Kinder und Jugendliche in Sachsen-Anhalt besser in die politischen Entscheidungsfindungen einbinden und Demokratie als ein tatsächlich gelebtes tägliches Bedürfnis etablieren – das ist das Ziel eines lange vorbereiteten Gesetzentwurfs und Entschließungsantrags der Fraktion DIE LINKE. Nach einer ersten Landtagsdebatte im Februar dieses Jahres wurden der Gesetzentwurf, der Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Entschließungsantrag federführend in den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen. Bei einer öffentlichen Anhörung hatten am Mittwoch, 3. Dezember, Schulen, Vereine, Verbände und Institutionen aus dem Bereich der Kinder- und Jugendarbeit Gelegenheit, ihre Meinung zum Gesetzentwurf zu äußern.
Was sieht der Gesetzentwurf vor?
Der Gesetzentwurf der Linken sieht unter anderem vor, das Wahlalter bei Landtagswahlen von 18 auf 16 Jahre herabzusetzen, wie es in Schleswig-Holstein, Brandenburg, Hamburg und Bremen bereits praktiziert wird. 16-Jährige hätten dann auch ein Stimmrecht für Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht sich in ihrem Änderungsantrag sogar für ein aktives Wahlrecht ab 14 Jahren aus. Dies sei auch das Alter der Strafmündigkeit, begründen die Grünen ihren Vorstoß.
Mit einem ebenfalls im Februar eingebrachten Entschließungsantrag wollen die Linken zudem erreichen, dass die Vorsitzenden des Landesjugendhilfeausschusses (LJHA) ein Anhörungsrecht in den Ausschüssen des Landtags erhalten, die ihren Tätigkeitsbereich betreffen. Zudem sollen Beschlüsse des LJHA automatisch dem zuständigen Fachausschuss des Landtags zugestellt werden. Darüber hinaus soll die Landesregierung aufgefordert werden, in den Fortbildungskatalog des Landesjugendamtes eine Weiterbildung zum/zur Moderator/-in für die Partizipation von Kindern und Jugendlichen aufzunehmen.
Meinungen aus der öffentlichen Anhörung:
Für den Kinder- und Jugendring Sachsen-Anhalt e.V. (KJR) hat die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in der praktischen Arbeit bereits eine sehr hohe Bedeutung, erklärte Vorstandsmitglied Vera Lohel. Ergebnisse aus dem Projekt „Jugend macht Zukunft“ zeigten, dass Jugendliche durchaus das Bedürfnis hätten, sich einzubringen. Im Hinblick auf die bereits bestehende geringe Wahlbeteiligung müsse aufgepasst werden, „dass Jugendliche nicht schon früh vergrault werden“, sagte Lohel.
Der KJR begrüßte den Gesetzentwurf daher im Allgemeinen, hatte jedoch an einigen Stellen Anmerkungen oder Verbesserungswünsche. So wäre aus Sicht des KJR ein Kinder- und Jugendbeauftragter des Landes beim Landtagspräsidenten sicher gut angesiedelt, sein im Gesetzentwurf angedachter Aufgabenkatalog sollte jedoch noch einmal geprüft werden. Zudem empfahl Lohel zu prüfen, welche Möglichkeiten der Partizipation für Jugendliche schon vorhanden sind, wie diese genutzt werden und ob sie erfolgreich sind.
Michael Kowollik vom Landeselternrat Sachsen-Anhalt appellierte an die Abgeordneten, den Jugendlichen zu vertrauen. Es stimme nicht, dass Kinder und Jugendliche durch Fernsehen, Internet und Smartphone total verdummt seien. Viele würden sich in Arbeitsgemeinschaften, Schülerfirmen oder Vereinen engagieren und seien wissbegierig und interessiert. Kowollik erklärte: „Für die Zukunft unserer Demokratie ist das Interesse der Jugendlichen an Politik entscheidend!“ Deshalb sei es wichtig, Kinder und Jugendliche frühzeitig an den Prozessen im Land zu beteiligen und ihre Meinungen und Ideen ernst zu nehmen.
„Modernisierungsverlierer“ nicht vergessen
Auch die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) steht dem Gesetzentwurf im Wesentlichen sehr positiv gegenüber. Ihr Vertreter Frank Wolters gab in der Anhörung allerdings zu bedenken, dass ein Gesetz allein nicht ausreichen werde, um die gesellschaftliche Teilhabe von Jugendlichen zu verbessern. Noch immer gebe es viele Jugendliche – laut aktueller Shell-Studie etwa 30 Prozent –, die als sogenannte „Modernisierungsverlierer“ gelten. Sie könnten aus Mangel an wirtschaftlichen Voraussetzungen ihre Partizipationschancen schon jetzt nicht wahrnehmen. Kritik äußerte die GEW an der vorgeschlagenen Drittel-Parität in den Schulgremien. Durch einen noch höheren Anteil von Schülern und Eltern sieht Wolters die Gefahr der Entprofessionalisierung dieser Gremien.
Prof. Dr. Michael Klundt von der Fachhochschule Magdeburg-Stendal versteht den Gesetzentwurf als Versuch, die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen auf Landesebene umzusetzen. Partizipation werde schon seit einigen Jahren nicht mehr als Geschenk, sondern als ein Recht verstanden, betonte Klundt. Dieses Recht auf Beteiligung impliziere auch die Freiwilligkeit oder, anders gesagt, den Verzicht, vom möglichen Wahlrecht ab 16 Jahren Gebrauch zu machen. Einige Entwicklungspsychologen würden Kindern schon mit zwölf Jahren die kognitiven und moralischen Voraussetzungen bestätigen, um an politischen Prozessen teilzuhaben. Auch das Argument, die Jugendlichen würden in ihrer Entscheidung beeinflusst, gilt für Klundt nicht. Schließlich führe der Medienkonsum nicht allein zur Beeinflussung von Jugendlichen, Erwachsene seien gleichermaßen davon betroffen.
Absenkung des Wahlalters: Jugendliche selbst fragen
„Das Kinder- und Jugendteilhabegesetz ist zwar kein Garant für mehr Partizipation, aber immerhin ein erster Schritt“, sagte die Leiterin des Jugendamtes Magdeburg, Dr. Cornelia Arnold. Laut Sozialgesetzbuch XIII sei Teilhabe festgeschrieben und daher bereits ständiges Ziel in der Jugendhilfe. Arnold betonte, man könne nicht allen Kindern das Interesse an Politik und Teilhabe absprechen, sondern sollte stattdessen allen die Chance dazu geben. Besonders erfreut zeigte sie sich über den Vorschlag, eine Weiterbildung zum/zur Moderator/-in für Partizipation in den Fortbildungskatalog des Landesjugendamtes aufzunehmen.
Die Jugendamtsleiterin der Stadt Halle, Katharina Brederlow, signalisierte ebenfalls Unterstützung für den Gesetzentwurf. Den Kinder- und Jugendbeauftragten beim Landtagspräsidenten – und nicht wie momentan im Sozialministerium – anzusiedeln, ergebe durchaus Sinn, so Brederlow. Bei der Stadt Halle würde der Beauftragte seit ein paar Jahren direkt beim Oberbürgermeister angedockt sein und hätte dadurch ganz andere neue Möglichkeiten, um ressortübergreifend politische Entscheidungen zum Wohle von jungen Menschen zu beeinflussen.
Zudem begrüßte Brederlow die Änderung des Schulgesetzes dahingehend, dass Schüler, die sich auf kommunaler Ebene engagieren möchten, mit Freistellungen unterstützt werden. Bei der Diskussion um die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre machte sie den Vorschlag, in einer Umfrage alle Jugendlichen in Sachsen-Anhalt zu befragen, was sie sich wünschen würden.
Der Landkreistag Sachsen-Anhalt sah den Gesetzentwurf dagegen etwas kritischer. Der stellvertretende Geschäftsführer Michael Struckmeier erklärte, es sei fraglich, ob die Herabsetzung des Wahlalters auch ein Mehr an Wählern bedeuten würde. Bei der möglichen Einführung eines passiven Wahlrechts ab 16 Jahren gab er zu bedenken, dass dies bundesweit bisher einmalig wäre und einige rechtliche Fragen nach sich ziehen würde. Auch von dem Vorschlag, den Kinder- und Jugendbeauftragten zukünftig im Landtag anzusiedeln, war Struckmeier wenig begeistert. Unter anderem fürchtet er längere Entscheidungswege zum Sozialministerium und steigende Anfragen des Beauftragten bei den Kommunen. Abschließend erklärte er, für den Landkreistag sei es wichtig, dass auch die möglichen Folgekosten des Gesetzes für die Kommunen im Blick behalten würden.
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales wird die Anmerkungen der Angehörten zum Gesetzentwurf jetzt prüfen und will in seiner Sitzung Mitte Februar 2015 eine entsprechende Beschlussempfehlung für den Landtag vorlegen.