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Plenarsitzung

Wahlfälschung und Lehren der DDR-Zeit

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beantragte für die Dezember-Sitzungsperiode eine Aktuelle Debatte, die die Wahlfälschung bei der Stadtratswahl in Stendal in den Fokus rückte. Die Wahlfälschung und damit der Vertrauensverlust in die örtliche Politik sollten vom Landtag thematisiert und aufgearbeitet werden. Die Grünen sprachen sich für eine zügige und vollständige Neuwahl aus. Darüber hinaus forderte die Fraktion DIE LINKE die Überprüfung des Kommunalwahlgesetzes sowie der Kommunalwahlordnung, inwiefern diese den bestmöglichen Schutz vor Missbrauch, Manipulation und Fälschungen von Wahlergebnissen bieten.

Unregelmäßigkeiten restlos aufklären

Weniger als die Hälfte der Briefwähler beteiligten sich am 9. November 2014 an der Neuauflage der Briefwahl bei der Kommunalwahl in Stendal. Die vorangegangene Wahlfälschung habe offenbar zu einer Politikverdrossenheit geführt, deren Schaden kaum wiedergutgemacht werden könne, erklärte Sebastian Striegel (Grüne). Er habe es nicht für möglich gehalten, dass Verfälschungen von Wahlen überhaupt noch möglich seien, aber auch bei der Wiederholung der Wahl habe es wiederum Unregelmäßigkeiten bis hin zum „Stimmenkauf“ gegeben. Statt im politischen Wettbewerb auf die besseren Ideen zu setzen, habe in Stendal Wahlfälschung die politische Macht der CDU sichern sollen – „Die ‚Patenbrigade‘ vor Ort scheint jedenfalls ganze Arbeit geleistet zu haben“, kritisierte Striegel.

Erst die konkrete Recherche der Medien hätte die Unstimmigkeiten in Stendal aufgedeckt, die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen müssten nun zügig zu Ende geführt werden. Die CDU selbst habe wenig zur Aufklärung der Fälschungen beigetragen, man dürfe aber nicht auf Polizei und Staatsanwalt warten, sondern müsse sofort selbst aktiv werden, bemängelte der Grünen-Abgeordnete.

Nun müsse man sich fragen, ob das bisherige Briefwahlsystem derlei Fälschungen begünstige. Es gehe nicht darum, das geschätzte Instrument gänzlich abzuschaffen. Eine Aufarbeitung müsse jedoch vor der Landtagswahl 2016 auf den Weg gebracht werden. Wahlfälschung müsse konsequent bestraft werden, forderte Striegel, auch die CDU müsse politisch zur Verantwortung gezogen werden. „Machtverlust ist der Regelzustand der Demokratie – niemand darf versuchen, den seinigen durch Wahlfälschung zu verhindern.“ Das unrechtmäßig zusammengekommene Stadtparlament gehöre schnellstmöglich aufgelöst.

Es gilt die Unschuldsvermutung

Die Briefwahl gehöre als Teil der freien und geheimen Wahl zu den konstitutiven Grundelementen der Demokratie, erläuterte Staatsminister Rainer Robra. Alle Demokraten sollten entschieden auf Distanz zu Wahlfälschern gehen. „Die CDU ist und wird auf Distanz zu Wahlfälschern gehen, wenn sich weitere Verdachtsmomente ergeben“, erklärte Robra. Die Vorkommnisse in Stendal seien jedoch ein Einzelfall, der zudem durch eine Verwaltungspanne begünstigt worden sei.

Dem gegenüber seien mehr als tausend kommunale Wahlen rechtmäßig verlaufen. Daher bestehe keine Notwendigkeit, das Wahlsystem an sich in Frage zu stellen, sagte der Staatsminister hinsichtlich des Antrags der Linken. Man solle nicht auf eine massive Erschwerung der Briefwahl für alle gesetzestreuen Bürgerinnen und Bürger hinarbeiten. Das Ergebnis der Kreistagswahl im Landkreis Stendal sei bestandskräftig, das Prüfungsverfahren sei abgeschlossen. Die in Stendal begangenen Rechtsverstöße würden untersucht und aufgeklärt, das Wahlverfahren werde zu einem ordentlichen Abschluss geführt. Bis auf Weiteres gelte in den Verdachtsfällen die Unschuldsvermutung – „das ist auch ein rechtstaatliches Grundprinzip“, betonte Robra.

„Vom Willen zur Aufklärung keine Spur“

Tilman Tögel (SPD) habe sich nicht vorstellen können, dass nach Überwindung von Mauer, Stacheldraht und Wahlbetrug ein solches Gebaren wie in Stendal noch möglich wäre. Er habe selbst am 14. März 1989 Wahlfälschung vor Ort miterlebt und angeprangert – „solche Betrügereien sollten nicht wieder vorkommen“. Man dürfe sich in diesem Zusammenhang nicht über eine sinkende Wahlbeteiligung wundern. Man könne viel für die Stärkung der Demokratie in die Wege leiten, die Vorkommnisse in Stendal führten solche Aktionen ad absurdum.

Die Verantwortlichen vor Ort spielten die Ereignisse herunter, vom Willen zur Aufklärung gebe es keine Spur, auch keine Entschuldigung, bemängelte Tögel. Erst als Polizei und Staatsanwaltschaft samt Hausdurchsuchung zu ermitteln anfingen, habe sich die CDU eingeschaltet. Für den 31. Mai 2015 sei die Neuwahl des Stendaler Stadtrats angesetzt, informierte Tögel. Bis dahin sollten die Vorkommnisse aufgeklärt sein: Wer ist unschuldig ins Visier geraten, wer ist schuldig? Demokratische Wahlen seien ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft, das Vertrauen darauf sei – zumindest in Stendal – ins Wanken geraten, sagte Tögel abschließend.

„Keine kriminelle Vereinigung“

Hardy Peter Güssau, Vorsitzender des CDU-Stadtverbandes Stendal und Mitglied des Kreistags des Landkreises Stendal und also persönlich betroffen, zeigte sich von der Wahlfälschung erschüttert. „Wir distanzieren uns davon“, sagte Güssau und „wir erwarten als Stendaler CDU eine lückenlose Aufklärung.“ Die CDU in Stendal sei allerdings keine kriminelle Vereinigung, so wie es mehrfach – wenn auch sarkastisch – in den Medien kolportiert worden sei.

Täter müssen mit Sanktionen rechnen

Man sei im Landtag gemeinsam an der Aufklärung der Wahlfälschung in Stendal interessiert, und dann werde die Aktuelle Debatte genutzt, einzelne Kollegen und Parteien zu diffamieren – „das hat nichts mit guten Demokraten zu tun“, erklärte Gabriele Brakebusch (CDU). „Wahlmanipulationen sind verwerflich und nicht als Kavaliersdelikt hinzunehmen.“ Täter müssten sich im Klaren sein, dass es dafür keine Entschuldigung gebe und eine politische Ächtung die Folge sein müsse. Wahlbetrug, also das bewusste Manipulieren, trete meist in Diktaturen auf, erklärte Brakebusch. In Sachsen-Anhalt müsse man in der Geschichte also nicht weit zurückgehen. Der Nachweis von Wahlfälschungen bei den letzten unfreien Wahlen in der DDR sei einer der Auslöser der demokratischen Wende in der DDR gewesen.

Das Rechtssystem sehe Sanktionen gegen Wahlfälschung vor, denn sie erschütterten das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger und die Demokratie. Die derzeit gültigen Rechtsvorschriften gewährten einen hohen Schutz gegen Manipulationen, dennoch sei es nachvollziehbar, den Rechtsrahmen zu prüfen und fortzuentwickeln. Der Antrag der Linken sollte deswegen in den Innenausschuss überwiesen werden.

Die in Stendal im Zentrum der Ermittlungen stehende Person sei selbst zurückgetreten und somit einem Parteiausschlussverfahren zuvorgekommen, sagte die CDU-Abgeordnete. Die CDU-Fraktion im Stendaler Stadtrat habe sich von den Taten distanziert, das Handeln einer einzelnen Person habe die langjährige ehrenvolle Arbeit von vielen Kommunalpolitikern in Misskredit gebracht. Brakebusch warb dafür, nun die Ermittlungen abzuwarten, sich mit Mutmaßungen zurückzuhalten und keine Skandalisierung des Falls zuzulassen. „Wahlen sind ein hohes demokratisches Gut“, betonte Brakebusch, eine zügige und gründliche Aufklärung sei unbedingt notwendig – und das vor der Neuauflage der Stadtratswahl in Stendal. „Ich wünsche mir, dass solche kriminellen Energien in keiner Stadt, Gemeinde oder Partei wieder auftreten werden.“

System ist „löchrig wie ein Schweizer Käse“

Man sei in Stendal in der bitteren Wirklichkeit angekommen, erklärte Dr. Helga Paschke (DIE LINKE), nun müsse aufgeklärt werden, welche Rolle die CDU bei den Vorgängen gespielt habe. Sie gehe davon aus, dass das Agieren von Handlungsträgern der CDU die Vorgänge begünstigt habe. Unter anderem habe der Stadtwahlleiter (CDU) versucht, das falsche Wahlergebnis (exorbitant viel mehr Stimmen für einen CDU-Kandidaten bei der Briefwahl im Vergleich zur direkten Stimmabgabe beim Wahltag) noch zu erklären.

Gegen mindestens zehn Personen werde derzeit wegen Wahlfälschung und Urkundenfälschung ermittelt. Pannen habe es auch bei der Nachwahl im November gegeben.

Höhepunkt des Verschweigens und Beschönigens sei eine Meldung des Vorstands des CDU-Stadtverbands gewesen, in der von eigenmächtigem Handeln einer einzelnen Person gesprochen worden sei. Als Stendaler Kreistagsmitglied könne Paschke bestätigen, dass nach der Kreistagswahl – insbesondere mit den Stimmen der CDU – darauf gedrängt worden sei, die Ergebnisse der Wahl anzunehmen. Ein Wahlschein der Stadtrats-Briefnachwahl sei mit einer Notiz über „Vetternwirtschaft“ und Politikverdrossenheit versehen gewesen – hier liege das ganze Drama, konstatierte Paschke.

Das System der Briefwahl sei nach Paschkes Ansicht „löchrig wie ein Schweizer Käse“, es lade zur Manipulation an einigen Stellen regelrecht ein. Durch das System soll eigentlich nur die Stimmabgabe erleichtert werden, tatsächlich aber sei „die Liste der Manipulationen und Fälschungen so lang wie die Dunkelziffer hoch ist“. Paschke forderte die Einführung einheitlicher Formulare und die Verhinderung der massenhaften Unterschriftenfälschung. Sie kritisierte das Vorhaben der Koalition, den Antrag in den Innenausschuss zu überweisen, er sei im Grunde direkt abzustimmen, ansonsten werde das Problem – wie im Landkreis Stendal – nur vor sich hergeschoben.

Emotionaler Schlagabtausch zur Parteivergangenheit

Im Fortlauf der Aktuellen Debatte veränderte sich der Fokus der Diskussion von den Vorkommnissen in Stendal (Wahlfälschung) zur Rolle der Blockparteien in der DDR. Im SED-Staat hatte Wahlfälschung bis zuletzt auf der politischen Agenda gestanden. Im Zuge der sehr emotional weitergeführten Debatte kam es zur Auseinandersetzung der Fraktionen über ihren Umgang mit der eigenen parteipolitischen Vergangenheit. Die Fraktionsvorsitzenden von CDU, SPD und DIE LINKE meldeten sich zusätzlich zu Wort. Diese Redebeiträge finden Sie hier:

Der während der Aktuellen Debatte mitberatene Antrag der Linken zur Prüfung des Briefwahlverfahrens in Sachsen-Anhalt wurde als Tagesordnungspunkt 9 nach der Debatte in den Ausschuss für Inneres und Sport sowie für Recht, Verfassung und Gleichstellung überwiesen.

Antrag der Linken zur Prüfung des Briefwahlsystems (PDF)