Kathrin Tarricone (FDP):
Ganz herzlichen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die UN-Biodiversitätskonvention ist gemeinsam mit der Klimarahmenkonvention eine der Übereinkünfte, die bei der als „Erdgipfel“ titulierten Konferenz von Rio 1992 auf den Weg gebracht wurde. Wenig später folgte auch noch die Übereinkunft zur Bekämpfung der Wüstenbildung.
Vom 7. Dezember bis 19. Dezember 2022 tagt nun mit zwei Jahren Verspätung die 15. Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitätskonvention auf einem anderen Kontinent als ursprünglich geplant, nämlich in Montreal statt im chinesischen Kunming. So verständlich es ist, dass eine Gesundheitskrise einer internationalen Versammlung vorgeht, so ist es doch auch sinnbildlich.
Die öffentliche Aufmerksamkeit für diese Konferenz steht sehr deutlich hinter der für die Klimakonferenzen zurück. Regierungsflieger müssen nicht anderswo geparkt werden, weil der Flughafen des Tagungsortes voll ist. Wenn zum Ende dieser Woche die Anwesenheit der Minister erwartet wird, dann steigt womöglich das politische Profil der Konferenz etwas.
Umweltministerin Lemke hat zwar formuliert, die COP 15 könne unsere letzte Chance sein, dennoch wird aber eher ein Erwartungsmanagement betrieben. Niemand rechnet in Anspielung auf die Klimavereinbarung ernstlich mit einem Paris-Moment.
Der Biodiversitätskonvention macht nicht nur die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit mit ihrer Schwesterkonvention zu schaffen, sondern sie krankt auch daran, dass bei der zehnten Konferenz in Japan im Jahr 2010 für die vergangene Dekade großartige Ziele vereinbart wurden. Diese waren einerseits so vage und andererseits so aussichtslos ambitioniert, dass von den 20 großen und von den 40 kleinen Zielen kein einziges erreicht wurde.
Ob unter diesen Umständen nun ausgerechnet die gerade stattfindende Konferenz mit besonderen Chancen für Sachsen-Anhalt verbunden ist, wie es die GRÜNEN im Titel dieser Aktuellen Debatte schreiben, sei dahingestellt.
Das Verhandlungsziel, auch der deutschen Delegation, ist die griffige und, gelinde gesagt, ehrgeizige Formel 30 mal 30: Bis zum Jahr 2030 sollen 30 % der weltweiten Landes- und Meeresgebiete unter Naturschutz stehen. Bislang ist dieser Schutzstatus nur bei rund 17 % der Landflächen und bei 7 % der Meeresflächen gegeben. Die Anstrengungen der Weltgemeinschaft müssen sich also nahezu verdoppeln bzw. vervierfachen.
Wie das gelingen soll, darüber beraten nun mehr als 290 Länder. Der deutschen Seite schwebt dabei ausdrücklich nicht unbedingt die vollständige Herausnahme von Flächen aus der Nutzung vor, aber wenigstens Einschränkungen auf dem Niveau eines Biosphärenreservats sollten es schon sein. Experten sehen ein solches Ziel für ein dichtbesiedeltes Gebiet wie Deutschland als illusorisch an.
Zudem ist für die Artenvielfalt in den 38 Hotspotregionen deutlich mehr zu erreichen als hierzulande. Deshalb wird sicher eher erwartet, dass Deutschland das Scheckbuch zückt. Der Bundeskanzler hat bei der 77. Generalversammlung der Vereinten Nationen angekündigt, dass Deutschland ab dem Jahr 2025 jährlich 1,5 Milliarden € für den internationalen Biodiversitätsschutz bereitstellt. Es gibt ökonomische Berechnungen, dass das sehr gut investiertes Geld sein kann. Das funktioniert freilich nicht, wenn es in Staatshaushalten versickert oder gar in Privatschatullen korrupter Eliten landet.
Biodiversität muss für die örtliche Bevölkerung einen höheren Wert darstellen als etwa der Ertrag aus der Abholzung von Regenwald. Dabei müssen wir auf die Erfahrung der Menschen vor Ort setzen und sie nicht von oben herab behandeln, wie das die umweltpolitische Debatte in Europa häufig tut.
Das gilt jedoch nicht nur für indigene Völker, sondern auch für die Menschen im ländlichen Raum in Europa. Die Diskussion um den Entwurf der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung zeigt, dass pauschale Rezepte über die Köpfe der Menschen hinweg oft der falsche Weg sind.
(Zustimmung von Sandra Hietel-Heuer, CDU)
Es ist deshalb völlig richtig, dass die Mitgliedstaaten die EU-Kommission aufgefordert haben, die Folgen noch einmal ganz genau zu betrachten. Freilich wäre es noch besser gewesen, wenn sich auch der Bundeslandwirtschaftsminister der Sorgen der deutschen Landwirtschaft angenommen hätte. Wenn in weiten Teilen Landwirtschaft und Weinbau nicht mehr möglich sind, wird der Akzeptanz für Maßnahmen zur Stärkung der Artenvielfalt ein Bärendienst erwiesen.
(Zustimmung von Andreas Silbersack, FDP)
Das gilt im Übrigen auch für den Ökolandbau, der rätselt, wie ab dem Jahr 2025 auf kupferhaltige Pflanzenschutzmittel verzichtet werden kann. Agrarpolitik nach dem Modell Bullerbü kann der Biodiversität sogar entgegenstehen, wenn das etwa bedeutet, dass sehr viel mehr Land für den gleichen Ertrag benötigt wird.
(Zustimmung von Andreas Silbersack, FDP, und von Jörg Bernstein, FDP)
Klar muss auch hierzulande Wildnis ihren Platz haben. Aber Biodiversität und wirtschaftliche Landnutzung schließen sich keineswegs aus. In einer über Jahrhunderte entstandenen Kulturlandschaft bedingen sie sich sogar sehr häufig.
Als Hotspot der Biodiversität gelten bei uns z. B. Streuobstwiesen. Dafür müssen sie gepflegt werden. Abgängige Bäume müssen ersetzt und Wiesen gemäht werden, sonst entsteht über kurz oder lang ein ganz anderes Biotop, nämlich Wald. Streuobstwiesen in ihrem ursprünglichen Sinn zu nutzen, - Obst oben ernten und Futter oder Streu unten produzieren - wäre noch besser.
Ich selbst habe als Planerin viele Kompensationsmaßnahmen entwickelt und umgesetzt, die eine Revitalisierung von Streuobstwiesen zum Inhalt hatten. Wenn wir es dann noch schaffen, alte regionale Obstsorten zu erhalten und deren Obst auch zu vermarkten, wäre für Biodiversität, Klimaschutz, Heimatverbundenheit, Identitätssteigerung von Orten und eine gesunde Ernährung viel geschafft.
(Zustimmung bei der FDP)
Ich weise mal auf ein sehr erfolgreiches Projekt hin, das mit meinem Kollegen Herrn Rosomkiewicz in Borne durchgeführt wird zum Thema „Pflaumenanger“ und zum Thema „Pflaumenkuchenfest“.
(Lachen bei der FDP)
Kooperativer Naturschutz, der auf die intelligente Vernetzung für Biotope abzielt, ist ein weiteres Element, um Schützen und Nutzen zu verbinden. Er sollte deshalb Vorrang vor pauschalen Flächenstilllegungen haben.
Im Koalitionsvertrag haben wir uns deshalb verpflichtet, einen rechtlichen und organisatorischen Rahmen für Zusammenschlüsse zu schaffen, der sie in die Lage versetzt, Auswahl, Durchführung und Förderung der Maßnahmen für die Betriebe zu organisieren. In diesem Sinne soll das Pilotprojekt „Kooperativer Naturschutz in der Landwirtschaft“ in den Regelbetrieb überführt werden.
Es ist völlig richtig, dass wir uns auch in Sachsen-Anhalt um die Bewahrung der Artenvielfalt bemühen, insbesondere um die der sogenannten Verantwortungsarten. Dazu gehören unter anderem - das haben wir heute schon öfter gehört - der Rotmilan, der Feldhamster und die Wildkatze. 19 Arten sind es insgesamt, denen wir besondere Bedeutung zumessen, weil sie nur hier vorkommen, weil ein bedeutender Teil der Weltpopulation hier vorkommt oder weil die Art weltweit gefährdet ist.
Dieser Verantwortung stellt sich unser Bundesland. Aber auch das muss mit Sinn und Verstand gemacht werden. Im Landkreis Mansfeld-Südharz - die Klasse ist jetzt leider gerade weg - stellen sich viele Bewohner die Frage, brauchen wir in Sangerhausen wirklich eine Hamsteraufzuchtstation, wenn der Leipziger Zoo über eine solche verfügt
(Andreas Silbersack, FDP, lacht)
und die Erfolgsaussichten bei der Auswilderung von Feldhamstern eher fragwürdig sind? Ich freue mich deshalb, dass wir in Sachsen-Anhalt stattdessen nun eher auf Maßnahmen wie die Hamster-Mutterzelle setzen. Das ist sehr viel erfolgversprechender. Hier werden in geeigneten Bereichen ideale Lebensbedingungen für die Art geschaffen. Dem Landwirt werden Aufwand und Ertragsausfall bezahlt. Und so haben beide einen Nutzen,
(Sandra Hietel-Heuer, CDU: Genau!)
der Feldhamster und der Landwirt.
(Zustimmung bei der FDP)
So sieht für mich eine erfolgversprechende Partnerschaft für den Artenschutz aus.
In dieser Hinsicht hat die Biodiversitätskommission immerhin dafür gesorgt, dass mittlerweile deutlich genauer hingeschaut wird, was auf Feld-, Flur- und Siedlungsflächen passiert. Manche Erkenntnis ist dabei ziemlich überraschend, etwa, dass Bodenbrüter die direkte Nachbarschaft der Landebahn auf dem Münchner Flughafen bevorzugen.
Ich möchte an dieser Stelle dafür werben, das strategische Ziel „Wahrung der Biodiversität“ nicht als Hebel für andere politische Ziele zu missbrauchen. Begeistern wir stattdessen Flächennutzer für den Artenschutz und lassen sie Teil einer erfolgreichen Strategie werden.
(Zustimmung bei der FDP)
Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:
Danke. - Es gibt noch eine Nachfrage von Frau Frederking.
(Guido Kosmehl, FDP: Oh!)
Kathrin Tarricone (FDP):
Dann komme ich wenigstens dazu, etwas zu trinken.
Dorothea Frederking (GRÜNE):
Ja, Frau Tarricone, ich finde es total spannend, dass Sie sich um die Revitalisierung von Streuobstwissen gekümmert haben oder möglicherweise auch noch kümmern.
(Guido Kosmehl, FDP: Nicht nur die GRÜNEN!)
Ich war letztens im Harz unterwegs. Da wurden mir mehrere Streuobstwiesen gezeigt, auf denen viele Bäume aufgrund der klimabedingten Trockenheit abgestorben waren. Meine Frage an Sie ist die folgende: Welche Lösungen haben Sie aufgrund Ihrer Fachexpertise, um mit der mangelnden Wasserverfügbarkeit umzugehen?
Kathrin Tarricone (FDP):
Also, ich weiß nicht, welche Streuobstwiesen Sie sich da angeschaut haben. Der Harz ist allerdings wirklich gut gesegnet mit großen zusammenhängenden alten Streuobstwiesen.
Fakt ist - das habe ich hier gesagt , dass es im Rahmen von Kompensationsmaßnahmen nicht nur um das einmalige Anpflanzen einer Streuobstweise geht, sondern eben auch um eine dauerhafte Pflege. Ich halte solche Maßnahmen für extrem geeignet, weil der Kompensationspflichtige quasi dafür zu sorgen hat, dass die Bäume, die er dort anpflanzt, auch erhalten bleiben. Das heißt also nicht, man sorgt für die Pflege und kriegt nach drei Jahren einen Haken.
Na ja, man muss gießen, na freilich. Das ist hier quasi eine Herausforderung, die wir bewältigen müssen. Deshalb werden die Pflege und die Unterhaltung immer teurer, weil wir wirklich zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Bäume gut angewachsen sind, mehr gießen müssen.
Dann halte ich auch, sagen wir mal, eine Nutzung der Gentechnik bei der Züchtung von Sorten, die mit längerer Trockenheit zurechtkommen, für einen sehr aussichtsreichen Weg.
(Zustimmung bei der FDP)