Cookies helfen uns bei der Weiterentwicklung und Bereitstellung der Webseite. Durch die Bestätigung erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies gesetzt werden.

Plenarsitzung

Abwasserstreit geht in die nächste Runde

01. Jun. 2016

Der sogenannte „Abwasserstreit“ erhitzt seit mehr als einem Jahr die Gemüter in Sachsen-Anhalt. Zwar wurde das Kommunalabgabengesetz im Dezember 2014 geändert, dies hat aber nicht unbedingt zur Beruhigung im Streit zwischen Bürgern und Abwasserverbänden beigetragen. Denn einerseits wurde eine Verjährungsfrist von zehn Jahren festgelegt, andererseits auch eine Übergangszeit bis 31. Dezember 2015 eingeräumt. Dies ermöglichte es den Abwasserverbänden, dass sie bis Ende letzten Jahres rückwirkende Bescheide an „Altanschließer“ verschicken konnten. Dabei geht es um einmalige Anschlussgebühren ans kommunale Abwassernetz. 

Von dieser Möglichkeit bis Ende 2015 Rechnungen zu verschicken, haben nicht wenige Abwasserverbände Gebrauch gemacht und dies führte in den letzten Wochen zu teils großem Unmut in der Bevölkerung. Auf der Suche nach einem Kompromiss zwischen Bürgern und Verbänden hat sich am Dienstag, 31. Mai, erneut der Landtag mit dem Thema beschäftigt. Zur Diskussion standen zwei Entwürfe über ein Zweites Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes. 

Rund 85 000 Sachsen-Anhalter hatten zuletzt wenig zu lachen. Bei ihnen flatterten nachträgliche Beitragsbescheide ihres Abwasserverbandes ins Haus, über Kosten die teilweise Jahrzehnte zurücklagen.

Foto: Daniel Ernst/fotolia.com

Linke für verbindliches Moratorium

Die Übergangsfrist habe einem „uneingeschränkten Abkassieren Tür und Tor geöffnet“, erklärte Kerstin Eisenreich (DIE LINKE). Dies belegten auch die Zahlen der Landesregierung, wonach bis zum 31. Dezember 2015 rund 85 000 Beitragsbescheide erlassen worden seien. Die Nachforderungen könnten sich auf rund 130 Millionen Euro belaufen, so die Linken-Abgeordnete. In der derzeitigen schwierigen finanziellen Lage würden sich Verbände und Kommunen gezwungen sehen, das Geld auch einzutreiben. Es gebe sogar Verbände, die mittlerweile Inkasso-Firmen beauftragt hätten.

Noch vor der Landtagswahl im März 2016 hatte die Fraktion DIE LINKE ein Normenkontrollverfahren beim Landesverfassungsgericht eingereicht, erläuterte Eisenreich weiter. Dieses soll klären, ob die Übergangsregelung verfassungskonform ist oder nicht. Wann eine Entscheidung dazu falle, sei jedoch unklar, deshalb bestehe für Bürger und Verbände derzeit keine Rechtssicherheit. In der Zwischenzeit schlägt ihre Fraktion nun ein Moratorium –  einen Zahlungsaufschub – vor. Die Kosten, die dadurch für die Abwasserverbände entstünden, sollten vom Land übernommen werden.

Den Gesetzentwurf der Koaltionsfraktionen hält Eisenreich für untauglich, weil durch die Kann-Bestimmungen die Verantwortung auf die Verbände abgewälzt würde. Außerdem fürchtet sie, dass es bei ungleichmäßiger Umsetzung zu einer Ungleichbehandlung der Bürger käme.

SPD verweist auf kommunale Selbstverwaltung

Auch Rüdiger Erben (SPD) erläuterte noch einmal die Vorgeschichte rund um den aktuellen Streit. In dem von ihm für die Koalitionsfraktionen eingebrachten Gesetzentwurf sollen eine günstigere Verzinsung, die Vergleichsregelung und ein Moratorium (Zahlungsaufschub, Stillhalteabkommen) gesetzlich verankert werden, betonte Erben.

Im Gegensatz zum Antrag der Linken sollten die Zweckverbände jedoch selbst entscheiden können, ob sie die Gebührenbescheide derzeit einfordern und kassieren oder auf die Entscheidung der Verfassungsrichter warten. Die vorgeschlagene Regelung im Gesetz sei keine kosmetische Operation, sondern die Achtung vor der kommunalen Selbstverwaltung, so Erben. Darüber hinaus kündigte er für den Herbst eine komplette Neufassung des kommunalen Abgabengesetzes an. 

Stahlknecht weist Verantwortung von sich

Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) fügte hinzu, jeder Verband habe eine unternehmerische Verantwortung, die er auch wahrnehmen müsste. Er würde sich freuen, wenn es gelänge, ein Umdenken zu mehr Kundenorientiertheit im Verband zu erreichen. Außerdem wollte Stahlknecht zur Versachlichung der Debatte beitragen und stellte klar, die Abwasserverbände hätten eigentlich nicht erst aufgrund der Verjährungsfrist die Beiträge erheben müssen, sondern hätten dies schon viel früher tun können und müssen.

CDU für Fairness und Rechtssicherheit

„Mit dem vorgelegten Gesetzesentwurf wollen wir für eine faire und rechtssichere Erhebung der Kommunalabgaben eintreten“, erklärte Chris Schulenburg (CDU). Darin sollten die Verzinsung, die Vergleichsregelung und ein Moratorium gesetzlich verankert werden. Schulenburg verwies auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes des Landes Sachsen-Anhalt, wonach die Übergangsregelung dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit hinreichend Rechnung trage.

Den Entwurf der Linken lehnte Schulenburg ab, denn diejenigen Bürger, die nach Recht und Gesetz gezahlt hätten, würden doppelt belastet. Zum einen hätten sie die Gebühren bezahlt, zum anderen sollten sie nun über ihre Steuern auch noch für die Schulden der anderen aufkommen. Das könne nicht sein, so der CDU-Politiker.

AfD: Übergangsfrist bewusster Griff in Trickkiste

Robert Farle (AfD) unterstellte Innenminister Stahlknecht, dass er bewusst die Übergangsfrist bis 2015 verlängert habe, um mit einer „Task Force“ dafür zu sorgen, dass abkassiert werden könne. Laut Verfassungsgericht betrage die Verjährungsfrist zehn Jahre, mit einem Trick hätte Stahlknecht daraus 24 Jahre gemacht.

Zu den konkreten Maßnahmen der Koalition sagte der AfD-Politiker, bereits jetzt seien Vergleiche gesetzlich möglich, sie hätten jedoch noch niemandem geholfen. Zudem sollten die Zinsen nicht nur abgesenkt, sondern „auf Null“ gesetzt werden, und er stimmte der Fraktion DIE LINKE zu, dass es sich bei dem Moratorium lediglich um eine „Mogelpackung“ handle. Denn eine gesetzlich verankerte Bestimmung könne  niemals eine „Kann-Bestimmung“ sein. Daher werde die AfD-Fraktion den Gesetzentwurf vollständig ablehnen.

Grüne wollen retten, was zu retten ist

Diese uneinheitliche und verfahrene Situation im Abwasserstreit wieder hinzubekommen, sei fast unmöglich, betonte Olaf Meister (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). „Der Versuch gleicht dem Versuch, die Zahnpasta wieder in die Tube zu bekommen.“ Zwar könne man natürlich alles wieder auf die Zeit vor der Gesetzesänderung 2014 zurückdrehen, dann müsse man allerdings auch die Kosten übernehmen.

Der Entwurf der Linken berge seiner Einschätzung nach einige juristische Fallstricke. Daher hätten sich die Koalitionsfraktionen gegen ein verpflichtendes Moratorium entschieden. Diejenigen Abwasserverbände, die dennoch die Gebühren einziehen wollen, müssten ihren Kunden auch erklären, warum sie dies tun. Dies entspreche dem Grundsatz der kommunalen Selbstverwaltung. Außerdem verwies Meister auf das Prinzip der Gleichberechtigung aller Kunden. Es könne nicht sein, dass die Verluste sozialisiert würden.

Silke Schindler (SPD) erklärte, dass bei der Diskussion vergessen werde, dass viele Bürger im Land bereits Gebührenbescheide erhalten und sie auch bezahlt hätten. Es dürfte daher nicht nur über die Unzufriedenen geredet werden. Der AfD warf sie vor, nur für die Kamera und damit für die Unzufriedenen zu argumentieren. Schindler wiederholte im Wesentlichen die Argumente der Vorredner aus den Koalitionsfraktionen. Demnach solle das Moratorium eingesetzt werden, weil die  Verbände in die Lage versetzt werden sollten, die Bürger von ihrer Beitragspflicht zu entlasten. Bei der Erstattung der finanziellen Aufwendung seitens des Landes entstünde ihrer Ansicht nach Ungerechtigkeit gegenüber denen, die bereits ordnungsgemäß gezahlt hätten.

Nach der Debatte ist keine Überweisung in die Ausschüsse erfolgt. Am Freitag steht das Thema erneut auf der Tagesordnung des Landtags und soll dann nach dem Willen der Koalitionsfraktionen beschlossen werden.