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Plenarsitzung

„Zukunft gibt es nur gemeinsam“

Tausende Flüchtlinge versuchen derzeit mit Schlepperbooten über das Mittelmeer nach Europa zu kommen. Eine äußerst gefährliche Reise, die allein in der letzten Woche für rund tausend Menschen tödlich endete. Während die einen appellieren, nicht einfach zuzuschauen und zu helfen, befürchten die anderen, dass die großen Flüchtlingsströme Deutschland überfordern könnten.

Spätestens seit den Ereignissen in Tröglitz ist die Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen auch in Sachsen-Anhalt entbrannt. Vor diesem Hintergrund hat Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff heute eine Regierungserklärung zum Thema und den damit verbundenen Herausforderungen für das Land abgegeben. Sie trug den Titel: „Zukunft gibt es nur gemeinsam – Hilfe geben, Verantwortung wahrnehmen, Menschlichkeit bewahren“. Im Anschluss hatten die Abgeordneten der vier im Landtag vertretenen Fraktionen die Möglichkeit, zu den Äußerungen Haseloffs Stellung zu beziehen und eigene Impulse in die Debatte einzubringen.

Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff (CDU) warb in seiner Regierungserklärung für ein weltoffenes und tolerantes Sachsen-Anhalt. Sachsen-Anhalt dürfe kein Land werden, in dem Fremdenfeindlichkeit die Oberhand gewinnt. Niemand könne sagen, er oder sie könne nichts ändern, die Sachsen-Anhalter würden selbst entscheiden, in welcher Gesellschaft sie leben wollen. Jeder könne seinen Beitrag zu einer aufrichtigen Willkommenskultur leisten. Aufklärung beginne in der Schule, in der Uni und in den Familien.

Haseloff erinnerte daran, dass Sachsen-Anhalt ohne finanzielle Hilfen aus Brüssel längst nicht so weit wäre, wie es heute ist. Gleiches gelte für ausländische Investoren, ohne die viele Sachsen-Anhalter heute arbeitslos wären, 30 Prozent der in unserem Land produzierten Waren gingen ins Ausland, auch ausländische Studenten seien ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Kurzum: „Weltoffenheit schafft Arbeit!“ Wenn Sachsen-Anhalt als Bundesland nicht von der Landkarte verschwinden wolle, dann könne man sich über Zuwanderung nur freuen, sagte Haseloff weiter. Abschottung könne nicht der richtige Weg für uns sein. Die Zuwanderung sollte stattdessen als Chance gesehen werden.

Recht auf Asyl ist Richtschnur des Handelns

Darüber hinaus sagte er, dass gerade die Deutschen vor dem Hintergrund ihrer Geschichte nicht das Recht hätten, Menschen einfach abzuweisen und sie der Verfolgung in ihren Heimatländern auszusetzen. Nach 1933 seien viele Menschen vor den Nazis geflohen, unter anderem der berühmte Dessauer Kurt Weil. Sie alle verdankten ihr Leben Staaten, die ihnen Asyl gaben. Das Recht auf Asyl sei seit  1949 fester Bestandteil des Grundgesetzes und Richtschnur unseres Handelns, so der Ministerpräsident. 25 Jahre nach der Wiedergründung des Landes Sachsen-Anhalt bekenne sich das Volk zu den Menschenrechten. Diese würden nicht nur für Sachsen-Anhalter sondern für alle Menschen gelten – unabhängig von Sprache, Religion und Herkunft.

Haseloff versicherte zudem erneut, dass Land werde die Kommunen nicht im Stich lassen, sondern wie letzte Woche mit dem Spitzengespräch weiter den Dialog suchen. Keine Kommune werde wegen der Unterbringung von Flüchtlingen in finanzielle Schwierigkeiten gelangen. Gleichzeitig appellierte er an den Bund, Asylverfahren noch schneller durchzuführen. Auch die Menschen, die nicht dauerhaft in Deutschland bleiben könnten, müssten für die Dauer ihres Aufenthalts menschenwürdige Bedingungen erhalten, dafür werde das Land Sachsen-Anhalt sorgen.

„Zukunft gibt es nur gemeinsam“

Drohungen gegen Landräte und Bürgermeister wie zuletzt in Tröglitz könnten nicht akzeptiert werden, so Haseloff und verwies auf den entsprechenden Erlass des Innenministeriums. Auch wenn die Versammlungsfreiheit ein hohes Gut sei, dürfte sie nicht dazu führen Druck auf einzelne Personen auszuüben und sie einzuschüchtern. In dem Zusammenhang sagte der Ministerpräsident auch, dass er sich noch einmal darin bestätigt fühlte, über den Bundesrat einen Antrag auf ein NPD-Verbot zu stellen.

Die NPD versuche mit ihrem Aktionen die Kontrolle über den öffentlichen Raum zu bekommen und erzeuge ein Atmosphäre der Angst, um demokratisches Handeln einzuschränken. „Das darf ihr bei uns nicht gelingen!“ Genauso wichtig wie ein Verbot, sei jedoch die Präventionsarbeit, hier sieht Haseloff das Land mit dem “Landesprogramm für Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit“ auf einem guten Weg. Haseloff sagte abschließend, Zukunft gebe es nur gemeinsam, das gelte für das Zusammenleben in Sachsen-Anhalt genauso wie für ein Zusammenleben in Europa und der Welt.

Soziale Probleme nicht von Migranten verursacht

Wulf Gallert (DIE LINKE) erklärte eingangs seiner Rede, dass die Breite des politischen  Konsenses in Sachsen-Anhalt deutlich größer sei als in anderen Bundesländern. Daher habe das Land deutlich bessere Chancen, Zuwanderung als Chance zu begreifen und zu gestalten. Der Grundsatz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, gelte jedoch nicht nur für deutsche Staatsbürger. Gallert warnte davor, die Universalität der Menschenrechte für eine Gruppe in Frage zu stellen. Dies würde unweigerlich dazu führen, dass auch andere Gruppen diskriminiert werden könnten. Sachsen-Anhalt brauche Zuwanderung, sich nur jene Zuwanderer mit besonderen Fähigkeiten herauszusuchen, halte er für gefährlich.

Nach Ansicht seiner Fraktion müsse sich die politische Herangehensweise an das Thema Zuwanderung grundsätzlich ändern. Asylpolitik dürfe nicht als  „verwaltendes Problem“, sondern als „zu ergreifende Chance“ angesehen werden. Um die sich daraus ergebenden komplexen Aufgaben zu meistern, schlug Gallert die Schaffung eines Integrationsministers analog zu Thüringen vor. Außerdem dürfe die Sprache in der Politik nicht die menschenverachtenden Positionen einiger Menschen noch verstärkten. Als Beispiel nannte Gallert  CSU-Chef Seehofer, der gesagt habe: „Deutschland dürfe nicht das Sozialamt der Welt werden.“ Damit gieße man nur Öl ins Feuer.

Darüber hinaus erklärte der Fraktionsvorsitzende der Linken, dass die Integration vor Ort professionell umgesetzt werden müsste. Ehrenamtliche Mitarbeiter würden zwar gebraucht, sie brauchten aber professionelle Anleitung. Die Übergänge zwischen Angst und Fremdenfeindlichkeit seien fließend, es liege an Politik und Gesellschaft Aufklärung zu leisten und klar und deutlich zu sagen, dass die sozialen Probleme in Sachsen-Anhalt nicht von den Migranten verursacht wurden.

„Menschenrechte gelten nicht nur für Europäer“

„Wir sind kein Land von Brandstiftern“, sagte  Katrin Budde (SPD). Der Anschlag von Tröglitz stehe nicht für die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Sachsen-Anhalt. Nach Ansicht von Budde sei es wichtig, sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit unseres Landes auseinanderzusetzen. Dies schärfe den moralischen Kompass für die Gegenwart. So habe sie beispielsweise selbst bis vor kurzem nicht gewusst, dass in Tröglitz/Rehmsdorf ein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald stand. Aufgrund der aktuellen Ereignisse sprach sich die SPD-Politikerin dafür aus, die Gedenkstätte Rehmsdorf in Gedenkstättenliste von Sachsen-Anhalt aufzunehmen.

Außerdem sagte sie, ihre Fraktion stehe zu der humanitären Verantwortung, die aus der wachsenden Zahl an Flüchtlingen entstehe. Ein demokratischer Rechtsstaat dürfe Menschen nicht nach seiner Nützlichkeit beurteilen. Auch für SPD gelte daher: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Gleichzeitig müsste die Frage nach den Ursachen für die großen wachsenden Flüchtlingsströme erlaubt sein. Budde stellte die Frage: „Was ist denn mit Friedenspolitik auf der Welt?“

Mittlerweile seien sich alle einig, dass Zuwanderung für Sachsen-Anhalt unabdingbar ist. Jetzt ginge es darum, diese zu gestalten. Denn in Zeiten des demografischen Wandels hänge der wirtschaftliche Erfolg des Landes ganz wesentlich auch von seiner Attraktivität ab. „Weltoffenheit ist ein harter wirtschaftlicher Faktor“, erklärte Budde. Darum müsse das Land Sachsen-Anhalt zu einem Land der Willkommenskultur machen, dies sei die beste Imagekampagne für das Land. Um ihrer Verantwortung gerecht zu werden, müssten die Kommunen allerdings finanziell in die Lage versetzt werden, zu helfen. Budde forderte eine schnelle und unbürokratische Kostenerstattung, sowie mehr Geld vom Bund.

Mit Blick auf die rund tausend toten Bootsflüchtlinge der vergangenen Woche, erklärte Budde energisch: „Menschenrechte gelten nicht nur für Europäer, sie enden nicht an der Außengrenze Europas“. Solange wir dabei weiterhin tatenlos zuschauen würden, müssten wir von Willkommenskultur gar nicht weiter reden.  

„Jeder Flüchtling ist ein Geschenk“

Prof. Claudia Dalbert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stellte fest: „Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind wieder salonfähig geworden und kein Tabu mehr.“ Dies sei auch die Verantwortung von Politikern, die bei dem Thema Zuwanderung nur von Kosten sprächen. Ihrer Meinung nach seien nicht die Fluchthelfer über das Mittelmeer das Problem, sondern dass wir die Menschen nicht legal einreisen ließen. Jeder Politiker müsse sich dazu bekennen, dass wir als Land eine humanitäre Pflicht hätten.

Dalbert sagte: „Jeder Mensch, der zu uns kommt und hier mit uns leben will, ist ein Geschenk für Sachsen-Anhalt“. Diese Botschaft sei, es die das Parlament heute gemeinsam ins Land senden müsste. Eine reine Kosten-Nutzen-Rechnung verkenne die wirkliche Lage. Die wahren Kosten seien Ereignisse wie in Tröglitz und hochqualifizierte Flüchtlinge, die Sachsen-Anhalt wieder verließen, um in Hessen oder Niedersachsen zu arbeiten.

Dalbert erklärte weiter, die Integrationspolitik in Sachsen-Anhalt ist noch nicht gut genug. Eine Förderung der deutschen Sprache vom ersten Tag an, schnelle Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüsse und eine dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen seien Kernelemente einer erfolgreichen Integrationspolitik.

Gesteuerte Zuwanderung notwendig

„Es gibt zu viele Flüchtlinge, sagen die Menschen. Es gibt zu wenig Menschen, sagen die Flüchtlinge.“ Dieser Aphorismus beschreibe das Spannungsfeld der heutigen Debatte sehr gut, sagte André Schröder (CDU). Dem Fraktionsvorsitzenden der Linken Gallert erwiderte er, mehr als der Ministerpräsident in diesen Tagen integriert hab, könnte dies auch ein Integrationsminister nicht. Die CDU-Landtagsfraktion bekenne sich klar zum Schutz der Flüchtlinge und dazu, dass den Kommunen die Kosten erstattet werden. Gleichzeitig plädiert Schröder dafür, dass  Asylverfahren noch schneller durchgeführt werden und Asylbewerber, die kein Bleiberecht bekämen, das Land auch verlassen müssten.

Der Ministerpräsident habe Recht, dass Sachsen-Anhalt auf Zuwanderung angewiesen sei. Aus Sicht von Schröder unternehme Sachsen-Anhalt alles, um Menschen willkommen zu heißen. Allerdings könne ein Gastrecht aller nicht zu einem Bleiberecht aller führen. Dies sei nicht menschenverachtend, sondern verantwortungsvoll. Schröder stellte sich auf die Seite des Bundesinnenminister, der einen harte Strafverfolgung gegenüber Schlepperbanden einforderte. Es sei richtig, dass sich Europa nicht abschotten kann, allerdings können auch nicht alle aufnehmen. Die Wahrheit müsse irgendwo dazwischen liegen, betonte Schröder.

Für seine Fraktion sie der Anspruch auf Menschrechte und Menschenwürde nicht umwandelbar in einen universellen Anspruch auf Bleiberecht. Die CDU wolle Zuwanderung nach Sachsen-Anhalt gezielt steuern. Gelebte und nicht nur verordnete Willkommenskultur müsse es schaffen, auch gesetzliche Differenzierungen bei der Zuwanderung auszuhalten.