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Plenarsitzung

Transkript

Andreas Silbersack (FDP):

Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schon das Thema an sich zeigt, es handelt sich um etwas Historisches. Der Ausspruch „Atomkraftwerk? Nein danke“ ist schon Jahrzehnte alt, aber der Ausspruch hat, etwa durch den Wirtschaftsminister, auch in diesem Landtag noch einmal Dynamik erfahren, und zwar in einem Land, in dem kein Atomkraftwerk steht.

Ich glaube, das, was Sven Schulze als Wirtschaftsministers eben sagen wollte, betraf das Thema der Versorgungssicherheit.

(Zuruf: Es ist immer gut, wenn es jemand noch einmal erklärt!)

Dieses Thema der Versorgungssicherheit ist tatsächlich etwas, das für uns wichtig ist. Dass das Thema Atomkraft der Vergangenheit angehört, ist, bezogen auf den Iststand, zutreffend. Insofern finde ich es schön, wenn Frau Lüddemann Herrn Christian Lindner von der FDP zitiert.

Aber für uns als FDP ist klar, wir sind von Grund auf technologieoffen. Das bezieht sich einfach auch auf das Thema der Zukunft. Die bestehenden Atomkraftwerke werden   das hat der Wissenschafts- und Umweltminister Willingmann gesagt   nicht weiter betrieben. Das geht auch gar nicht. Keines der betreffenden Unternehmen würde sich bereit erklären, die bestehenden Atomkraftwerke weiter zu betreiben. Das ist einfach so.

Insofern sind wir wieder in Sachsen-Anhalt angelangt und damit bei der Frage des Strukturwandels. Das und die Thematik des Übergangs sind die Themen, die uns tatsächlich interessieren. Dabei spielen verschiedene Formen eine Rolle. Wir müssen uns in Sachsen-Anhalt überlegen, welche Möglichkeiten wir in Sachsen-Anhalt schaffen, um den Strukturwandel, der die Menschen wirklich bewegt, meistern zu können.

Diesbezüglich ist es nun einmal so, dass wir in der Vergangenheit sehr stark auf Braunkohle gesetzt haben. Es ist einfach ein Schmelztiegel der Emotionen der Menschen vor Ort, der Menschen in diesem Land, wenn es um die Frage geht, wie geht es weiter?

Wenn in Berlin darüber geredet wird   die FDP sitzt auch am Tisch  , dass das Jahr 2038 möglicherweise zur Debatte steht, dann sagen wir hier in Sachsen-Anhalt, dass wir zu den Verträgen stehen, wie wir sie geschlossen haben. Für uns, für die Menschen gilt zunächst einmal das Jahr 2038. Das heißt aber nicht, dass man die weiteren Entwicklungen   man muss die Dinge immer vordenken   weiter entwickeln muss. Das heißt, wenn Dinge in Stein gemeißelt werden, dann ist das immer etwas kurzsichtig, wenn man sich die Dinge rückblickend zehn Jahre später anschaut.

Deshalb ist es wichtig   das ist als FDP unser Grundsatz  , dass wir technologieoffen in diesen Strukturwandel gehen. Technologieoffen bedeutet eben auch, dass wir mit dem Thema Gas als Brückentechnologie ganz offen, ganz überzeugend umgehen. Ich darf an der Stelle an unser Gaskraftwerk in Halle erinnern   es ist eines der modernsten Gaskraftwerke Europas und weltweit  , welches im Grunde genommen alle Möglichkeiten nutzt, um tatsächlich effektiv, effizient und zukunftsorientiert zu arbeiten.

Aber wir brauchen dafür auch Gas, weshalb wir uns in Sachsen-Anhalt zu Gas als Brückentechnologie bekennen müssen. Es ist auch wichtig, dass man sich zu den Partnern bekennt, die uns das Gas liefern; denn wenn man zu lange auf jemanden draufhaut, dann hat er möglicherweise keine Lust mehr, Gas zu liefern. Deshalb ist es wichtig, dass wir in Sachsen-Anhalt zeigen: Wir stehen zu unseren Partnern, die uns dieses Gas liefern. Das heißt, wir stehen zu Osteuropa.

Nun ist dieses Thema Nord Stream 2 in aller Munde und es gibt rechtliche Problemstellungen, die Pipeline zu öffnen. Das ist keine Frage.

Aber Fakt ist eines: Wir in Sachsen-Anhalt sind auf Gas als Brückentechnologie angewiesen. Deshalb ist es wichtig, dass sich der Landtag von Sachsen-Anhalt offensiv zu dieser Brückentechnologie bekennt und sagt, das ist Teil unseres Handelns und dazu stehen wir.

Diese Brückentechnologie bedeutet natürlich auch, dass wir dort investieren, wo wir technologische Zukunftsmöglichkeiten sehen. Nicht ohne Grund gibt es den Strukturwandelfonds, der 4,8 Milliarden € umfasst. Bei uns geht es darum, das Thema Wasserstoff und ähnliche Technologien nach vorn zu bringen. Für uns ist das wichtig.

Aber Sie werden dieses Problem allein mit diesem Thema   jetzt kommen wir wieder zu der Versorgungssicherheit   nicht lösen. Wir werden diese Themen mit Wind und Wasserstoff im Augenblick noch nicht lösen können. Deshalb ist es eine komplizierte Frage. Man kann natürlich polarisieren und sagen: nur erneuerbare Energie; aber das reicht nicht aus.

Deshalb müssen wir ehrlich sein und in verschiedene Themen einsteigen. Damit bin ich dann auch schon bei dem Thema der Zukunft und der Frage: Wie können wir Strukturwandel und Zukunft im Land Sachsen-Anhalt und in Deutschland begleiten? An dieser Stelle gilt es, einen Blick nach Europa zu werfen.

Mich persönlich überrascht es schon etwas, wenn man sich für alle Ewigkeit von dem Begriff der Atomkraft und der Kernenergie verabschiedet. Stellen wir uns einmal dieses vor: Wir sind ein Europa und sagen zu denjenigen, die uns sagen, wir als EU-Kommission stellen fest, Kernenergie ist eine nachhaltige Energie: „Deutschland ist raus, wir machen da nicht mit.“ Das wird nicht funktionieren. Deshalb glaube ich fest daran, dass man sich selbst dann, wenn man davon ausgeht   und das ist richtig  , das Thema Atomenergie zu beenden, in der Zukunft dem Thema stellen muss.

Wenn man auf diesem Gebiet nicht weiter forscht und sich weiterentwickelt, dann koppelt man sich von einem wesentlichen Finanzierungsinstrument in Europa ab; denn das, was wir als Taxonomie bezeichnen und was einige schon einmal gelesen und sich angeschaut haben, ist nichts anderes, als dass damit ein Finanzierungshebel für bestimmte Energieformen für die Zukunft gewählt wird. Das wird unterstützt.

Deshalb ist es wichtig, finde ich, dass wir Europa in den Diskussionen immer gleichbehandeln. Wenn wir über das Thema Flüchtlingsstrom reden, dann sagen wir, wir wollen, dass Migranten auch europaweit betrachtet werden und wir das auf europäischer Ebene klären.

Aber genauso sind wir ein Teil Europas, wenn es um die Frage geht: Wie sieht der Fortschritt in Forschung und Entwicklung bei der Kernenergie aus? Das heißt nicht, dass ich den jetzigen Zustand der Atomkraft befürworte, sondern ich halte es einfach für einen Fehler, wenn man sagt, in den nächsten 1 000 Jahren ist dieses Thema für uns tot. Dann koppeln wir uns in Teilen tatsächlich von der europäischen Entwicklung ab und das tut unserem Land Deutschland und auch Sachsen-Anhalt nicht gut, meine Damen und Herren.

(Zustimmung)

Vorhin wurde zweimal über das Prinzip Hoffnung gesprochen. Es gibt den schönen Spruch von Friedrich Nietzsche,

(Zuruf)

der im heutigen Sachsen-Anhalt geboren wurde: „Hoffnung ist der Regenbogen über dem herabstürzenden Bach des Lebens.“

Das heißt, Hoffnung reicht für uns nicht aus. Wir brauchen Technologie. Wir brauchen Fortschritt und wir müssen darin investieren. Deshalb möchte ich darum bitten, dass wir diese Themen vorwärtsgewandt betrachten. Das sage ich in alle Richtungen. Das sage ich den GRÜNEN und das sage ich natürlich auch der AfD. Wir können diese Dinge nicht blockieren, sondern wir müssen alle Themen, die sich uns bieten, technologieoffen nutzen, auch im Sinne Europas. Diese müssen wir nach vorn treiben.

Wenn uns dieser Finanzierungshebel in der Zukunft der Kernenergie auf der europäischen Ebene wegbricht und wir dort keine Mittel aus Förderprogrammen abzweigen können und Frankreich nicht als Kooperationspartner begreifen, dann werden wir tatsächlich etwas hergeben, was uns im Verhältnis zu Frankreich und zu Europa insgesamt, nicht gut zu Gesicht steht, meine Damen und Herren.

Die Aussage von Kanzlerin Merkel, die von sich aus gesagt hat, dass dieser Prozess der Anerkennung der Nachhaltigkeit nicht aufzuhalten ist, beinhaltet doch meines Erachtens für uns einen Auftrag. Wir müssen positiv sein, wie es die Amerikaner immer machen; denn sie sehen es nicht nur negativ. Wir wollen ein positives Produkt für die Zukunft entwickeln; das sollte unsere Aufgabe sein. Genau in dem Spektrum sollten wir das Thema Strukturwandel, sollten wir die Technologien der Zukunft betrachten.

Was bedeutet das insbesondere für Sachsen-Anhalt? Neben dem Thema der Kohle würde sich bspw. das Thema Geothermie anbieten. Das ist ein Thema, das tatsächlich wichtig ist und das wir in Sachsen-Anhalt neben den Themen kleine Wasserkraftwerke und Offshore-Windkraftanlagen außerhalb von Sachsen-Anhalt noch wesentlich weiter treiben müssen.

Es gibt eine Handvoll, einen Blumenstrauß von Technologiemöglichkeiten, die wir in Sachsen-Anhalt neben den Themen Solar und Wind vorantreiben können. Dort sollten wir positive Energie hineinbringen. Internationale wie nationale Ingenieure sollten an unsere Universitäten und in unsere Betriebe kommen, um die Dinge voranzutreiben, damit wir die Zukunft beschreiben können. Das ist unser Anspruch als Liberale.

Wir wollen mit offenem Visier Zukunft technologieoffen und forschungsintensiv beschreiben. - Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Zustimmung)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Silbersack, Ihr Vortrag gibt Anlass zu Fragen. Sie sind bereit, die Fragen von Herrn Striegel und Herrn Gallert zu beantworten?


Andreas Silbersack (FDP):

Natürlich.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Striegel.


Sebastian Striegel (GRÜNE):

Herr Fraktionsvorsitzender Silbersack, das Problem an der Atomenergie ist, dass wir uns nicht die nächsten 1 000 Jahre, sondern die nächste Million Jahre mit ihr werden herumschlagen müssen, und zwar mit den Ergebnissen von 70 Jahren Beschäftigung mit dieser Technologie. Ich glaube, das sollte uns alle ein bisschen demütig machen.

Ich habe eine Frage zu dem Thema Kohleausstieg 2038. Man kann mit gutem Grund sagen, es gibt diese Vereinbarung Kohleausstieg 2038. Wenn man aber gleichzeitig sagt, wir haben auch einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag, nämlich das 1,5-Grad-Ziel von Paris, dann muss man den Weg beschreiben können, wie man diesen Vertrag einhalten kann.

Wenn Sie sagen, der Kohleausstieg 2038 soll stehen, dann würde gern von Ihnen wissen, wie Sie sich vorstellen, die Klimaziele von Paris einzuhalten, wenn das sozusagen vor die Klammer gezogen ist. Mein Eindruck ist, das ist nicht darstellbar. Aber vielleicht haben Sie eine andere Idee.


Andreas Silbersack (FDP):

Vielen Dank, Herr Striegel. Manchmal gilt der alte Spruch: Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen.

Ich glaube, dass das Thema Ausstieg 2038 ein Thema ist, bei dem wir den Menschen in diesem Land verpflichtet sind. Bei Verträgen gilt der Spruch   das wissen Sie sicherlich auch  : pacta sunt servanda. Das heißt, Verträge werden so gehalten, wie sie geschlossen wurden. Aber das schließt natürlich nicht aus, wenn man sich fünf oder zehn Jahre später in einer anderen Situation befindet, sich diese Dinge neu anzuschauen und sie anzupassen.

Insofern ist es genau dasselbe wie mit der Atomenergie. Wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, wenn sich möglicherweise die Frage des Atommülls ändert, dann sind diese Fragestellungen neu zu bewerten. Ich glaube, an dieser Stelle muss man etwas die Scheuklappen ablegen und ergebnisoffener in die Zukunft schauen.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank. - Herr Gallert, bitte.


Wulf Gallert (DIE LINKE):

Herr Silbersack, ich habe eine Nachfrage in der Sache, die sich auf Ihre Aussagen zu Nord Stream 2 bezieht. Es ist eine sehr komplexe und wahrscheinlich nicht ganz einfach zu beantwortende Frage. Aber ich war doch schon ein bisschen verwirrt ob des relativ klaren Plädoyers für die Nutzung und für die Chancen von Nord Stream 2.

Sobald man irgendetwas aus den Verhandlungen der geplanten Ampelkoalition aus Berlin hört, hört man von der FDP immer das Gegenteil, gerade von Herrn Lindner.

Jetzt können Sie mich vielleicht aufklären. Ist der alte Streit zwischen Kubicki und Lindner   dafür oder dagegen   aus dem Jahr 2020 beigelegt. Wie ist die Position? War dies jetzt die persönliche Position des Kollegen Silbersack, ohne dass Sie mich über die Situation auf Bundesebene aufklären können? Das wäre eine Option.


Andreas Silbersack (FDP):

Herr Gallert, vielen Dank für die Frage. Im Grunde genommen ist es ein Blickwinkel aus Sachsen-Anhalt. Was Herr Kubicki und Christian Lindner miteinander vereinbart haben, ist die eine Seite und die ist natürlich auch wichtig für uns, weil es sich um die liberale Bundesspitze handelt. Für uns ist aber auch wichtig   dafür ist dieser Landtag zuständig  , die Partner, die für uns in der Vergangenheit wichtig waren, eben auch in der Zukunft an unserer Seite zu wissen.

Deshalb ist es bei der Pipeline Nord Stream 2, die gebaut wurde, auch eine juristische Frage, warum sie nicht an den Start gehen kann. Bei der Frage, ob sie an den Start gehen soll, kann man sicherlich unterschiedlicher Auffassung sein. Ich denke, man sollte sich gut überlegen, Nord Stream 2 jetzt zu verhindern, obwohl sie schon gebaut wurde.


Wulf Gallert (DIE LINKE):

Ich habe noch eine ganz kurze Nachfrage, damit Sie mich nicht missverstehen. Es gibt keine Vereinbarung zwischen Kubicki und Lindner, weil beide diametral entgegengesetzte Positionen vertreten. Wenn ich Sie jetzt richtig verstehe, dann ist es so, dass Sie sagen, die Macht des Faktischen, also die Fertigstellung von Nord Stream 2, sollte jetzt von uns energiepolitisch genutzt werden.


Andreas Silbersack (FDP):

Energiepolitisch sollte für uns im Vordergrund stehen, dass wir Versorgungssicherheit für Sachsen-Anhalt herstellen können. Daher ist Russland als ein Gaslieferant eines der Länder, die für uns am wichtigsten sind, weil wir in diesem Land russisches Gas für alle möglichen Dinge benutzen, auch zur Versorgungssicherheit. Dabei gilt aus meiner Sicht der Grundsatz, dass man mit dem Partner zwar aufgrund der dortigen Menschenrechtsverletzungen kritisch reden muss, aber er ist eben auch Gaslieferant. Daher muss man alles in Betracht ziehen und dazu gehört eben auch Nord Stream 2.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Jetzt hat sich Herr Lizureck noch gemeldet. - Aber, Herr Lizureck, es ist schon eine Frage, die sich auf den Debattenbeitrag von Herrn Silbersack bezieht und nicht auf die Nachfragen der anderen Kollegen und die weiteren Ausführungen?


Frank Otto Lizureck (AfD):

Natürlich nicht.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Silbersack, auch das beantworten Sie?


Andreas Silbersack (FDP):

Gern.


Frank Otto Lizureck (AfD):

Es ist eine ganz nette Frage. - Sie haben sich auf die Geothermie bezogen. Meine Frage dahin gehend ist: Sehen Sie eine Lösung in der oberflächennahen Geothermie, also im Grunde genommen in der Insellösung, das heißt, Haushalte zu beheizen mit oberflächennahen Bohrungen, oder meinten Sie Stromerzeugung durch Tiefenbohrungen oder durch tiefe Geothermie, die aber nicht überall möglich ist?


Andreas Silbersack (FDP):

Nein, ich meine das schon bezogen auf die Haushalte, auf die Haushaltsthematik. Nehmen Sie einmal Folgendes als Beispiel: Wenn Sie im Harz, in unserer schönen Urlaubsregion, ein Hotel oder etwas Ähnliches haben oder eben eine Sportliegenschaft in der Altmark und überlegen, wie Sie die Energieversorgung hinbekommen, dann sollte in der Zukunft verstärkt eine Prüfung stattfinden, inwieweit die Energieversorgung vor Ort durch Nutzung der Geothermie stattfinden kann. Das kann in dem konkreten Fall stattfinden.


Frank Otto Lizureck (AfD):

Das wäre dann die oberflächennahe Geothermie?


Andreas Silbersack (FDP):

Ja.


Frank Otto Lizureck (AfD):

Danke.