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Plenarsitzung

Am Ende mahnen drei tote Menschen

Die Fraktion DIE LINKE wollte die Landesregierung mittels Antrag beauftragen, die gegenwärtige und die vergangene Praxis polizeilicher Ingewahrsamnahme zu überprüfen. Hintergrund ist das aktuelle Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) im Fall Oury Jalloh. Der 21-jährige Asylbewerber war 2005 bei einem Brand in einer Dessauer Gefängniszelle ums Leben gekommen. Der BGH hatte in seinem Urteil Anfang September erklärt, dass die damalige Gewahrsamnahme durch die Polizei rechtswidrig gewesen sei. Über die Gewahrsamnahme soll die Landesregierung nun im Ausschuss für Inneres und Sport berichten. Im Folgenden sind die Redebeiträge der Landesregierung und der Abgeordneten zusammengefasst.

Der Antrag der Linken zum Fall Oury Jalloh (PDF)

Überprüfung der Vorgehensweise angeraten

Das zuletzt gesprochene BGH-Urteil sei ein wesentlicher Teil eines neun Jahre währenden gerichtlichen Aufarbeitungsprozesses des Todes des Asylbewerbers Oury Jalloh im Jahr 2005, erklärte Henriette Quade (DIE LINKE). Der Bundesgerichtshof hatte Anfang September 2014 das Urteil des Magdeburger Landgerichts (fahrlässige Tötung, 10 800-Euro-Geldstrafe) bestätigt. Der Antrag ihrer Fraktion sei von der Initiative getragen, zu hinterfragen, wie es sein könne, dass ein gefangener, gefesselter Mensch in Polizeigewahrsam verbrenne. Es gebe mehrere Teilbereiche von Schuld: durch den Ausbruch des Feuers, das Ausschalten des Feueralarms, die unterlassene Hilfeleistung und die rechtswidrige Ingewahrsamnahme ohne richterliche Weisung.

Die fehlende Richterentscheidung sei jedenfalls nicht ursächlich für den Tod Oury Jallohs gewesen, erinnerte Quade. „Wenn die Judikative feststellt, dass Teile der Exekutive die gesetzlichen Regelungen der Legislative nicht kennt, müssen Konsequenzen gezogen werden“, forderte die Abgeordnete der Linken. Habe es sich bei der Vorgehensweise damals um eine Ausnahme oder die Regel gehandelt? Gebe es weitere Fälle von Ingewahrsamnahme ohne richterliche Hörung? Der Tod von Qury Jalloh lasse sich nicht mehr ungeschehen machen, die Überprüfung anderer Fälle sei jedoch nötig, um das Handeln der Beamtinnen und Beamten vor Ort auf den Prüfstand zu stellen, so Quade.

Es handele sich dabei keineswegs um eine pauschale Schelte gegen die Polizistinnen und Polizisten im Land, betonte Quade, eine Überprüfung sei nach den in den letzten Jahren getätigten Aussagen der Polizistinnen und Polizisten (auch vor Gericht) aber gerechtfertigt. Sie räumte eine Verbesserung der Situation infolge der Änderung der Gewahrsamsordnung ein. Aber auch wenn das so sei, heiße das noch lange nicht, dass alle Regelungen im Ernstfall auch eingehalten würden.

Schon im Jahr 2002 habe es einen Todesfall in einem Dessauer Polizeirevier gegeben. Damals war ein Obdachloser einer schweren Schädelverletzung erlegen, ohne dass die Beamten vor Ort darauf aufmerksam geworden seien. Dass sich die Sensibilität vor Ort wenig geändert habe, demonstrierte nicht nur der Tod Oury Jallohs drei Jahre später, sondern auch der Tod eines 51-jährigen Obdachlosen, der nur sechs Wochen nach Jalloh in einer Magdeburger Polizeizelle an den Folgen einer Unterkühlung gestorben sei. Quade plädierte nachdrücklich für die Überprüfung von Gewahrsamnahmen durch die Polizei. Da seit 2005 polizeiliche Gewahrsamnahmen lückenlos dokumentiert werden müssen, sei der Aufwand vergleichsweise gering.

Kein zusätzlicher Prüfungsbedarf nötig

Dass am 7. Januar 2005 der Asylbewerber Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeiarrestzelle starb, sei eine Tragödie, die auch nach all den Jahren noch tief betroffen mache, erklärte Innenminister Holger Stahlknecht. Die juristische Aufarbeitung des Todes habe bis zum 4. September 2014 gedauert. Die Polizei sei in den zurückliegenden Jahren sensibilisiert worden, versicherte Stahlknecht, das Innenministerium als oberster Dienstherr habe in den zurückliegenden Jahren umfangreiche Maßnahmen zur Verbesserung der Gewahrsamnahme angeordnet. Unter anderem sei ein detaillierter Bericht zu den Rechtsvorschriften, den baulichen Regelungen und dem Optimierungsbedarf erarbeitet worden.

Heute sei eine lückenlose Dokumentierung der Gewahrsamnahme vorgeschrieben und werde auch umgesetzt. Die Räumlichkeiten würden jährlich geprüft. Der Abteilungsleiter Polizei müsse vierteljährlich zur Situation vor Ort Bericht erstatten. Zudem sei geklärt worden, wer nicht in polizeiliche Gewahrsamnahme kommen dürfe. Seit dem Jahr 2011 gebe es ein automatisiertes Verfahren, das die vollständige Dokumentation des Gewahrsams erleichtere, sagte Stahlknecht. Die Polizei habe aus den tragischen Ereignissen ihre Lehren gezogen und wurde und bleibe sensibilisiert, versicherte der Innenminister. Daher bestehe derzeit kein zusätzlicher Handlungs- oder Prüfungsbedarf.

Umfangreiche Konsequenzen gezogen

Der tragische Tod Oury Jallohs in staatlicher Obhut beschäme noch heute, konstatierte SPD-Innenexperte Rüdiger Erben. Der Schlusspunkt unter der strafrechtlichen Verfolgung habe der Bundesgerichtshof nun gesetzt. Für die Verantwortlichen bei der Polizei sei der sichere Gewahrsam zur Führungsaufgabe geworden. Unter anderem findet für eine höhere Sicherheit die Videoüberwachung der Gewahrsamnahme statt. Die Polizei habe aus den tragischen Ereignissen umfangreiche Konsequenzen gezogen, so Erben. Alle Gewahrsamnahmen eines Zeitraums von 14 Jahren zu überprüfen, wie es die Linken mit ihrem Antrag einforderten, sei allerdings nicht nötig. Zur weiteren Erörterung des Themas sprach sich Erben allerdings für die Überweisung des Antrags in den Ausschuss für Inneres und Sport aus.

Aufarbeitung muss weitergehen

Sebastian Striegel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sprach von einer kaum fassbaren Tragödie, die sich in der Arrestzelle von Oury Jalloh ereignet habe. Ein an Händen und Füßen gefesselter Mensch soll sich selbst angezündet haben – und das „Schweigekartell“ beziehungsweise die massiven Falschaussagen der damals diensthabenden Polizisten habe eine Aufklärung des Falles nahezu unmöglich gemacht. Das Land Sachsen-Anhalt trage als oberster Dienstherr die Verantwortung für den Tod von Oury Jalloh, konstatierte Striegel. Die überarbeitete Polizeigewahrsamsordnung habe aber zu besseren Verhältnissen geführt, räumte Striegel ein. Daher sei die Mammutaufgabe der Komplettüberprüfung (wie von den Linken gefordert) nicht notwendig. Striegel zeigte wenig Hoffnung, dass die genauen Todesumstände Oury Jallohs noch aufgeklärt würden, dies könne nur gelingen, wenn die Verantwortlichen ihr Schweigen brächen. Die Aufarbeitung bei der Polizei müsse weitergehen, eine unabhängige Stelle, die diese Aufklärung betreibe, sei angeraten, betonte der Abgeordnete der Grünen.

Praxis der Gewahrsamnahme vorstellen lassen

„Der Staat hat eine Schutzpflicht inne“, erklärte Ralf Wunschinski (CDU), diesbezüglich herrsche absolute Einmütigkeit im Haus. In Gewahrsamsfällen sei unverzüglich eine richterliche Entscheidung für die Freiheitsentziehung herbeizuführen. Nach dem Tod Oury Jallohs seien umfangreiche Maßnahmen angewiesen worden: Eine lückenlose Überwachung habe zu erfolgen, alle Gewahrsamsräume würden jährlich überprüft. Durch einen Erlass des Innenministeriums sei die Polizeigewahrsamsordnung aus den 1990er Jahren novelliert worden. Der Erlass regelt den Vollzug des Freiheitsentzugs und den Umgang mit hilfsbedürftigen Menschen. Durch die klare Erlasslage lägen Missstände seitdem nicht mehr vor, betonte Wunschinski. Der CDU-Politiker sprach sich dafür aus, sich die Praxis der polizeilichen Gewahrsamnahme noch einmal im Ausschuss vorstellen zu lassen und warb deshalb für die Überweisung des Antrags der Linken in den Innenausschuss.

Im Anschluss an die Debatte wurde der Antrag der Linken einstimmig in den Ausschuss für Inneres und Sport überwiesen.