaaten führe zu einem Zusammenbruch des Staatenbundes, und das müsse auf jeden Fall verhindert werden.
Ganz grundlegende Werte wie Menschenwürde, Antirassismus und Gewaltenteilung würden derzeit substanziell in Frage gestellt. Austauschbare Feindbilder würden in vielen europäischen Nachbarn gesucht und gefunden. So habe unter anderem der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán gesagt, Mittel- und Osteuropa müsse zu einer „migrantenfreien Zone“ gemacht werden, zudem habe er eine millionenschwere antisemitische Kampagne gegen den US-Milliardär und Philanthropen George Soros gestartet.
Gegen solche Aussprüche müsse angegangen werden – auch von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff, der dazu bisher schweige, kritisierte Gallert: In Sachen Europa sei Haseloff leider ein Totalausfall. „Wir wollen eine proeuropäische Entwicklung für Frieden, Sicherheit und Gerechtigkeit“, konstatierte Gallert abschließend.
Konsens über die Staatsgrenzen hinweg
Über die Zukunft der Europäischen Union solle zwar mit heißem Herzen, aber auch mit kühlem Kopf diskutiert werden, forderte Staatsminister Rainer Robra (CDU). Ungarn sei Teil der EU, und deren Weiterentwicklung hänge von der Zusammenarbeit aller 28 Staaten mitsamt ihren führenden Politikerinnen und Politikern ab.
Europa sei sehr wohl auch Thema in der Landespolitik. Im kommenden März würden alle Ministerpräsidenten der EU in Brüssel zu Beratungen (unter anderem über den Sozialstaat) zusammenkommen, sagte Robra. Mehr Europa könne man nur herbeiführen, wenn Konsens über die Staatsgrenzen hinaus gefunden werde. „Wir müssen die Europa-Diskussion weiterführen; Sachsen-Anhalt steht gut da und bemüht sich erfolgreich, sich europäisch einzubringen.“
EU mit vollem Einsatz unterstützen
„Wir befinden uns in einer Zeit, in der sich Zusammenhänge und Gewissheiten auflösen“, konstatierte Katrin Budde (SPD). „Wir brauchen ein wettbewerbsfähiges, soziales und starkes Europa.“ Aber Europa sei mehr als die Summe der Wirtschaftskraft ihrer Mitglieder, nämlich eine Wertegemeinschaft, die sich Freiheit, Gleichberechtigung und Rechtsstaat stehe. Es sei falsch, Furcht zu schüren, zitierte Budde den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Im Gegensatz dazu solle man sich auf die gemeinsamen Ziele konzentrieren.
Die Rückkehr zu nationalstaatlichem Denken sei ein Irrweg, betonte Budde. „Wir brauchen auch ein Europa, das seine Stärke aus den Regionen zieht.“ Hier würden die Unterschiede der Regionen vor dem Hintergrund gemeinsamer Ziele diskutiert. Die EU sei einzigartiges Modell für Frieden und Wohlstand – dieses müsse mit vollem Einsatz unterstützt werden.
EU eine Knebelung von Nationalstaaten
Europa sei die Summe der einzelnen Nationalstaaten, im weitesten Sinne eine „Werte- und Schicksalsgemeinschaft“, sagte André Poggenburg (AfD). Die Europäische Union sei jedoch nichts historisch Gewachsenes. Heute sei die EU zu allererst ein „ideologisches Konstrukt gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung und von oben diktiert“. Die EU sei eine Knebelung von Nationalstaaten und die Ausbeutung einzelner Völker, bei der die Vielfalt der Nationalstaaten hinweggefegt werden solle.
Die AfD spreche sich für ein friedliches Europa der Vaterländer aus, lehne aber den „Moloch EU“ ab, erklärte Poggenburg. Die Gleichmacherei von heute sei nicht der Ursprungsgedanke von de Gaulle, Thatcher oder Kohl hinsichtlich der Entwicklung der EU gewesen. Auf deren Aussagen berufe sich die AfD.
Europäisches Parlament stärken
Eine immer engere europäische Gemeinschaft sei längst Lebensrealität, sagte Dorothea Frederking (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). „Die Notwendigkeit der engeren Partnerschaft wird immer größer, die Klärung systemischer Fragen immer drängender.“ Um mehr Einigkeit zwischen den EU-Staaten zu erreichen, sollte das europäische Parlament gestärkt werden, beispielsweise durch die Möglichkeit, eigene Gesetzentwürfe einbringen zu können.
Die Grünen setzen sich für mehr einklagbare soziale Grundstandards ein, also das Recht auf Gesundheit, Rente und Pflege. Von einer Sozialunion werde aber abgesehen, weil man sich wahrscheinlich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner würde einigen können. Frederking forderte EU-weit Konsequenzen, wenn gemeinsam verabschiedete Regelungen nicht eingehalten würden – wie beispielsweise bei der Aufnahme von Flüchtlingen, gegen die sich Polen, Ungarn und Tschechien wehrten.
„Europäische Union der Nationalstaaten“
„Die EU ist zuallererst der Garant für den Frieden in Europa“, konstatierte Markus Kurze (CDU). „Es ist besser, wenn wir alle miteinander reden und nicht nur übereinander.“ Wenn die EU nicht stark wäre, wäre es auch Deutschland nicht. Getroffene Regeln sollten jedoch von allen Bündnispartnern eingehalten werden.
Nichtsdestotrotz verträten Kurze und die CDU die Idee einer „Europäische Union der Nationalstaaten“ – deren einzelne Ziele sollten ernst genommen werden. Die Europäische Union sei von Anbeginn an eine Wertegemeinschaft, die sich dem Schutz der Demokratie und der Religionsfreiheit verschrieben habe. Vor diesem Hintergrund habe die Türkei die Türen zur EU ein großes Stück weit zugeschlagen.
Beschlüsse wurden am Ende der Aktuellen Debatte nicht gefasst.