Demographie und Inklusion seien zwei weitreichende Themen, die sich als Schwerpunkte im Ministerium für Arbeit und Soziales herausgestellt haben, sagte Sozialminister Norbert Bischoff zu Beginn in seiner Regierungserklärung „Teilhabe für alle“. Es sei normal, unterschiedlich zu sein, jeder Mensch bringe das in die Gesellschaft ein, wozu er in der Lage sei, sagte Bischoff vor dem Hintergrund des gerade vorgelegten Sozialberichts für das Land Sachsen-Anhalt. Um dies gewährleisten zu können, seien neue Hilfssysteme nötig, die Infrastruktur müsse so umgebaut werden, dass sie von allen nutzbar sei. Teilhabe sei in allen Bereichen und auch unter dem Einfluss des demographischen Wandels möglich. Sie erfordere nicht zwingend mehr Geld, aber neue Konzepte, sie sei gleichzeitig Nutzen und Aufgabe für alle, so Bischoff.
Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention soll zur Verwirklichung eines selbstbestimmten Lebens in einer offenen Gesellschaft führen. Behinderungen würden oft erst zu diesen, wenn man körperliche oder geistige Einschränkungen nicht im Alltag ausgleichen könne, weil die Möglichkeiten dafür nicht zur Verfügung gestellt würden, erklärte der Sozialminister. Er sprach sich dafür aus, die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiterzuentwickeln. Der gesetzliche Rahmen für mehr Inklusion soll durch das neue Bundesteilhabegesetz geschaffen werden, dessen Inkrafttreten für 2017 geplant sei.
Inklusion hänge von jedem Einzelnen ab. „Wie begegnen wir Menschen mit einer Behinderung – am Arbeitsplatz oder in der Schule?“, fragte Bischoff. Viel zu oft würden beispielsweise die Potenziale von behinderten Arbeitnehmern nicht erkannt. „Aber wir leben längst in einer inklusiven Gesellschaft und merken es bisweilen gar nicht“, ergänzte der Minister. Barrierefreie Bahnsteige, abgesenkte Bordsteine, Rollkoffer, breite Türen – es gebe viele einfache und weitreichende Erleichterungen, die allen Menschen zugutekämen.
„Inklusion ist für die Menschen, die hier leben und die zu uns kommen“, erklärte der Minister. „Unsere Unterstützung brauchen die Menschen, die keine Lobby haben.“ Tatsächlich oder vermeintlich Benachteiligte dürften ihre Probleme nicht jenen anlasten, die Schutz suchten und in ihrem Heimatland um ihr Leben fürchteten. Der Anspruch für öffentliche Teilhabe gelte für alle Menschen, ob sie nun hier aufgewachsen oder durch Krieg, Vertreibung oder andere Gründe zu uns gekommen seien, betonte Bischoff. Eine klare Absage erteilte er deshalb jenen Demonstranten, die sich seit einigen Wochen gegen Asyl- und Migrationsrechte aussprechen.
Finanzausstattung vielerorts problembehaftet
„Es geht um Akzeptanz, Vielfalt und ein Miteinander in der Gesellschaft“, erklärte Dagmar Zoschke (DIE LINKE). Sie regte einen öffentlichen Diskurs darüber an, was die Gesellschaft im Sinne der Teilhabe wolle und was sie zu leisten imstande sei. Zwar sei nicht zwingend mehr Geld für Projekte notwendig, wie Minister Bischoff es betont hatte, doch mehr Geld würde die Dinge doch enorm vereinfachen, konstatierte Zoschke. Denn es gebe vielerorts Probleme bei der Finanzausstattung für Teilhabeprojekte. Für die Eingliederungshilfe sei zwar eine erhebliche Summe in den Haushalt eingestellt, dennoch werde sehr viel mehr Geld benötigt, um eine Teilhabe zu ermöglichen. Dabei immer nur auf das kommende Teilhabegesetz des Bundes zu verweisen, sei nicht ausreichend, kritisierte Zoschke.
Von einer umfangreichen Teilhabe sei Sachsen-Anhalt noch weit entfernt. Dies fange bei nicht barrierefreien Wahllokalen an und höre bei der verhinderten Mobilität von Menschen mit Behinderung noch lange nicht auf. Die inklusive nachschulische Betreuung von behinderten Kindern sei immer noch nicht ausreichend geregelt, das Blindengeld sei gekürzt worden, gleichwohl Sachsen-Anhalt ohnehin nur am unteren Rand der Vergleichstabelle gelegen habe. Hier handele es sich um einen ganz konkreten Abbau von Teilhabemöglichkeiten für Menschen in unserem Land, monierte Dagmar Zoschke. Schwierigkeiten erkennen die Linken auch bei der ärztlichen Betreuung vor allem im ländlichen Raum. Zoschke benannte zudem strukturelle Schwächen bei der Familienpolitik im Land. Die Wohn-, Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten für Migrantinnen und Migranten müssten deutlich verbessert werden – nur so gelinge deren Weg aus der Exklusion heraus.
Für Menschen eintreten, die es nicht selbst können
Die Politik sei in die Pflicht genommen, die breitgesteckten Ziele des Landesaktionsplans für Teilhabe und Inklusion umzusetzen, betonte Angela Gorr (CDU). Normen bei Neubauten sollten so gestaltet werden, dass niemand ausgegrenzt werde. Für den Alltag sollten Kompetenzen für den Umgang mit Menschen mit Behinderung vermittelt werden. Im Bereich Gesundheit und Pflege bestünde großer Handlungsbedarf: Gorr sprach sich für die Betreuungsvariante „ambulant vor stationär“ aus, das persönliche Budget müsse an den individuellen Bedürfnissen behinderter Menschen ausgerichtet sein. Die ärztliche Versorgung (im ländlichen Raum) und die Gewinnung von Pflegepersonal stellten schon jetzt ein großes Problem dar.
„Wir müssen uns aber auch den Menschen zuwenden, die durch den hohen Grad ihrer Behinderung nicht für sich selbst Teilhabe einfordern können“, mahnte die CDU-Abgeordnete. Das Miteinander auf Augenhöhe müsse zudem für Analphabeten und jene gewährleistet werden, die Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache hätten. Der Prozess der Inklusion sei nur im Einklang mit allen Akteuren zu bestreiten. Es müsse darauf geachtet werden, die mitunter ganz spezifischen Bedürfnisse der Menschen zu berücksichtigen. Die Umsetzung von Teilhabe für alle bedürfe weiterhin großer Anstrengungen, so Gorr abschließend.
Konzepte jetzt anpacken und umsetzen
Cornelia Lüddemann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vermisste in der Regierungserklärung eine Bestandsaufnahme des politischen Handelns. Teilhabe sei ein Menschenrecht, das ohne Bedingungen zu erfüllen sei. Dieser Weg müsse konsequent gegangen werden, weil das Ziel der Teilhabe sonst in weite Ferne rücke. Die politische Teilhabe von Kindern und Jugendlichen im Land sei mangelhaft; ein Drittel aller Kinder im Land sei von Armut bedroht – hier zeige sich schon, dass Teilhabe nicht erreicht werde. Gleiches gelte für Flüchtlinge und Migranten und für Menschen mit Behinderung. Auch die Teilhabe von Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen lasse zu wünschen übrig. Man müsse jetzt die notwendigen Veränderungen in klare Konzepte bringen und sie mit Einsatz, Gestaltungswillen und Durchhaltevermögen umsetzen, forderte Lüddemann.
Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen erreichen
Der Abbau von Barrieren müsse sowohl auf dem Bau als auch in den Köpfen vorangebracht werden, sagte Petra Grimm-Benne (SPD) zu Beginn ihres Redebeitrags. Für sie bedeute Inklusion, wenn alle mitmachen dürften und wenn Unterschiedlichkeit zum Ziel werde. Menschen, die Inklusion und Teilhabe für alle Menschen mit Ängsten und Sorgen begegneten („Pegida“, „Magida“), müsse mit Argumenten und erfolgreichen Beispielen der Teilhabe begegnet werden.
Ein Grundbaustein für die Teilhabe von allen sei die Bildung. Das Kinderförderungsgesetz sichere die Ganztagsbetreuung für alle Kinder im Land und somit deren frühkindliche Bildung. Grimm-Benne stellte in Frage, ob man im Schulwesen weiterhin zwei Parallelsysteme aufrechterhalten oder mehr Inklusion und gemeinsames Lernen einführen wolle. Die bereits erfolgreiche inklusive Konzepte sollten landesweit auf die Schulen übertragen werden, war die SPD-Politikerin.
Trotz des Aufschwungs am Arbeitsmarkt habe sich Situation der Menschen mit Behinderung nicht wesentlich gebessert. Ihre Potenziale müssten besser genutzt werden, es bedürfe jedoch einer besseren Ausbildung. Nur so könnten Arbeitnehmer/innen dazu gebracht werden, einen gutausgebildeten behinderten Menschen einzustellen, anstatt eine Ausgleichszahlung zu leisten. Zudem sprach sich Grimm-Benne für eine grundlegende Neustrukturierung der Eingliederungshilfe aus. Barrierefreiheit – dieser Begriff müsse sich durch alle Lebensbereiche des Alltags ziehen, vom abgesenkten Bordstein, über breite Türen bis hin zur Nutzung des Internets, mahnte Grimm-Benne an.
Beschlüsse wurden am Ende der Regierungserklärung nicht gefasst.