Taxierende Blicke, diskriminierende Witze oder unerwünschte Nähe – sexuelle Belästigung hat viele Gesichter und macht auch vor Sachsen-Anhalts Hochschulen nicht Halt. In einer öffentlichen Anhörung hat sich am Freitag, 13. März, der Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung mit den Thema beschäftigt. Mehr als 40 Anzuhörende – darunter Rektoren, Gleichstellungsbeauftragte, Studentenvertretungen, Personalverantwortliche und externe Beratungsstellen – waren eingeladen, um die aktuelle Situation zu schildern. Dabei ging es insbesondere um die derzeitige Verfahrensweise im Fall einer sexuellen Belästigung und ob es genug geschulte Ansprechpartner gibt.
Die wichtigsten Ergebnisse in Kürze:
Sowohl die Rektoren, als auch die Studenten plädierten dafür, die Informationslage zu dem Thema grundsätzlich zu verbessern. Jede/r Betroffene sollte wissen, wo sie/er Hilfe bekommen können. Als mögliche Ansprechpartner könnten sowohl Studenten als auch Angestellte der Hochschulen fungieren, sie sollten allerdings für derartige Gespräche geschult sein. Außerdem wäre es wichtig, dass alle Beteiligten stärker für das Thema sensibilisiert werden. Gleichzeitig wurde darauf verwiesen, wie wichtig es wäre, dass die Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) in das allgemeine Hochschulgesetz übernommen und nicht nur für Hochschulmitarbeiter, sondern auch die Studierenden gelten würden.
Meinungen der Anzuhörenden im Einzelnen:
Prof. Dr. Udo Sträter, Rektor der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), erklärte, dass an seiner Universität die Richtlinien für den Umgang mit sexueller Belästigung gerade überarbeitet würden, da in konkreten Fällen festgestellt wurde, dass die bisherigen nicht ausreichten. Dabei gehe es insbesondere darum, Verfahrenswege transparent zu machen, Verhaltensregeln aufzustellen und mögliche Anlaufstellen für Hilfsangebote zu nennen. Ebenso wie seine Kollegen von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg (OGU) und der Hochschule Harz, sprach sich Prof. Sträter dafür aus, dass die AGG-Bestimmungen zukünftig auch für die Studierenden gelten sollten und damit die derzeit bestehende Rechtsunklarheit beseitigt wird.
Daneben sei ein hohes Maß an Sensibilisierung für das Thema sexuelle Belästigung notwendig, sowohl unter den Beschäftigten der Hochschulen als auch bei den Studierenden, ergänzte Prof. Dr.-Ing. habil. Jens Strackeljahn, Rektor der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Außerdem müsste man bedenken, wie komplex die Abhängigkeitsverhältnisse an einer Universität sein könnten. So würde beispielsweise eine Mitarbeiterin, die in einem Drittmittelprojekt beschäftigt ist, vielleicht aus Angst nicht gegen ihren Chef vorgehen. Denn falls diesem gekündigt würde, könnte das ganze Projekt kippen und auch sie würde ihren Arbeitsplatz verlieren.
Frank Knöppler, Rektor der Fachhochschule der Polizei Sachsen-Anhalt sagte, dass es auch bei ihm keine expliziten Regelungen gebe, dafür aber ein zentrales Beschwerdemangement außerhalb des hierarchischen Systems, an das sich jeder wenden könne. Im vergangenen Jahr seien außerhalb der Hochschule im Praktikum drei Fälle von sexueller Belästigung bekannt geworden, bei denen Geldstrafen verhängt, beziehungsweise Disziplinarverfahren eingeleitet worden sind. Die Idee eines studentischen Ansprechpartners findet Knöppler gut, will es aber seinen Studenten überlassen, ob sie so etwas wollen oder nicht.
Die Vorsitzende des Studierendenrates (Stura) der MLU Halle-Wittenberg, Valerie Groß, erklärte, dass es wichtig sei, den Stura als direkten Ansprechpartner zu unterstützen. Derzeit würden viele ihrer Kolleginnen und Kollegen bei diesem Thema noch im Dunkeln tappen. Oft wisse man nicht, wie der rechtliche Rahmen aussehe, wie Datenschutzbedingungen lauteten und welche Ansprechpartner es gebe. Groß wünschte sich daher Schulungen, Aufklärung und mehr Informationsmaterial.
An der MLU hat sich zudem ein unabhängiges Bündnis gegen sexuelle Diskriminierung gegründet. Anders als zuvor vom Rektor der MLU angedeutet, gebe es derzeit kein offenes Klima um über sexuelle Belästigung zu sprechen, so Christiane Straub und Franz Sawertal, Sprecher des Bündnisses. Stattdessen werde das Thema tabuisiert. Das Klima sei geprägt von Abhängigkeits- und Machtgefühlen und Ängsten über Nachteile im Studienalltag. Nach Meinung von Straub und Sawertal zeigten sich viele Ansprechpartner wenig interessiert oder überfordert. Den Betroffenen mangele es an Vertrauen sowie dem Gefühl, ernst genommen und unterstützt zu werden.
Für den Studierendenrat der OGU Magdeburg sei es langfristig wegen der jährlichen Fluktuation nicht möglich, eine feste Beratungsstelle für sexuelle Diskriminierung einzurichten, sagte Alexander Hönsch. Allerdings schlug er vor, die psycho-soziale Beratungsstelle in diese Richtung auszubauen. Falls es eine zentrale Stelle geben sollte, müsste diese in jedem Fall mit externen lokalen Vereinen und Hilfsangeboten vernetzt werden, so Hönsch.
Die unterschiedlichen Statusgruppen an der Universität machten es schwierig, ein einheitliches Verfahren für die Erarbeitung der Richtlinien bei sexueller Diskriminierung zu finden, betonte Andrea Ritsche, vom Büro der Gleichstellungsbeauftragten der MLU. Sie hoffe aber, dass die Richtlinie im Sommersemester in Kraft treten könne. Darin würde dann auch der Opferschutz für Studierende verbessert, so ihre Kollegin Anke Märker von der Beschwerdestelle der MLU. Derzeit führe sie weit mehr Beratungen zu dem Thema durch, als dass sie direkte Beschwerden entgegen nehmen würde. Dr. Heike Schliefke, Gleichstellungsbeauftragte der OGU sprach sich ebenfalls für mehr Aufklärung und konkrete Handlungsrichtlinien für jede Hochschule aus.
Hohen Beratungsbedarf sieht auch Michaela Frohberg von der Koordinierungsstelle der Frauen- und Geschlechterforschung in Sachsen-Anhalt an der OGU Magdeburg. Diese Beratung müsse passgenau für alle Beteiligten sein, so dass jeder wisse, was zu tun ist. Frohberg sprach sich bei einer Novellierung des Hochschulgesetzes in Bezug auf die AGG für das Hamburger Modell aus. Im Vergleich zu anderen erkläre es Gleichbehandlung als Aufgabe der gesamten Hochschule und nicht nur der Gleichstellungsbeauftragten. Darüber hinaus kritisierte Frohberg die mangelnde Ausstattung der Gleichstellungsbeauftragten als „nicht angemessen“.
Der Vorsitzende des Personalrats der MLU, Bertold Marquardt, verwies auf einige rechtliche Herausforderungen und wünschte sich in diese Fällen Verbesserungen seitens der Politik. Laut Marquardt sei es derzeit zum Beispiel möglich, dass ein Arbeitnehmer wegen sexueller Belästigung gekündigt werde, er aber gleichzeitig durch die verstärkte Autonomie der Hochschulen einen Lehrauftrag eines Instituts bekomme und dann ohne Probleme wieder am selben Ort unterrichte. Außerdem kritisierte er das häufig fehlende arbeitsrechtliche Wissen bei Hochschullehrern, sodass diese oft gar nicht wüssten, was in möglichen Fällen zu tun sei. Hier sprach er sich für verpflichtende Weiterbildungen aus.
Abschließend bot der Verein „Miß-Mut“ e.V. den Hochschulen seine Hilfe an, sie müsse allerdings gewollt sein, erklärte Vorstandsmitglied Sybille Stegemann. Der Verein aus Stendal ist eine Beratungsstelle für sexualisierte Gewalt und arbeitet bereits erfolgreich mit der Hochschule Magdeburg-Stendal zusammen. So gebe es regelmäßige Treffen mit dem Sozialbeirat der Hochschule und jährlich würden Erstsemester über mögliche Anlaufstellen informiert. Stegemann betonte, wie wichtig eine verbesserte Öffentlichkeitsarbeit zu dem Thema sei und dass Betroffene eine professionelle Krisenintervention benötigten. Ähnlich äußerte sich auch der Verein „Wildwasser Dessau e.V.“, der sich ebenfalls um Opfer körperlicher und sexueller Gewalt kümmert.
Der Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung wird das Gehörte nun auswerten und sich in einer seiner nächsten Sitzung erneut mit dem Thema beschäftigen.