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Plenarsitzung

Transkript

Eva von Angern (Die Linke):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es ist gut und richtig, dass wir heute über das Thema Schwangerschaftsabbruch reden. Es ist hochaktuell, vor allem deshalb, weil die Ampelregierung auf Basis einer Empfehlung von Expertinnen und Experten die Chance hat, der unendlichen Geschichte des § 218 - ich füge hinzu, der vor allem unendlich bitteren Geschichte - ein gutes Ende zu geben.

Um es gleich deutlich zu sagen, die von den GRÜNEN heute berechtigt geltend gemachte Kritik an der Ausdünnung der medizinischen Einrichtungen und der Verschlechterung der Angebote für Frauen und ungewollt Schwangere hat ihre Ursache genau in diesem Paragrafen, in § 218 StGB. Ungewollt Schwangere, Beraterinnen, medizinisches Personal, sie alle bewegen sich im Umfeld einer Straftat mit der damit verbundenen Angst vor Repression und Tabuisierung, mit den öffentlichen Anfeindungen und auch mit massiven Belästigungen. In der Folge sind nur wenige Ärztinnen überhaupt noch dazu bereit, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. 

Seit Jahren sinkt die Zahl der klinischen und ambulanten Versorgungsangebote zur Vornahme von Abbrüchen eben auch in Sachsen-Anhalt. Wir können nicht einfach im Jahr 2024 stehen bleiben. Wir müssen in die Zukunft schauen. 

Dabei steht das Land gemäß Schwangerschaftskonfliktgesetz in der Pflicht, das Angebot zur Beratung und zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicherzustellen.

Bisher beschwichtigt die Landesregierung - leider auch heute wieder ein bisschen  , redet Lücken klein, die meine Anfragen und parlamentarische Initiativen meiner Kolleginnen offenlegen und von denen vor allem auch immer wieder Betroffene und Praktikerinnen berichten.

Seit April liegt nunmehr eine sorgfältige Studie zur Situation von Frauen vor, die eine Schwangerschaft abgebrochen haben. Die ELSA-Studie ist beachtlich. Sie erlaubt Rückschlüsse auf die Beratung und Versorgung von ungeplant und ungewollt Schwangeren in allen Bundesländern. Beauftragt wurde diese Studie - daran möchte ich noch einmal erinnern - von der vorhergehenden Bundesregierung.

Ebenso beachtlich sind die in die Studie eingeflossenen Erfahrungsberichte von Ärztinnen und Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. 65 % der befragten Ärztinnen berichten von Stigmatisierungen, sowohl im beruflichen als auch im privaten Umfeld. Auch die Frauen, die abtreiben, - natürlich auch sie - spüren dieses Stigma. Die Hälfte der Frauen hält den Abbruch bewusst geheim.

Fakt ist: Wir schreiben das Jahr 2024, und Frauen in einer Notlage, die ihre Schwangerschaft unterbrechen wollen, werden noch immer kriminalisiert. Das ist, finde ich, unerhört.

(Beifall bei der Linken - Zustimmung bei den GRÜNEN und von Dr. Falko Grube, SPD)

Ein Abbruch in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft ist in Deutschland nur nach einer Beratung straffrei gestellt und zulässig.

(Andreas Schumann, CDU: Das ist doch richtig!)

Bereits jetzt müssen Frauen unter hohem Zeitdruck erst einmal eine Praxis finden, die Abbrüche durchführt, und dann oft längere Fahrtzeiten in Kauf nehmen. Hierzu ist schon etwas gesagt worden. Vor dem Hintergrund einer immer prekärer werdenden Infrastruktur in Sachsen-Anhalt haben deshalb alle Vorschläge zur Verbesserung und Stabilisierung der medizinischen Versorgung auch beim Thema Frauengesundheit Gültigkeit.

Die Besonderheit beim Abbruch einer Schwangerschaft ist natürlich die rechtliche Stellung, die als Schwierigkeit hinzukommt. Frauen, die abtreiben, sowie Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche vornehmen, bewegen sich hierbei in einem Sonderbereich des Strafrechts. Dies macht den ohnehin schwierigen Eingriff - Herr Pott, ich danke Ihnen für die sensible Darstellung auch dieses Themas - noch belastender und hürdenreicher für beide, für die Frauen, aber auch für die Ärztinnen und Ärzte.

Erst vor Kurzem hat die Bundesfrauenministerin ein Gesetz zur Diskussion gestellt, das die Agitation vor Arztpraxen durch sogenannte Lebensschützer verbieten soll - zu Recht. Denn Frauen, die diesen schweren Gang vor sich haben, waren bereits bei einer Beratungsstelle. Ärztinnen und Ärzte brauchen keine Demos vor ihren Praxen oder Belehrungen über den Wert des Lebens, im Übrigen schon gar nicht von Politikerinnen und Politikern.

Kein Mensch, keine Gruppe, keine Gesellschaft bezweifelt die Wichtigkeit der Elternschaft und das Glück, Kinder zu bekommen. Kinder zu haben ist ein Lebensplan, der dem Menschen eingeschrieben ist. Aber: Im großen Lebenskreis jeder Gesellschaft hat es immer Abtreibungen gegeben. Sie waren immer Ausdruck großer Not, oft moralischer - deswegen ist es auch fehlerhaft, hierzu moralisch zu diskutieren  , sozialer und finanzieller Not gleichzeitig. Keine Strafe der Welt ändert etwas an den Zwangslagen dieser Frauen.

(Beifall bei der Linken - Zustimmung bei den GRÜNEN, von Dr. Katja Pähle, SPD, und von Katrin Gensecke, SPD)

Meine Damen und Herren! Insbesondere armen Frauen und armen Familien standen oft nur lebensbedrohliche Möglichkeiten des Abbruchs zur Verfügung. Arbeiterinnen, Tagelöhnerinnen, Bäuerinnen und Hausangestellte haben sich von Treppen gestürzt, Gift getrunken oder sich aus Verzweiflung selbst getötet. Der Kleiderbügel ist bis heute trauriges Symbol für Eingriffe, an denen Frauen elendig krepiert sind.

Auch heute belegen die Befunde der ELSA-Studie die große Rolle von finanziellen Sorgen - Lesen bildet  : 47 % der abtreibenden Frauen wussten nicht, wie sie sich ein Kind leisten sollen.

Die Verurteilung von Frauen erging übrigens in aller Regel durch Männer, die nicht selten eben solche Notlagen mitverursacht haben, selbstverständlich. Das Unter-Strafe-Stellen des Abbruchs ist deswegen auch ein Machtverhältnis, auch heute noch. Deshalb kann ich die Bundesregierung nur ermutigen, hierbei nicht weiter zu zögern. Schwangerschaftsabbrüche müssen außerhalb des Strafrechts gestellt werden. Strafen verhindern keine Notlagen, sondern verschlimmert diese.

Die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ist aus hochkarätigen Expertinnen und Experten, sowohl aus Ost- als auch aus Westdeutschland, nicht nur aus Frauen, sondern auch aus Männern, zusammengesetzt.

Die Kommission hat, ausgehend von den beiden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch und unter Berücksichtigung gewandelter gesellschaftlicher und rechtlicher Verhältnisse, einen Diskurs geführt und musste die Frage beantworten, ob und ggf. unter welcher Regulierung ein Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuchs möglich sein kann.

Dabei hat es sich die Kommission - wer den Bericht gelesen hat, der weiß das - nicht leichtgemacht. Sie hat medizinische Aspekte zugrunde gelegt, aber auch die geltende Gesetzeslage. Gesellschaftliche und psychosoziale Aspekte, verfassungsrechtliche, sogar völker- und europarechtliche Vorgaben und Regelungen haben eine Rolle gespielt.

Die Kommission ist zu dem Ergebnis gekommen, die rechtliche Regulierung so zu empfehlen, dass in der Frühphase ein Schwangerschaftsabbruch straffrei, außerhalb des Strafgesetzbuches, möglich sein soll.

Natürlich hat die Kommission auch gesagt: Wir müssen verhindern, dass Frauen überhaupt in die Situation kommen, eine solche Entscheidung treffen zu müssen, und zwar durch eine besser Aufklärungs- und Präventionspolitik, durch bessere Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen. In diesem Zusammenhang sei nur das Thema Verhütungsmittel genannt. Diese sollte man auch über das 22. Lebensjahr hinaus kostenfrei zur Verfügung stellen; denn das verhindert eine Schwangerschaft. Im Idealfall bedarf es dieser Entscheidung dann gar nicht.

Aber - auch das ist schon gesagt worden - es wurde offengelassen, ob Politik, ob Entscheidungsträgerinnen eine Pflicht oder keine Pflicht zur Beratung vorgeben. Das Entscheidende ist: Wenn es eine Entscheidung für eine Pflichtberatung gibt, dann muss es eine zeitnahe, eine barrierearme Möglichkeit der Beratung geben. Das heißt, in einem Flächenland wie Sachsen-Anhalt, wo 75 % der Menschen im ländlichen Raum leben, muss es über Dessau, Halle und Magdeburg hinaus weitere Beratungsmöglichkeiten, ggf. auch mobile, im ländlichen Raum geben, und diese im Übrigen auch stigmafrei.

Eines will ich auch noch sagen: Es braucht dringend verbindliche Regeln für die Aus- und Weiterbildung in der neuen Approbationsordnung für Ärztinnen und Ärzte, damit junge Medizinstudentinnen und  studenten das eben nicht an der Papaya ausprobieren müssen. Es sollte regulär zur ärztlichen Ausbildung gehören, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu können.

(Beifall bei der Linken)

Der Deutsche Juristinnenbund hat die Empfehlungen der Kommission ausdrücklich begrüßt. Ich zitiere aus der Pressemitteilung: 

„Deutschland ist von einem Zustand reproduktiver Gerechtigkeit weit entfernt und die geltende Rechtslage ist dringend reformbedürftig. 

Es ist Zeit, dass sich nun auch die Ampelkoalition ernsthaft mit diesen Bedenken auseinandersetzt und endlich ein neues Regelungsmodell für den Schwangerschaftsabbruch in Deutschland erarbeitet.“

Diesem Appell kann sich Die Linke nur ausdrücklich anschließen.

Das Ergebnis der Kommission liegt vor. Sie hat viel Kraft und sehr viel Mühe gekostet. Ob eine Debatte polarisiert oder polarisiert geführt wird, das entscheiden im Übrigen maßgeblich wir. Nicht jede Debatte muss polarisiert geführt werden. Ich werbe bei diesem Thema ausdrücklich für eine entpolarisierte Debatte. Ich glaube sogar, dass uns das in Ostdeutschland - bis auf Rechtsaußen - gelingen kann.

Wenn also die Ampelregierung sich selbst und vor allem das Ergebnis dieser hochqualifiziert zusammengesetzten Kommission ernst nimmt, dann muss sie handeln und darf das Thema nicht einfach aussitzen. Sogar das Parlament der Europäischen Union hat sich für die Aufnahme des Rechts auf Abtreibung in die Grundrechte-Charta der EU ausgesprochen. Das ist nicht nichts, das sind die Nachbarländer in Europa.

Das wäre für die Frauen in Deutschland ein historischer Schritt hin zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und - das füge ich hinzu - ein längst überfälliger Schritt. Es braucht eine gesellschaftliche Haltung und eine Rechtslage, die Abbrüche - Frau Dr. Schneider, ich gebe Ihnen recht - als medizinische Grundversorgung anerkennt. Genau so sollten wir heute auch über das Thema reden.

Frankreich hat vor Kurzem das Recht auf Abtreibung und körperliche Selbstbestimmung sogar in die Verfassung aufgenommen. Diese Forderung stellen wir hier in Deutschland gar nicht auf. Das ist aber genau der Schritt, der Frauen und Männer wirklich gleichstellt, vor dem Gesetz und in der Öffentlichkeit. Eine solche Gleichstellung - gleiche soziale Rechte, gleiche Bezahlung von Frauen und Männern, gerechte Verteilung der Sorgearbeit in einer Gesellschaft - wird mehr für Kinder und Familien tun als jedes Strafrecht. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linken - Zustimmung bei den GRÜNEN)