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Plenarsitzung

Transkript

Juliane Kleemann (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Wendland ist durchzogen von ihnen, den roten Kreuzen an den Straßen, die den Widerstand gegen das geplante Atommüllendlager in Gorleben aller Welt vor Augen führten. Nach dem glücklichen Ende für Gorleben werden die Kreuze vermutlich bleiben. Mittlerweile gibt es diese roten Kreuze auch in der Altmark. Auch hier ist das Thema Endlagersuche angekommen, und vermutlich werden diese Kreuze Stück für Stück in der nächsten Zeit unser gesamtes Land, und zwar nicht nur unser Bundesland, sondern die ganze Republik durchziehen. Sie sagen überall das Gleiche, es ist überall die gleiche Botschaft: Wir wollen diesen strahlenden Dreck nicht haben.

Nach dem Reaktorunglück von Fukushima am 11. März 2011 trat die damalige Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel vor die Presse und gab den Anfang vom endgültigen Atomausstieg bekannt - ich zitiere -:

„Die Ereignisse in Japan lehrten uns, dass Risiken, die für absolut unwahrscheinlich gehalten wurden, doch nicht vollends unwahrscheinlich sind.“

Diese Schlussfolgerung der Naturwissenschaftlerin war damals richtig und sie ist es auch heute noch. Und dies sei hier schon einmal gesagt - es hat hier heute schon mehrere gegeben, die in diese Richtung geredet haben -: In der Tat, es wird mit uns keine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke geben. Ich glaube, inhaltlich ist dazu alles gesagt und am Ende könnte man an dieser Stelle auch schließen. Aber offensichtlich gibt es doch immer wieder Menschen, die meinen, dass Atomkraft grün, sauber und zukunftsfähig ist.

(Zuruf)

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung beleuchtete die externen Kosten und Risiken entlang der Wertschöpfungskette. So wird auf die Strahlenemissionen beim Uranbergbau, die möglichen Strahlenemissionen beim Betrieb und den technisch anspruchsvollen Rückbau sowie die ungeklärte Frage für die Endlagerung des schwer radioaktiven atomaren Mülls hingewiesen. An keiner Stelle der Existenz eines in Betrieb genommenen AKW gibt es eine risikofreie Phase.

(Zustimmung)

Wenn wir all die Kosten, auch die für Risiken, die wir vermeintlich im Griff haben, auf den Atomstrom auflegen würden, dann wäre auch das Argument des preiswerten Stroms endgültig vom Tisch.

(Zustimmung)

Richtigerweise wies das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung darauf hin, dass die gerade genannten Dinge, also die Gefahr schwerer Unfälle, die Entsorgungsproblematik, die Folgelasten für kommende Generationen, im Bericht des Joint Research Centre vom März dieses Jahres nur unzureichend berücksichtigt wurden, übrigens der Bericht, auf den sich viele beziehen, die meinen, dass Atomenergie eine Zukunftsfähigkeit hat.

Es ist Augenwischerei, die Kosten nicht in den Blick zu nehmen oder gar von einer sauberen, kostengünstigen Energiegewinnung zu sprechen. Das kann man nur, wenn man die Gesamtkosten bewusst und die Gefährdungsszenarien wie Erdbeben, Eiszeiten, Überflutungen oder anderes ausblendet. Wer sich die Szenarien - das kann man sich als App herunterladen - bei der Endlagersuche einfach einmal anschaut, die beachtet werden müssen, um ein Endlager für schwer radioaktiven Müll zu finden, der weiß, dass das alles möglich ist; denn wir reden hier von mehreren Hunderttausend Jahren.

Die Befürworter der Atomkraft scheuen sich, eine konkrete Frage zu beantworten, nämlich: Wer bezahlt eigentlich die Rechnung, wenn es zu einem schweren Unfall kommt? Es geht hierbei nicht nur um die bilanzierbaren Kosten, sondern um die Kosten insgesamt, inklusive der Kosten für Umwelt- und Lebensraumzerstörung. Die Antwort ist so einfach wie alarmierend: Wir alle, die Gesellschaft, wir als Betroffene, als Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Nicht umsonst gibt es weltweit nicht eine einzige Organisation, die die Risiken von Unfällen von Atomkraftwerken versichert. Nicht ein Versicherer ist existent, weltweit nicht.

Was es kosten würde, die Erzeugung von Atomstrom adäquat zu versichern, hat das Versicherungsforum in Leipzig jüngst ermittelt. Die potenziellen Prämien müssten zwischen 4 € und 67 €/kWh liegen. Das versichert schlichtweg niemand - aus nachvollziehbaren betriebswirtschaftlichen Gründen. Das ist auch eine vernünftige Entscheidung für nachwachsende Generationen.

Nur um einmal eine Vorstellung davon zu bekommen, um welche Kosten es sich handeln kann, wenn es zu einem Unfall käme: In den USA wird die Atomindustrie in einem Haftungsfall nur bis maximal 9,1 Milliarden $ haftbar gemacht. Berechnet man aber den Schaden bei einem Reaktorunglück insgesamt, ergibt sich eine Gesamtsumme von etwa 560 Milliarden $. Das bedeutet, dass im Fall eines Unfalls lediglich 1,625 % der Gesamtschadenssumme von der Industrie zu übernehmen wären, aber mehr als 98 %, also im Grunde alles, von der Allgemeinheit.

Versicherungen sind vermutlich nicht als Anti-AKW-Aktivisten unterwegs, wohl aber mit betriebswirtschaftlicher Kompetenz und Weitsicht. Man könnte an dieser Stelle, mit diesen Erkenntnissen also einen Schlussstrich ziehen, weil deutlich ist: Laufzeitverlängerungen sind betriebswirtschaftlich nun wirklich unvernünftig und sie sind natürlich auch unter Sicherheitsaspekten unvernünftig.

Es gibt ausreichend viele Untersuchungen, die untermauern, dass Atomkraftwerke nur mit hohem Verlust betrieben werden können. Wir reden dabei von Verlusten in zweistelliger Milliardenhöhe. Wir werden in diesem Land noch einiges an Kosten für den Atomausstieg, der, was das Abschalten von Atomkraftwerken angeht, im nächsten Jahr   zum Glück   wirklich vollendet werden kann, haben: für die IAEO, für Euratom, für CERN. All das sind alles Beträge im unteren Milliardenbereich. Hinzu kommen die Kosten für die Abwicklung ehemaliger Endlagerstandorte. - All das steuerfinanziert.

Übrigens hat Atomstrom auch bisher nur funktioniert, weil er staatlicherseits erheblich subventioniert wurde. Rein privatwirtschaftlich sind diese Kosten nicht zu stemmen. Volkswirtschaftlich ist Atomstrom ein Fass ohne Boden, also mitnichten kostengünstig und schon gar nicht nachhaltig oder gar sauber. Das zu behaupten, immer wieder, wälzt sowohl die Kosten als auch den Dreck der Atomenergie als auch potenziell unbewohnbaren Lebensraum auf die uns nachkommenden Generationen ab.

Kritiker könnten jetzt einwenden: Ja, aber erneuerbare Energien werden doch auch staatlich gefördert. Selbstverständlich! Im Unterschied dazu ist die Förderung nachhaltiger Energien aber eine Investition in die Zukunft. Wir wissen schon heute, dass wir weder Wind noch Sonne noch Wasser wegen unliebsamer Nebenwirkungen mehrere Tausend Jahre wegsperren müssen.

Außerdem wird der Umfang der Förderung von erneuerbaren Energien in Deutschland transparent kommuniziert, während   das haben wir hier gerade schon bei einigen Redebeiträgen gehört   Verbraucherinnen über die tatsächlichen Kosten der Nutzung von Atomenergie nach wie vor im Unklaren gelassen werden.

Dann kommt das Argument der Grundlast. Kritiker der Energiewende führen immer wieder das Argument an, dass erneuerbare Energien nicht grundlastfähig seien und dass deswegen konventionelle Kraftwerke nicht ersetzbar seien.

Ja, es geht darum, den benötigten Verbrauch jederzeit zu decken. Wir haben eben schon in mehreren Redebeiträgen gehört, dass es dabei um Kooperationen geht und dass wir Antworten haben, wie wir mit Wind- und Sonnenflauten umgehen: mit Wasserkraft, mit Biomasse, mit sauberen Gaskraftwerken, mit Biomethan. Es gibt in diesem Land sogar Großstädte wie München, die schon durch Biothermie mit Strom versorgt werden. Wir sind dabei also schon ziemlich weit vorangekommen und sicherlich noch nicht am Ende. Es geht also immer um eine Energiequellenkooperation und nie um die Betrachtung der einzelnen Erzeugungsart. Auch das ist eine Frage von europäischer Kooperation.

Dass wir über erneuerbare Energien die Grundlast wirklich halten können, hat eine Forschungsarbeit schon vor zehn Jahren gezeigt. Sie können das nachlesen: Kombikraftwerk 2. Darin ist nachgewiesen worden, dass man die Grundlast durch die Kombination erneuerbarer Energien durchaus aufrechterhalten kann.

Ich komme zum Schluss. Wenn wir eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken wirklich in Erwägung zögen, was völlig absurd ist, weil es extrem teuer ist, die Laufzeiten an den Gebäuden so zu verlängern, dass die Sicherheit überhaupt gegeben wäre, dann würde sich der Strompreis für 1 kWh aus diesen laufzeitverlängerten Atomkraftwerken vermutlich zwischen 25 € und 40 € bewegen. Das ist nicht wirtschaftlich und macht deutlich, dass Atomstrom wahrlich nicht preiswert ist.

Ich fasse zusammen: Wir wissen, dass Atomkraft gefährlich ist. Jede Stufe in der Produktionskette birgt ganz konkrete Gefahren. Wir wissen auch, dass die neuen Ideen der Generation 4 diverse Nebenwirkungen haben, wie zum Beispiel ein für atomare Sprengköpfe nutzbares Nebenprodukt. Das können wir nicht wollen.

(Zustimmung)

Wir wissen, dass Atomenergie nicht volkswirtschaftlich ist und dass sie betriebswirtschaftlich ein Verlustgeschäft ist, welches die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen in voller Konsequenz tragen müssten. Auch das können wir nicht wollen.

(Zustimmung)

Das Grundlastargument ist ein Mythos jenseits der Realität. Wir haben bis heute kein Atommüllendlager und wir werden es vermutlich auch nicht finden. - Vielen herzlichen Dank.

(Zustimmung)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Kleemann, der Abg. Herr Scharfenort hat eine Nachfrage. Beantworten Sie diese? - Ja. - Herr Scharfenort, bitte.


Jan Scharfenort (AfD):

Es ist eigentlich eine Intervention, aber sonst auch gern eine Nachfrage.


Juliane Kleemann (SPD):

Eine Intervention? Dann brauche ich ja nicht    


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Auf eine Intervention brauchen Sie nicht zu reagieren. - Gut. Aber die unterschiedliche Zeichensprache ist Ihnen bekannt.


Jan Scharfenort (AfD):

Erstens. Ich empfehle der Rednerin, sich mit Herrn P. von der SWM über das Thema Grundlastfähigkeit zu unterhalten, auf welches Szenario wir bald zusteuern. Das ist ein Ingenieur, der weiß, wovon er spricht.

Zweitens zum Thema Versicherbarkeit von Großschadenereignissen. Es gibt natürlich Ereignisse, für die müssen Sie große Konsortien bilden; notfalls muss der Staat eingreifen. Ich nenne ein anderes Beispiel, das bekommen Sie überhaupt nicht versichert. Nehmen wir einmal die großen Blackouts, die kommen werden. Meinen Sie, das können Sie versichern? Das bekommen Sie natürlich auch nicht versichert.

Drittens   dann höre ich auch auf   das Argument   das hört man von Ihnen immer wieder  : Das mit den Atomkraftwerken wäre ein Vorwand gewesen für die Herstellung spaltfähigen Materials für die Rüstungsindustrie. Ich weise darauf hin, dass das gerade für die neueste Generation eben nicht mehr gilt, dass das damit auch nicht mehr funktioniert. Das ist ein absolutes Totschlagargument. Bitte belesen Sie sich dazu, und bringen Sie sich auf den neuesten Stand, was die Kernenergie anbelangt.