Vor dem Hintergrund der politischen Absichtserklärung, die räumliche Beschränkung des Aufenthalts von Inhabern von Aufenthaltsgestattungen und Duldungen zu überarbeiten, fordert die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, diesen Inhaberinnen und Inhabern die generelle Erlaubnis zu erteilen, sich zeitweilig auch außerhalb des Landes Sachsen-Anhalt aufhalten zu dürfen. Die Residenzpflicht sei seit jeher Gegenstand massiver Kritik von Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen, heißt es in der Begründung zum Antrag. Die Fraktionen von CDU und SPD brachten einen Alternativantrag ein.
Menschenwürde nicht relativieren
Allein Asylsuchende und Geduldete seien von der sogenannten Residenzpflicht betroffen, erklärte Sören Herbst (Grüne). Sie dürften ohne Genehmigung das Bundesland nicht verlassen. Die Bewegungsfreiheit und die freie Wahl des Aufenthaltsortes seien aber Grundrechte, machte Herbst deutlich. Bei der Residenzpflicht würden Sachbearbeiter nach freiem Ermessen Entscheidungen treffen, dieses Verfahren grenze an Willkür. Den Ursprung der Residenzpflicht finde man in der früheren deutschen Kolonialpolitik, sie sei rückwärtsgewandt und diskriminierend. Die Residenzpflicht habe keinen praktischen Nutzen und diene auch nicht der Integration. Die Betroffenen seien schon mit genügend Einschränkungen belegt, die Residenzpflicht könne nicht die Antwort auf die globalen Krisen mit Tausenden Flüchtlingen sein und habe nichts mit Willkommenskultur zu tun. Man könne nur miteinander leben, nicht gegeneinander, betonte Herbst. Die Menschenwürde sei auch migrationspolitisch nicht zu relativieren.
Erweiterter Ländererlass nicht mit Bundesrecht vereinbar
Durch eine Verordnung sei seit 2011 der Aufenthalt von Asylsuchenden und Geduldeten in ganz Sachsen-Anhalt gewährleistet, erklärte Innenminister Holger Stahlknecht. Ein erweiterter Ländererlass sei mit dem geltenden Bundesrecht nicht vereinbar. Man solle die weitere politische Entwicklung auf Bundesebene abwarten und dann auf Landesebene weiterdiskutieren.
Wohnortzuweisung muss erhalten bleiben
Die Residenzpflicht sei seit ihrer Einführung 1982 eine Einschränkung der Freizügigkeit, es handle sich um eine überarbeitungswürdige Regelung, erklärte Silke Schindler (SPD). Deutschland und Österreich seien die einzigen beiden Staaten in Europa, die über solch eine Verordnung verfügten. Die SPD spricht sich für die zeitweilige Aufhebung der Residenzpflicht aus, beispielsweise über die Landesgrenzen hinweg. Die Wohnortzuweisung müsse allerdings erhalten bleiben, so Schindler, um die Belastung der Gebietskörperschaften gleichmäßig zu verteilen. Durch den Alternativantrag der Koalition begrüßt der Landtag das Gesetzgebungsvorhaben des Bundes, eine Ausweitung der räumlichen Beschränkung des Aufenthalts auf das gesamte Gebiet des jeweiligen Bundeslandes zu ermöglichen (was es in Sachsen-Anhalt schon gibt), darüber hinaus werden die Einführung der Möglichkeit des vorübergehenden Verlassens des Landes bis zu einer Woche auf der Grundlage einer einseitigen Mitteilung unter Angabe des Zielorts sowie der Anspruch auf Befreiung von der räumlichen Beschränkung der Wohnsitzauflage bei Studium, Berufsausübung und -ausbildung begrüßt.
Rechtlich falsch und nicht notwendig
In Deutschland gebe es einen Flickenteppich unterschiedlicher Entscheidungen über die Residenzpflicht, bemängelt Henriette Quade (DIE LINKE). Zwar habe man in Sachsen-Anhalt die Residenzpflicht 2011 gelockert, ihre Fraktion möchte diese Regelung jedoch gänzlich abschaffen. Es handle sich um einen rein politisch motivierten Straftatbestand, den nur Nicht-Deutsche begehen könnten. Das Vorgehen sei rechtlich falsch und nicht notwendig. Trotz der Lockerung gebe es Hunderte Ermittlungsverfahren, die mit einem großen Verwaltungsaufwand verbunden seien. „Der Alternativantrag ist das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt ist“, kritisierte Quade in Richtung Koalition. Er sei ein weiterer Beleg der politischen Lähmung der Koalition auch auf diesem Politikfeld.
Beschränkungen zulassen
Für Dietmar Krause (CDU) und seine Fraktion habe die Residenzpflicht gute ordnungspolitische, arbeitsmarktpolitische und sicherheitspolitische Gründe, sie verstoße nicht gegen die Grundrechte. Mit der Union werde es keine Abschaffung der Residenzpflicht geben. Viele hier lebenden Asylbewerber und Geduldeten würden nach Berlin ziehen, mutmaßte Krause, dadurch würde es zu einer unausgeglichenen Belastung der Gebietskörperschaften in den Ländern beziehungsweise Großstädten kommen. Krause wies darauf hin, dass es – wie im Antrag der Koalition notiert – die Möglichkeit der Anordnung der räumlichen Beschränkung des Aufenthalts bei Straftätern und Personen, bei denen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz bekannt geworden sind oder bei denen aufenthaltsbeendende Maßnahmen konkret bevorstehen, geben müsse.
Im Anschluss an die Debatte wurde der Ursprungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt. Der Alternativantrag der Fraktionen von CDU und SPD wurde mit den Stimmen der Koalition angenommen. Eine Überweisung in den Innenausschuss fand keine Mehrheit.