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Plenarsitzung

Kühe können nicht zum Anwalt gehen

Die Fraktion DIE LINKE hat im Januar 2014 einen Gesetzentwurf über das Verbandsklagerecht und die Mitwirkungsrechte von Tierschutzvereinen in Sachsen-Anhalt vorgelegt. Das Gesetz soll Tierschutzverbänden ermöglichen –  quasi als Anwälte der Tiere – die Belange des Tierschutzes einklagen zu können. Nach der ersten Beratung im Landtag Ende Januar wurde der Gesetzentwurf federführend in den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten überwiesen. In einer öffentlichen Anhörung nutzten am Mittwoch, 10. September, mehr als 20 Interessenverbände, Tierschutzvereine und Wissenschaftler die Möglichkeit, zum vorliegenden Gesetzentwurf Stellung zu nehmen.

Rotraud Wunsch (M.), Mitbegründerin vom Tierschutz Halle e. V., überreicht an die Ausschussvorsitzende Gabriele Brakebusch (r.) eine Liste mit 5000 Unterschriften, die für die Einführung des Verbandsklagerechts gesammelt wurden. Unterstützt wurde sie von Karoline Gürtler, Marlies Koser und Marco Wolf aus dem Vereinsvorstand (v.l.n.r.).

Contra: Der Bauernverband Sachsen-Anhalt e. V. lehnte den Gesetzentwurf ab. Das bestehende Tierschutzgesetz reiche aus, um das Wohl der Tiere zu gewährleisten, so die Hauptgeschäftsführerin des Bauernverbandes, Katharina Elwert. Der Gesetzentwurf drücke vielmehr ein „Misstrauen gegenüber Behörden“ aus. Außerdem fürchtet der Bauernverband bei Verbandsklagen durch Tierschutzorganisationen – wie etwa einem Stallneubau – zeitliche Verzögerungen bei Genehmigungsverfahren. Dies könnte nach Meinung von Elwert sogar negativen Einfluss auf Innovationen in der Tierhaltung haben. Ähnlich sah dies auch die Ethikkommission des Landes, die durch Dr. Dietmar Weinert vertreten wurde.

Pro: Auf Zustimmung traf der Gesetzentwurf beim Landesverband Sachsen-Anhalt des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Oliver Wendenkampf, Geschäftsführer des BUND Sachsen-Anhalt, betonte, dass die Interessen der Tiere momentan von niemandem eingeklagt werden könnten: „Schweine können nicht vor Gericht ziehen und sagen, dass sie malträtiert werden.“ Mit dem Gesetz über das Verbandsklagerecht könnten Tierschutzorganisationen quasi als Anwalt der Tiere agieren, das bisherige Ungleichgewicht zwischen Tierschutz und den Grundrechten der Tiernutzer könnte aufgehoben werden. Nach Meinung von Wendenkampf entspräche das auch Artikel 20a des Grundgesetzes, der den Tierschutz zum Staatsziel erklärt habe. Der BUND argumentierte, dass es im Bereich des Umwelt- und Naturschutzes bereits seit Jahren ein Verbandsklagerecht gebe und dieses nicht zu einer Klageflut geführt habe.

Contra: Ganz anders sah das der Rinderzuchtverband Sachsen-Anhalt e. G. und lehnte den Gesetzentwurf ab. „Er ist nicht notwendig und nicht zielführend“, sagte Geschäftsführer Dr. Matthias Löber. Es gebe bereits eine Fülle von Vorschriften und Auflagen, an die sich die Rinderzüchter in Sachsen-Anhalt halten müssten und die auch regelmäßig überprüft würden. Bei einem weiteren Gesetz im Tierschutzbereich befürchtet Löber, dass der Bürokratieaufwand steige und sieht „wirtschaftliche Nachteile vorprogrammiert“.

Glückliche Kühe?! Rinder in einem Stall in Sachsen-Anhalt. Foto: Peter Gaß/Bilddatenbank Sachsen-Anhalt

Pro: Ein juristisches Argument brachte Dr. Eisenhart von Loeper von der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht in die Diskussion ein. Durch Artikel 20a des Grundgesetzes habe der Tierschutz Verfassungsrang und das bedeute, dass dieser auch vor Gericht standhalten müsse – „ohne Rechtsprechung verarmt der Rechtsstaat“, so Loeper. Für die Gesellschaft sei es eine Auszeichnung, wenn sie sich um Schwächere kümmere. Weiterhin sagte Loeper: „Wer sich an Gesetz und Recht hält, hat nichts zu befürchten.“ Auch bei Tierversuchen im Bereich der Forschung würde nur Gefahr durch eine Verbandsklage bestehen, wenn die Rechtsstaatlichkeit nicht eingehalten würde.

Contra: Dr. Klaus Kutschmann von der Tierärztekammer Sachsen-Anhalt befürchtet hingegen langwierige Gerichtsverfahren und „ein Mehr an Verwaltungsaufwand“. Die Tierärzte seien von der Gesetzgebung her bereits für den Tierschutz verantwortlich. Mit dem Gesetzentwurf werde den Behörden Untätigkeit unterstellt, so Kutschmann. Seiner Ansicht nach seien die gegenwärtigen Bestimmungen ausreichend, wenn man sie konsequent anwendete. Ähnlich sahen es auch der Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalt und der Verband der Tierärzte im öffentlichen Dienst. Tierärztin Dr. Andrea Krüger plädierte zudem dafür, dass alle am Tierschutz interessierten Kräfte zusammenarbeiten und empfahl die Etablierung eines Tierschutzbeauftragten für Sachsen-Anhalt. Dieser könnte dann als Vermittler zwischen Tierhaltern, Tierschützern und Behörden auftreten.

Pro: Positiv aufgenommen wurde der Gesetzentwurf von den Tierschutzvereinen in Sachsen-Anhalt. Rotraud Wunsch, Vorsitzende des Tierschutz Halle e. V., erklärte, nach derzeitigem Gesetzesstand könnten nur Tiernutzer gegen zu hohe Tierschutzauflagen klagen, jedoch niemand gegen zu niedrige Auflagen. Das würde sich mit dem Verbandsklagerecht von Tierschutzvereinen ändern. Wunsch betonte, dass eine Klage aus ihrer Sicht nur das letzte Mittel wäre. Außerdem sei der Gesetzentwurf ein Ausdruck für „verantwortungsvolles Bürgerschaftsengagement und gelebte Demokratie“.

Contra: Gegen den Gesetzentwurf sprachen sich der Wirtschaftsverband Eier und Geflügel e. V., der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft sowie die Landesverbände für Rassegeflügel beziehungsweise Kaninchen und der Landesanglerverband aus. Werner Gutzmer vom Wirtschaftsverband Eier und Geflügel sah die „Nutztierhaltung unter Generalverdacht gestellt“. Er äußerte zudem Zweifel an der fachlichen Kompetenz von Tierschutzorganisationen. Gutzmer warnte auch vor möglichen finanziellen Einbußen bei den Nutztierhaltern, falls sich bau- und immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren durch Verbandsklagen in die Länge zögen. Darüber hinaus gab er zu bedenken, dass der Datenschutz gegenüber den Tierhaltern nicht gewährleistet werde könnte, wenn Tierschützer „Akteneinsicht“ verlangen könnten.

Pro: Das Bündnis für Tiere Magdeburg e. V. versuchte, den Tierhaltern die Angst vor unberechtigten Klagen oder einer Klageflut zu nehmen. Die Vorsitzende des Bündnisses Mirjam Karl-Sy sagte: „Niemand wird verklagt oder verunglimpft, wenn alles nach den Vorgaben des Tierschutzgesetzes läuft.“ Ihr Verein begrüße insbesondere das Mitwirkungsrecht im Vorfeld von Gesetzesvorhaben, das im Gesetzentwurf vorgesehen ist. Der Tierschutzverein Pfötchen e. V. Dessau-Roßlau bewertete den Gesetzentwurf nicht zuletzt deshalb positiv, weil sich Tierschutzbelange nicht mehr zwangsläufig wirtschaftlichen Interessen unterordnen müssten.

Contra: Vertreter aus Wissenschaft und Forschung argumentierten, dass die aktuelle Gesetzeslage ausreichend sei, insbesondere auch bei Tierversuchen. Prof. Dr. Stefan Treue von der Deutschen Forschungsgemeinschaft erklärte, bereits jetzt würden kontinuierliche Untersuchungen stattfinden, bevor Tierversuche beginnen könnten. Zwischen 20 und 30 Experten würden bereits einen Antrag auf Tierversuche prüfen, darunter seien auch Mitglieder von Tierschutzverbänden. Aus diesem Grund sei ein zusätzliches Verfahren nicht nötig. Daneben befürchtet Prof. Dr. Eckart D. Gundelfinger, Geschäftsführender Direktor des Leibniz-Instituts für Neurobiologie, dass die Teilnahme an internationalen Forschungsprojekten durch das neue Gesetz erschwert werde, weil sich ausländische Partner nicht auf das „Klagerisiko“ einlassen würden.

Pro: „Höchst erfreut“ über den Gesetzentwurf zeigte sich dagegen ein Gast aus Nordrhein-Westfalen. Michael Hülsenbusch, Leiter des Rechtsreferats im Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen, hatte in seinem Bundesland maßgeblich an der Einführung des Verbandsklagerechts mitgearbeitet, und ein Jahr später sieht sich Hülsenbusch bestätigt: In NRW gebe es bislang sieben anerkannte Vereine, die das Verbandsklagerecht haben, damit sei die Sorge, dass zu viele mitmischten, nicht begründet, so Hülsenbusch. Auch das Problem der Verfahrensverlängerung sieht er in seinem Bundesland nicht. Eine Stellungnahme von Tierschutzvereinen, beispielsweise zu baurechtlichen Problemen, müsste innerhalb einer Frist von vier Wochen vorliegen. Im Bereich Tierversuche hätten Tierschutzvereine in NRW allerdings nur die Möglichkeit einer Feststellungsklage.

Contra: Der Verband der Deutschen Zoodirektoren und der Berufsverband der Tierlehrer e. V. haben sich entschieden gegen den Gesetzentwurf ausgesprochen. Sie fürchten, dass radikale Tierschützer mit dem Verbandsklagerecht ein Instrument in die Hand bekämen, um die Haltung von Tieren in Zoos und Zirkussen gänzlich verbieten zu lassen. Dabei würden beide Bereiche der ständigen Kontrolle durch die Veterinärämter unterliegen. Dr. Kai Perret, Direktor des Magdeburger Zoos, gab zu bedenken, dass in Rheinland-Pfalz die Bereiche Zoo und Forschung aus dem Verbandsklagerecht ausgenommen wurden.

Nach der öffentlichen Anhörung werden sich die Mitglieder des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten erneut beraten, den Gesetzentwurf gegebenenfalls überarbeiten und dann dem Landtag mit einer Beschlussempfehlung zur Zweiten Beratung übergeben. Sachsen-Anhalt wäre das sechste Bundesland in Deutschland, das ein Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzorganisationen einführen würde.