„Selbstbestimmung und Teilhabe im Alter“ wollte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit ihrem Entschließungsantrag fördern. Darin sollte die Landesregierung unter anderem gebeten werden, eine Landespflegekonzeption zu entwickeln, bei der verstärkt auf eine alternsgerechte Quartiersentwicklung geachtet wird. Außerdem soll die Beratungsstelle „Prävention im Alter“ (PIA) für Kommunen ausgebaut und ein Förderprogramm aufgelegt werden, das Quartiersentwicklungen unterstützt. Denn viele Menschen würden im Alter gerne in ihrer bekannten Umgebung leben, so die Annahme der Grünen. Ausgangspunkt für den Entschließungsantrag war eine Große Anfrage zum Thema.
Grüne wollen neue Landespflegekonzeption
Die Zahl der Pflegebedürftigen in Sachsen-Anhalt ist zwischen 2009 und 2013 um rund 12 000 Menschen gestiegen, auch die Anzahl der Heimplätze haben laut Statistik zwischen 2005 und 2011 stark zugenommen. Aber nicht nur der demografische Wandel nötige die Politik zum Handeln, sondern auch der Wunsch der Bevölkerung, erklärte Cornelia Lüddemann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Demzufolge würden die meisten Menschen gerne selbstbestimmt altern und so lange wie möglich in der eigenen Wohnung leben und an der Gesellschaft teilhaben.
Lüddemann warf der Landeregierung vor, das Thema „Selbstbestimmung und Teilhabe“ nicht ernsthaft und konsequent genug anzugehen. Sie vermisse eine Landespflegekonzeption und den politischen Willen, das Gemeinwesen zu stärken. Der Entschließungsantrag sei eine logische Konsequenz daraus. Die Grünen verstehen „alternsgerechte Quartiere“ als generationengerechte Sozialräume, die Menschen stärken und die es ihnen ermöglichen gemeinsam älter zu werden. Auf diese Weise könnten sich idealer Weise lokale Verantwortungsgemeinschaften entwickeln, so die Grünen-Abgeordnete. Zum Aufbau solcher Quartiere sei ein Quartiersmanager nötig, der über ein Förderprogramm finanziert werden sollte.
Weitere Forderungen der Grünen waren: die Neufassung der Pflegeverordnung, die Prüfung der gesetzlichen Verankerung von Pflegekonferenzen und langfristig die Senkung der Doppelzimmerquote in Alten- und Pflegeheimen. Eine Zeitung hätte gerade den letzten Aspekt vor kurzem plakativ auf den Punkt gebracht: „Wer will schon in einem Doppelzimmer sterben?“
Minister verweist auf seniorenpolitische Leitlinien
Bei all den Überlegungen, die derzeit zum Wohnen und zur Pflege im Alter gemacht würden, sollte man den Gedanken der Inklusion nicht vergessen, betonte der Minister für Arbeit und Soziales, Norbert Bischoff (SPD). Denn niemand wolle im Alter nur unter alten Menschen sein, frühzeitig sollten daher auch jüngere Menschen in den Blick genommen und generationsübergreifendes Wohnen gefördert werden. In Sachsen-Anhalt werde seit Jahren das Modell der vernetzten Pflegeberatung praktiziert, nach Ansicht des Ministers habe sich dieses bewährt.
Die Forderung der Grünen nach einer neuen Landespflegekonzeption lehnte Bischoff ab, da viele der Punkte aus dem Entschließungsantrag bereits in den vom Land erarbeiteten seniorenpolitischen Leitlinien bis 2020 enthalten seien, wie beispielsweise der Quartiersansatz, das Care-Management und die Verbesserungen der Bedingungen für das Zuhause-Wohnen. Die Leitlinien seien so angelegt, dass sie stetig weiterentwickelt werden könnten, es handle sich dabei um eine nachhaltige und konsequente Beschäftigung mit dem Thema, sagte Sozialminister Bischoff. Die Leitlinien seien zudem vom Wohn- und Teilhabegesetz flankiert worden, so dass er die Entwicklung eines neuen Eckpunktepapiers für nicht notwendig erachtet.
Auch die weiteren Forderungen der Grünen entkräftete der Minister mit dem Verweis auf bereits vorhandene Möglichkeiten. So könnten die PIA-Beratungsstellen bei Bedarf bereits heute Kommunen im Bereich alternsgerechte Quartiersentwicklung beraten und die Finanzierung von Quartiersmanagern sei durch Mittel aus dem Bereich der Städtebauförderung möglich. Den Wunsch nach weniger Doppelzimmern in Pflegeheimen relativierte er, zum einen seien die Interessenslagen der Menschen sehr verschieden. Zum anderen gelte auch in der Pflege das Wettbewerbsprinzip. Sollte es demnach eine verstärkte Nachfrage nach Einzelzimmern geben, werde der Markt dies schon regeln.
CDU: Pflegeinfrastruktur gut aufgestellt
Dietmar Krause (CDU) schloss sich im Wesentlichen den Äußerungen des Ministers an. Das Prinzip „ambulant vor stationär“ gewinne immer mehr an Bedeutung. Er begrüßte die Vielfalt von Beratungsmöglichkeiten zum Themenkomplex und zeigt sich zufrieden mit dem Prinzip der vernetzten Pflegeberatung gerade im ländlichen Raum. Darüber hinaus erklärt der CDU-Abgeordnete, die Infrastruktur der Pflege in Sachsen-Anhalt sei gut aufgestellt.
Bei 2300 leer stehenden Pflegebetten sieht Krause derzeit keinen Bedarf für weitere Neubauten von Pflegeheimen. Außerdem würden die Wohnungsgesellschaften den Bedarf an altersgerechten Wohnungen immer mehr erkennen. Mit Blick auf die Opposition sagte Krause, es wäre schön, wenn diese anerkennen würde, was die Landesregierung im Bereich des altersgerechten Wohnens und der Pflege bereits alles auf den Weg gebracht habe und nicht einfach Forderungen aufstellen würde, die bereits aufgegriffen seien.
Linke halten Antrag vor der Wahl für unrealistisch
Mit Blick auf die Große Anfrage fällt das Resümee von Sabine Dirlich (DIE LINKE) ernüchternd aus. Trotz aller Bemühungen sei es nicht gelungen, den Anteil der ambulanten Pflege gegenüber der stationären deutlich zu steigern. Zwar würden zwei Drittel der Pflegebedürftigen ambulant gepflegt, dies liege jedoch an den Angehörigen und nicht am Ausbau der ambulanten Pflege. Dirlich bezweifelte, ob dies wirklich im Sinne der älteren Menschen ist, da die Angehörigen oft nicht ausgebildet und mit der Situation überfordert sind. Umso wichtiger sei die Frage der Beratung. Hier müsse sie jedoch konstatieren, dass die Zahl der Pflegeberaterinnen in den vergangenen Jahren sogar leicht gesunken ist.
Der Verweis der Landesregierung auf „Ehrenamtliches Engagement“ ist richtig und diese sei auch sehr lobenswert. Ehrenamtliches Engagement könne jedoch nicht als Allheilmittel für „klamme Kassen“ herhalten, sagte Dirlich. Den Entschließungsantrag beschrieb die Linken-Abgeordnete als „sehr vollgepackt“ und befürchtet, dass von Seiten der Landesregierung nicht mehr mit einer konzeptionellen Arbeit vor Ende der Legislaturperiode zu rechnen sei. Das hätte ihrer Ansicht nach nichts mit der Sinnhaftigkeit der von den Grünen gemachten Vorschläge zu tun. Aus Mangel an Erfolgsaussichten werde ihre Fraktion den Antrag daher ablehnen und stattdessen die kommenden Monate und den Wahlkampf nutzen, um eigene Konzepte zu erarbeiten und vorzustellen.
SPD: Quartiersmanagement nichts Neues
Für eine Große Anfrage sei der Fokus der Grünen auf das Thema „Stationäre Alten- und Pflegeheime“ und „Altengerechte Quartiersentwicklung“ zu wenig, kritisierte Dr. Verena Späthe (SPD). Manche Fragen empfand sie zudem als irritierend, nicht alle genutzten Begrifflichkeiten seien heutzutage mehr gängig. Späthe hatte daher den Eindruck, dass Teile der Anfrage aus anderen Bundesländern übernommen worden seien, ein sachkundiger Leser bleibe in jedem Fall ratlos zurück.
Ebenfalls kritisch sah sie den Begriff „alternsgerecht“, dieser werde ursprünglich in der Wirtschaft und Industrie verwendet und bezieht sich hauptsächlich auf „alternsgerechte Arbeitsplätze“. Den Begriff nun auch im sozialen Kontext anzuwenden, hält sie für sehr gewagt. Daneben betonte sie, das Thema Quartiersmanagement sei nicht erst seit gestern in aller Munde und nicht an Sachsen-Anhalt vorüber gegangen.
Der Entschließungsantrag wurde mit großer Mehrheit der Abgeordneten abgelehnt.