In einer von den vier Fraktionen des Landtags initiierten Aktuellen Debatte haben sich die Abgeordneten mit dem 25. Jahrestag der Friedlichen Revolution beschäftigt. Sie würdigten die Courage der Menschen im Herbst 1989 und die Grenzöffnung sowie die später resultierende Wiedervereinigung.
Aus der Hoffnung wurde Gewissheit
Vor 25 Jahren hätten Diktatur, Unrecht, Willkür und wirtschaftlicher Niedergang die Menschen in die Kirchen und auf die Straße getrieben, erinnerte Katrin Budde (SPD) an die Montagsdemonstrationen vor einem Vierteljahrhundert. „Die Losung war ‚Wir sind das Volk!‘ – das war der Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins, ein Akt der Emanzipation, eine politische Forderung.“ Es sei eine Befreiung gewesen, das laut zu sagen. „Und hätten wir damals schon von der Angst und Ohnmacht der politischen Führung gewusst, man hätte es wohl früher und lauter gerufen.“ Budde zeigte sich stolz, selbst friedliche Revolutionärin gewesen zu sein. „Und ich bin auch stolz auf das, was daraus geworden ist.“ Kerzen und Gebete seien die einzigen Waffen der Revolutionäre gewesen: „Keine Gewalt – das war unsere Doktrin.“
Als keine Schüsse fielen, sei aus der Erleichterung Hoffnung, aus der Hoffnung Gewissheit geworden – die Revolution gegen einen bis an die Zähne bewaffneten Staat war gelungen. „Revolutionen passieren nicht, sie müssen gemacht werden“, erklärte Budde und kritisierte Aussagen des Altkanzlers Helmut Kohl, der den Umbruch im Osten vor allem der wirtschaftlichen Misslage zuschrieb. Das Magazin „Spiegel“ berichtete kürzlich über ein Interview mit Kohl, worin er einem Journalisten gegenüber gesagt haben soll: „Es ist ganz falsch, so zu tun, als wäre da plötzlich der Heilige Geist über die Plätze in Leipzig gekommen und hat die Welt verändert.“ Vielmehr sei die Schwäche Moskaus ursächlich für den Zusammenbruch der kommunistischen Diktatur in der DDR gewesen, heißt es weiter.
Budde lobte den Antrag zur Aktuellen Debatte aller vier Fraktionen als ein gemeinsames Bekenntnis zur Demokratie, dies sei im Grunde auch ein Vermächtnis der Friedlichen Revolution. Volksherrschaft funktioniere aber nur, wenn sich das Volk auch an der Politik beteilige, mahnte Budde abschließend.
Noch viele Fragen nicht beantwortet
Es reiche nicht, die Vergangenheit nur zu kennen, sondern man müsse verantwortungsvoll mit ihr umgehen und sich mit ihr auseinandersetzen, forderte Cornelia Lüddemann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Als Politiker/innen sei es an ihnen, diesen Prozess zu moderieren und den Umgang mit ihr zu gestalten. Die DDR-Aufarbeitung sei aber weit mehr als der Umgang mit Stasi-Akten, so die Grünen-Abgeordnete. Viele Fragen seien noch nicht geklärt, beispielsweise der Umgang mit Homosexuellen in der DDR, die Gleichberechtigung und das Wirken der Treuhand. Unrecht könne nicht zu Recht umgedeutet werden, es blieben immer die staatliche Willkür und die Vorenthaltung der persönlichen Freiheit. Es müsse auch um die Würdigung der Lebensleistung der Menschen in der DDR gehen.
Die Friedliche Revolution sei mit sehr viel Mut des Einzelnen verbunden gewesen, es habe sich nicht um ein spontanes Ereignis gehandelt, sondern war Resultat jahrelangen Vorlaufs. Sie sei zugleich Höhepunkt und Endpunkt des Sprechen-, Argumentieren- und des Handelnlernens der Menschen der DDR gewesen. „Die Menschen wollten sich ein eigenes Bild von der Welt machen“, sagte Lüddemann. Durch Information, Aktivierung und Reformation hätte man für die demokratische Erneuerung, für ein freies Land mit freien Menschen eingestanden. Die Themen der Friedlichen Revolution seien aktueller denn je (Umwelt, Überwachung), die Übernahme von Verantwortung sei für jedermann möglich.
Die Dinge endlich in die Hand genommen
Bei den Ereignissen von 1989 habe es sich um die erste unblutige Revolution der Geschichte gehandelt, resümierte André Schröder (CDU). Der heutige Fraktionsvorsitzende habe damals selbst im Uniformrock der Nationalen Volksarmee gesteckt und am jenem 9. Oktober, dem Tag der zweiten großen Montagsdemonstration, mit Eintrittskarten fürs Gewandhaus in der Hand auf dem heutigen Augustusplatz in Leipzig gestanden. Ein „Mauerspecht“ sei er nicht gewesen, die Dimension dessen, was sich da in den Städten der DDR vollzog, sei ihm erst später klargeworden. Auch der Zusammenhang zwischen dem Volksaufstand 1953 und den Aufständen in Prag und in Ungarn sei den Menschen erst sehr viel später gewahr geworden. „Im Herbst 1989 wurde vollendet, was 1953 mit dem Ruf nach Freiheit begann“, erklärte Schröder.
Man habe die Dinge endlich selbst in die Hand nehmen wollen, was nicht zuletzt auch die Wahlbeteiligung von über 90 Prozent bei der ersten freien Volkskammerwahl bewiesen habe. Heute sei die Zeit, auch über gemachte Fehler zu reden – über die ausgebliebenen Korrekturen an Fehlentwicklungen im Westen, über die dramatische Abwanderung und dass bis jetzt kein DAX-Unternehmen seinen Hauptsitz im Osten habe. Dennoch sei die Deutsche Einheit eine Erfolgsgeschichte: „Allen, die daran mitgewirkt haben, gilt meine tiefe Dankbarkeit.“ Die Freiheit werde nie geschenkt, sie werde immer nur gewonnen, sagte Schröder. Damit sei sie mit der Verpflichtung verbunden, sie auch zu gestalten.
Schweigen, wenn man sprechen müsste
Der Herbst 1989 habe schon sehr viel früher begonnen, als sich nämlich wenige Menschen trauten, den Widerspruch, den sie in sich spürten, auch nach außen hin zu leben, rekapitulierte Birke Bull (DIE LINKE). Sie hätten mit einem hohen persönlichen Risiko gelebt, das nicht selten Einschränkungen in der Biographie bedeutete und manche ihrer Lebensperspektive beraubt habe. Diesen Menschen gebühre Respekt, Wertschätzung und Wiedergutmachung, sagte Bull. Sie mahnten uns dazu, uns immer und immer wieder auf den Weg zu machen, um Demokratie und Teilhabe voranzubringen. Gelebte Demokratie sei wahrlich kein Pappenstiel, sondern immer anstrengend, zu oft schweige man, wenn man sprechen müsste, bekannte Bull. Noch immer rede man zu viel übereinander, zu wenig aber miteinander. Die Menschen, die schwere Brüche in ihrer Biographie haben hinnehmen müssen, seien in diesem Miteinander vor große Herausforderungen gestellt. Daher könne sie die Symbolik des kontrovers diskutierten Begriffs „Unrechtsstaat“ vor dem Hintergrund der Wertschätzung, der Klarheit und der Rehabilitation akzeptieren.
Birke Bull bekannte, dass mit dem Scheitern des politischen Systems der DDR viel Bedarf nachzudenken und Fragen zu stellen aufgekommen sei. Man habe eigene Irrtümer hinterfragen müssen. Sie persönlich habe damals gedacht, dass eine vermeintlich gute Idee (der Sozialismus in der DDR) durch Widerspruch Gefahr laufen könne, unterzugehen. Heute wisse sie, dass etwas, was Zukunft habe, durch Demokratie hinterfragt, vor allem aber gestärkt werden könne.
„Ich wollte die Zukunft mitgestalten“
Jens Bullerjahn, Finanzminister und gleichzeitig stellvertretender Ministerpräsident, war dankbar, dass es gelungen sei, diese Aktuelle Debatte gemeinsam zu beantragen. Man müsse unverkrampfter sein, wenn es um die Aufarbeitung der eigenen Verantwortung oder eigener Entbehrungen gehe. Bullerjahn selbst habe der Stasi eine schriftliche Absage erteilt und habe dadurch nicht zur Handelsmarine gedurft. Stattdessen habe er sich als Ingenieur arrangiert – „ich wäre wohl ganz normal alt geworden“, bekannte er. Und dennoch sei er als Atheist im Sommer 1989 in der Kirche gelandet und habe von den Repressalien gegen andere erfahren.
Duckmäusertum, Anpassung und Weggucken hätten das Funktionieren des DDR-Systems möglich gemacht. „Den Menschen, die gesagt haben ‚So geht das nicht‘, denen gebührt der Respekt“, sagte der Minister und ergänzte: „Wir haben alle nach dem dritten Weg gesucht“, also nach einer Reform der DDR. Heute gebe es hier und da zu einfache Antworten auf die Geschehnisse der Wendezeit. Man solle sich die Offenheit darüber bewahren, wo man damals gestanden habe, riet Jens Bullerjahn. Er habe sich damals an den Protesten beteiligt, um die Zukunft zu gestalten und nicht, um in Geschichtsbücher zu gelangen.
Beschlüsse wurden am Ende der Aktuellen Debatte nicht gefasst.