Mit einer von den Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN initiierten Aktuellen Debatte haben die Abgeordneten des Landtags des 70. Jahrestags der Befreiung vom Faschismus gedacht. Parallel zur Aktuellen Debatte wurde ein Gesetzentwurf der Linken diskutiert, in dem der 8. Mai zum gesetzlichen Feiertag ernannt werden soll. Dieser soll als „Tag der Befreiung vom Faschismus“ begangen werden. Gerade vor dem Hintergrund, dass in absehbarer Zeit keine Zeitzeuginnen und Zeitzeugen mehr über die NS-Vergangenheit berichten werden können, sei die Etablierung eines Tages, der zu gesellschaftspolitischen Diskussionen und zum Gedenken anrege, mehr als begrüßenswert, so die Linken.
Den 8. Mai als besonderen Tag anerkennen
Birke Bull (Linke) erinnerte zu Beginn ihres Redebeitrags an die Tage um den 8. Mai 1945, den Tag des Kriegsendes in Europa. Noch in den letzten Tagen des NS-Regimes fanden Tausende den Tod. „Der Krieg, den die Deutschen entfesselt hatten, sprengte alle Grenzen des Vorstellbaren“, sagte Bull. Die Befreiung sei ein blutiger, verbissener und elender Kampf gewesen. Fragen um Scheitern, Schuld und Vergeltung werden seitdem jedes Jahr aufs Neue am 8. Mai erneuert.
Die Massenvernichtung sei mit Massenbeteiligung einhergegangen – nach Kriegsende habe es hier viel „zu vergessen“ gegeben. Täter seien plötzlich Einzelne gewesen – Schreibtischtäter und Mordlustige an den Orten der Vernichtung. „Doch die Mitte der Gesellschaft war und ist nicht immun gegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Menschheit“, betonte Bull. „Wo fing Es an, wo fängt Es an?“ Wann sei der Mensch willens, sich solchen Entwicklungen entgegenzustellen? Bull forderte, den 8. Mai als sehr besonderen Tag anzuerkennen, um Raum für die Erinnerung zu schaffen. Ein Erinnern an die Häftlinge, die Versteckten, die Sehnsuchtstage im April und Mai 1945. „Der 8. Mai ist der Tag der Befreiung“, schloss Birke Bull ihren Redebeitrag.
27. Januar ist bereits Tag des Gedenkens
„Der 8. Mai war der Tag der Befreiung vom nazistischen Unrechtsregime“, konstatierte Innenminister Holger Stahlknecht. Für die Menschen in Deutschland hätten in diesen Tagen die Fragen des nackten Überlebens im Vordergrund gestanden, ob die Familien je wieder zusammenfänden; gleichzeitig habe die bedingungslose Kapitulation stattgefunden. Deutschland hätte nicht die Macht gehabt, sich selbst von dem Unrechtsregime zu befreien, konstatierte Stahlknecht.
Die Aussöhnung mit den Staaten der Welt, allem voran aber die (west-)deutsch-französische Freundschaft hätten die Rückkehr Deutschlands in die Völkergemeinschaft ermöglicht. Der 8. Mai habe aber nicht für alle Staaten Europas eine allgemeine Durchsetzung einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bedeutet.
Seit 1996 wird auf Initiative des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog in Deutschland der 27. Januar als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus (Holocaustgedenktag) begangen. Dieser Tag erinnere sehr viel eindringlicher an die Opfer während des Zweiten Weltkriegs, sagte Stahlknecht. Die Landesregierung spreche sich aus diesem Grund dagegen aus, den 8. Mai als zusätzlichen gesetzlichen regionalen Feiertag einzuführen.
Erinnerung tief im Bewusstsein des Volkes erhalten
Als Hitler 1933 an die Macht gekommen sei, habe keine Revolution stattgefunden, sondern ein Regierungswechsel, durch den die parlamentarische Demokratie auf der Strecke geblieben sei, weil zu wenige bereit gewesen seien, um sie zu kämpfen, erinnerte Gerhard Miesterfeldt (SPD). Schritt für Schritt sei Deutschland ein Unrechtsstaat, eine Diktatur geworden, in der der Einzelne nicht mehr zählte. Jede oppositionelle Meinung sei unterdrückt worden.
Miesterfeldt erinnerte daran, dass Menschen wie du und ich an der Vernichtung der Ausgestoßenen beteiligt gewesen seien – „Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, und es geschah mitten in der Gesellschaft“. Der nationalsozialistische Wahnsinn habe über 50 Millionen Menschenleben gekostet und hätte Deutschland fast von der Landkarte verschwinden lassen.
Die Umstände des Krieges, die Millionen Opfer und die Jahre später wiedergewonnene Freundschaft mit den Völkern müssten tief im Bewusstsein unseres Volkes erhalten bleiben, sagte Miesterfeldt. Der SPD-Politiker mahnte an, die Demokratie zu schützen und sich gegen die alltägliche Fremdenfeindlichkeit zu stellen. Die Menschen seien bis heute sehr anfällig, sich einen Sündenbock für persönliche und gesellschaftliche Schwächen zu suchen – „Insel und Tröglitz sind überall, denn überall finden Vergessen und Verdrängen statt.“ Miesterfeldt sprach sich dafür aus, den Gesetzentwurf in den Ausschuss zu überweisen und dort weiterzuberaten.
„Sind uns der Verantwortung bewusst“
Sebastian Striegel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schickte 70 Jahre nach Kriegsende noch einen Dank an alle alliierten Kräfte, die die militärische Niederlage Deutschlands durch die Hingabe unzähliger Menschenleben herbeigeführt hätten. Die Gedenkrede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (1985) sei eine Zäsur in der Aufarbeitung der Geschichte gewesen, sie habe eine neue Sicht auf das Ende des Krieges erschlossen, die Versöhnung zuließ, ohne die eigene Schuld zu minimieren, erinnerte Striegel.
Deutschland sei 1945 zwar militärisch, aber längst nicht ideologisch befreit gewesen. Die früheren Mittäter hätten die gesellschaftliche Entwicklung im Westen und Osten mitgestaltet. Bis heute wirkten NS-Verstrickungen nach. „Sieben Jahrzehnte dauert schon die juristische Aufarbeitung“, kritisierte Striegel, dies sei beschämend für das deutsche Rechtssystem.
70. Jahre Kriegsende bedeuteten erneut eine Zäsur, so Striegel, es sei nun vermutlich das letzte Jahrzehnt unter der Erinnerungs-Beteiligung von Opfern und Tätern. Das authentische Erinnern und Beschreiben werde fehlen. Striegel sprach sich dafür aus, den 8. Mai nicht als bloße Gedenkroutine zu betrachten. Aus der Erinnerung der Betroffenen und Beteiligten erwachse heute eine praktische Verpflichtung zum Handeln. „Wir – die nachgeborene Generation – sind uns der Verantwortung bewusst, die das Geschenk der Befreiung bedeutet“, schloss Striegel seinen Redebeitrag.
An den inneren Maßstäben arbeiten
Das Kriegsende sei die große Chance eines Neuanfangs am Ende eines unglaublichen Irrwegs in der deutschen Geschichte gewesen, der Keim für eine bessere Zukunft, rekapitulierte André Schröder (CDU): „Wer hätte vermutet, dass der 8. Mai den Beginn der längsten Friedensphase für Deutschland bedeuten würde?“ Ehemalige Kriegsgegner seien wieder zu Freunden geworden, der 8. Mai sei ein Tag des Erinnerns und des Nachdenkens über die Geschehnisse. Doch nach der Befreiung sei für viele die Hoffnung schnell enttäuscht worden, so Schröder – mit der Teilung Deutschlands und des Kontinents und dem totalitären Eingriff der Sowjetunion; die Zeit der Verfolgung sei im Osten noch nicht vorbei gewesen.
Trotz allem spricht sich die CDU gegen einen regionalen Alleingang nur für Sachsen-Anhalt aus. Da es sich ohnehin um einen Gedenktag mit Erinnerungsveranstaltungen handele, wäre es nicht zuletzt auch aus wirtschaftlichen Belangen ein politischer Bärendienst für das Land, wenn der 8. Mai ein gesetzlicher Feiertag würde. Schröder rief dazu auf, Gefährdungen in der Demokratie und Freiheit immer wieder von Neuem zu überwinden: „Ehren wir die Freiheit, arbeiten wir an unseren inneren Maßstäben der Gerechtigkeit.“
Im Anschluss an die Debatte wurde der Gesetzentwurf der Linken federführend in den Ausschuss für Inneres und Sport sowie mitberatend in den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung überwiesen.