Guido Kosmehl (FDP):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Aktuelle Debatte der AfD umfasst ja laut der Überschrift verschiedene Aspekte, nämlich illegale Einwanderung bekämpfen, Schutz der EU-Außengrenze unterstützen und Weiterreise nach Deutschland verhindern.
Mit dem Inhalt Ihrer Rede, Herr Kirchner, sind Sie aber weniger auf die konkreten Themenbereiche, die Sie ansprechen wollten, eingegangen, sondern Sie haben Ihr altes Mantra erneut vorgetragen, dass Sie grundsätzlich gegen Einwanderung sind
(Zuruf: Gegen illegale Einwanderung!)
und versuchen wollen, universelle Menschenrechte das habe ich Ihnen in einer der letzten Debatten schon gesagt zu negieren und deshalb auch nirgendwo auf dieser Welt akzeptieren wollen. Deshalb wollen Sie die besondere Situation, die wir jetzt als Herausforderung haben, auch nicht angehen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Situation in Belarus und insbesondere an der Grenze zu Polen, Lettland und Litauen ist eine große Herausforderung für die Europäische Union. Sie ist nicht aus dem Nichts geboren. Der Kollege Erben hat sehr genau darauf hingewiesen, wie diese Situation zustande gekommen ist und vor allem darauf, wie die Situation dieser vielen Tausend Menschen, die jetzt an der Grenze von Belarus zu den Nachbarstaaten sind, auch von einem Regime provoziert und immer noch unterstützt und insbesondere mit Werbung in den Ländern ganz konkret: „Kommt nach Belarus!“ auch noch angefeuert wird.
Ich bin geneigt gewesen, sehr geehrter Herr Gallert, Ihnen zumindest dafür danke zu sagen, dass Sie an einer Stelle Herrn Lukaschenko als Diktator bezeichnet haben. Große Teile Ihrer Partei, auch in den Reihen Ihrer Bundestagsabgeordneten, trauen sich dies nicht
(Zustimmung)
und suchen den Kritikpunkt immer bei den westlichen Ländern. Es gibt keine Kritik an Lukaschenko.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass die Europäische Union im Frühjahr nach dem, was dieses Regime hinsichtlich der Wahlen und der Unterdrückung der Oppositionsbewegung gemacht hat, reagieren musste, ist doch selbstverständlich. Wenn wir unsere Werte der Europäischen Union und die universellen Menschenrechte nicht schützen und das auch noch unterstützen, dann hätte die Europäische Union versagt. Deshalb sind diese Sanktionen richtig, genauso wie es richtig ist, diese Sanktionen jetzt, nach den Aktionen noch weiter zu verschärfen.
Man muss an der Stelle eine sehr saubere Trennung zwischen dem Agieren in Polen und dem Agieren der Regierungen in Lettland und Litauen vornehmen. Während Litauen bspw. sowohl NGOs als auch Journalisten als auch Frontex einsetzt, um die Situation an der Grenze zu händeln, zu beobachten und zu lösen, hat Polen von dieser Unterstützung der Europäischen Union, was Frontex betrifft, keinen Gebrauch gemacht und hält es ausdrücklich für sinnvoll, NGOs und Journalisten eben nicht an die Grenze zu lassen. Genau das führt zu Intransparenz. Und das führt dazu, dass wir nicht genau wissen, wie die polnische Seite darauf reagiert.
Das festzustellen bedeutet nicht, dass man gänzlich ausblendet, Herr Kirchner, dass diejenigen, die in Belarus sind und in die Europäische Union wollen, das mit Gewalt machen, was wir absolut ablehnen. Niemand kann sich gewaltsam einen Grenzübertritt ermöglichen und dann noch davon ausgehen, dass er dafür auch noch belohnt wird. Das geht nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren.
(Zustimmung)
Deshalb muss man ganz klar, so wie es die Genfer Flüchtlingskonvention auch schon längst festgestellt hat, sagen: Es gibt keinen Anspruch auf Weiterziehen, wenn man aus einem sicheren Land einreist. - Punkt.
Deshalb bleibt es unsere Aufgabe als Mitglied der Europäischen Union, die europäischen Werte zu schützen, aber auch dafür zu sorgen, dass Fluchtursachen dort bekämpft werden, wo sie entstehen. Das ist das Entscheidende.
(Zustimmung)
Und da haben wir sicherlich noch einiges zu tun.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will meine Redezeit gar nicht vollständig ausnutzen, aber zwei Punkte noch einmal darstellen. Die Frage von Migration in die Europäische Union bedarf einer weiteren Analyse, inwieweit die Europäische Union einerseits Flüchtlingen und Asylsuchenden hilft, wie man andererseits aber auch eine Migration in den Arbeitsmarkt ermöglichen kann.
Solange wir uns abschotten, werden Menschen versuchen, in die Europäische Union und insbesondere natürlich nach Deutschland zu kommen, obwohl sie keine Aussicht auf Bleiberecht haben. Deshalb ist eine gemeinsame europäische Migrationspolitik nicht nur überfällig, sondern wir müssen sie endlich angehen und dabei gleichzeitig den Schutz der EU-Außengrenzen wahren. Das ist selbstverständlich. Die Europäische Union ist ein gemeinsamer Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, und den müssen wir auch gemeinsam schützen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine letzte Bemerkung: Zu den Auswirkungen auf Sachsen-Anhalt, sehr geehrte Damen und Herren von der AfD, hat Ihnen die Frau Ministerin vorgetragen, was wir an Zuwanderung in diesem Jahr haben. Das ist nicht ein Vielfaches von dem, was wir in den letzten Jahren hatten, sondern es liegt etwa, wenn ich es richtig gesehen habe, auf dem Niveau der Jahre 2018 und 2019.
Die Zahlen liegen schon bis zum November vor. Ich gehe davon aus, dass sie nicht wesentlich weiter steigen werden. Deshalb dienen Ihre Behauptungen und Ihre Angstmacherei, dass wir hier überrannt werden oder Ähnliches, einfach nur der politischen Motivation Ihrer Wählerinnen und Wähler.
(Zustimmung)
Sie dienen aber nicht dazu, sich wirklich um Migrationspolitik zu kümmern. - Vielen Dank.
(Beifall)
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Kosmehl, Herr Gallert hat eine Frage. Würden Sie diese beantworten?
Guido Kosmehl (FDP):
Gern.
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Gallert, bitte.
Wulf Gallert (DIE LINKE):
Es geht jetzt nicht um die eigentliche Debatte, aber ich habe noch eine Nachfrage, Herr Kosmehl. Sie haben gesagt, Sie seien davon angetan gewesen, dass ich Herrn Lukaschenko als Diktator bezeichnet habe. Ich habe ihn als skrupellosen Diktator bezeichnet, zweifellos. Sie haben auch gesagt, das sei in meiner Partei nicht üblich.
Ich habe soeben noch einmal schnell die entsprechenden Pressemeldungen der Bundestagsfraktion und des Parteivorstandes dazu gegoogelt. Darin wird er regelmäßig und überall als Diktator bezeichnet. Ich frage Sie deshalb, woher Sie Ihre Erkenntnis haben. Oder sind das Feindbilder, die die frühkindliche Prägung erzielt hat und die Sie immer wieder projizieren?
(Zurufe: Oh!)
Es ist ja eine harte Unterstellung,
Guido Kosmehl (FDP):
Ja.
Wulf Gallert (DIE LINKE):
dass das umstritten sei. Deshalb müssten Sie dazu einmal etwas sagen.
Guido Kosmehl (FDP):
Ich beziehe mich auf die Pressemitteilung Ihrer Bundestagsabgeordneten Frau Dağdelen vom 16. November, in der es genau um die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze geht, in der es einen Vorwurf an Europa gibt, dass man jetzt Sanktionen gegen Belarus verhänge; diese seien nicht angemessen, sondern man müsse die eigene gescheiterte Interventionspolitik beruhigen. Das meine ich damit.
Man muss sich mit diesem Regime auch in der jetzigen Situation auseinandersetzen; denn diese Situation an der Grenze ist vom Regime bewusst herbeigeführt worden. Seit Mai gibt es die Aufrufe, diese Flüge wahrzunehmen; dort kommen die Leute her. Sie werden dann bewusst in diese Grenzregion gebracht. Deshalb ist ein Delegieren der Verantwortlichkeit der belarussischen Regierung aus meiner Sicht hier fehl am Platz.
Das habe ich bei der LINKEN wahrgenommen. Das ist zugegebenermaßen meine Wahrnehmung. Deshalb war ich Ihnen dankbar dafür, dass Sie zumindest heute erklärt haben, dass Sie das Regime als eine skrupellose Diktatur sehen. Und damit stelle ich mal die Kritik an dem Vorgehen der Lukaschenko-Regierung anheim.
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Gallert, eine kurze Nachfrage?
Wulf Gallert (DIE LINKE):
Eine ganz kurze Nachfrage. - Da haben wir das Problem, dass die Dinge an verschiedenen Seiten organisiert worden sind und dass es zweifellos ein Verbrechen von Lukaschenko ist, die Menschen in dieser Art und Weise in diese Situation hineinzuführen. Dass ihm das gelingt, macht die EU ihm möglich.
Ich sage aber noch einmal ganz deutlich: Diese Differenzierung müssen wir uns erlauben. Auch wenn Frau Merkel z. B. mit Herrn Lukaschenko telefoniert hat, wofür Sie jetzt hart angegriffen wird
Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:
Herr Gallert, eine kurze Nachfrage.
Wulf Gallert (DIE LINKE):
Okay. Sie ist eigentlich so kurz. Alles klar, Frau Präsidentin. - Also dann frage ich Sie: Ist auch der Anruf von Frau Merkel bei Herrn Lukaschenko aus Ihrer Perspektive eine Relativierung seiner Position?
Guido Kosmehl (FDP):
Nein, der Anruf ist es nicht, wenn er dazu dient, eine klare Position ihm gegenüber einzunehmen und ihm zu sagen, dass sein Handeln falsch ist.