Juliane Kleemann (SPD):
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es heute schon mehrfach gehört. Es steht mittlerweile außer Frage, dass Kinder ganz eigene Rechte haben und dass sich der Blick auf Kinder und ihr Wohlergehen in der Gesellschaft deutlich verändert hat. Ihre Bedürfnisse und vor allem ihr Schutz stehen heute stärker im Fokus.
Wir wissen, dass Kinder mehrere Rechte haben: das Recht auf Anerkennung ihrer eigenen Persönlichkeit, das Recht auf Schutz, das Recht auf Bildung, das Recht auf Beteiligung und Förderung. Die Liste der Rechte kann man, glaube ich, ohne Ende weiterführen, damit wir dabei keine Diskriminierung einbauen.
Deutschland hat bereits im Jahr 1992 die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert. Allerdings fehlt eben leider bis heute die Aufnahme der Kinderrechte in das deutsche Grundgesetz. Auch das haben wir heute schon mehrfach gehört. Es ist daher richtig, dass sich die Ampelkoalition im Koalitionsvertrag darauf verständigt hat ich zitiere :
„Wir wollen die Kinderrechte ausdrücklich im Grundgesetz zu verankern und uns dabei maßgeblich an den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention orientieren.“
Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das, nachdem es im Bund in der letzten Legislaturperiode leider gescheitert ist, jetzt schaffen werden.
Warum Kinderrechte im Grundgesetz? Reicht das Grundgesetz oder die Verankerung in der Landesverfassung nicht aus? - Nein, das Grundgesetz und unsere Landesverfassung als leitende Rechtsnormen berücksichtigen das Kindeswohl und die Kinderrechte aus unserer Perspektive bisher nur unzureichend. Es ist zu beobachten, dass Normenanwenderinnen in der Rechtsprechung dazu tendieren, Kindesinteressen und Beteiligungsrechte zu übersehen, wenn diese gesetzlich eben gerade nicht explizit geregelt sind.
Kinder sind zwar in Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetztes erwähnt, aber als Regelungsgegenstand und nicht als eigenständige Rechtssubjekte. An dieser Stelle brauchen wir einen qualitativen Sprung. Denn es ist relevant. Kinder können ihre Rechte bisher nicht selbst einfordern. Sie können sich weder auf eine Interessenvertretung oder ein Verbandsklagerecht berufen, wenn sie ihre Rechte durchsetzen wollen - einfach deshalb, weil sie noch Kinder sind. Kinder sind also Grundrechtsträger mit einem besonderen Schutzbedürfnis.
Dabei reicht eine Formulierung als Staatsziel nicht aus. Ein Staatsziel ist eben im Gegensatz zu Grundrechten kein einzuklagender Rechtsanspruch. Aus diesem Grund ist eine ausdrückliche Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz so wichtig. Das ist mehr als nur symbolisch.
(Zustimmung von Eva von Angern, DIE LINKE)
Der Staat würde damit mehr in die Pflicht genommen, für kindgerechte Lebensverhältnisse und gerechte Entwicklungschancen zu sorgen und diese immer auch im Blick zu haben. Bisher sind die Rechte und die Beteiligungsrechte von Kindern in den Landesverfassungen oder in anderen Rechtsnormen sehr unterschiedlich geregelt. Mit der Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz wäre dies eindeutiger.
Eine Verankerung des Kindeswohls und des Schutzes von Kindern im Grundgesetz würde ihre Rechte sehr viel stärker als bisher in der Verantwortung von Staat und Gesellschaft verdeutlichen und bei allem staatlichen Handeln, z. B. beim Bauen von Spielplätzen, bei Bildungsangeboten, bei Beteiligung oder auch bei Verkehrskonzepten die Konsequenz für Kinder mitdenken.
(Zuruf von Guido Kosmehl, FDP)
Es geht nicht darum wir haben es eben schon gehört während des Dialogs zwischen Frau Sziborra-Seidlitz und Herrn Pott , irgendwelche anderen Rechte dabei zu schwächen, sondern im Gegenteil zu stärken. Eltern sind weiterhin für die Erziehung und Entwicklung ihrer Kinder verantwortlich. Der Staat hat die Verpflichtung, dabei zu unterstützen. Er darf nur dann eingreifen, wenn das Kindeswohl gefährdet ist. Eltern würden durch die Einführung der Kindergrundrechte bessere Möglichkeiten erhalten, die Rechte ihrer Kinder durchzusetzen.
(Guido Kosmehl, FDP: Also die Eltern setzen die Rechte der Kinder durch? - Dr. Katja Pähle, SPD: So wie jetzt auch schon! - Guido Kosmehl, FDP: Ja eben!)
Kinder zu stärken bedeutet eben auch, Familien zu stärken. Das ist relevant. Die Kindergrundsicherung das haben wir auch schon gehört ist dabei ein relevanter Faktor. Ich finde es richtig, dass es den Jugend- und Familienministern in ihrer Konferenz vor kurzem gelungen ist, eine starke Unterstützung auf diesem Weg zu beschließen. Die Kindergrundsicherung soll Leistungen bündeln und einen unbürokratischen Zugang ermöglichen.
Wir wissen aus der Praxis, dass Familien, die Anspruch auf unterstützende Leistungen haben, von diesen oftmals keine Kenntnis haben oder im Gewühl der vielen Anträge untergehen. Das muss sich ändern und das ist richtig so. Jeder in ein Kind investierte Euro ist eine Investition in die Zukunft. Allein in Sachsen-Anhalt würden rund 75 000 Kinder von einer Kindergrundsicherung profitieren.
Es darf keine Rolle spielen, in welchem Elternhaus ein Kind aufwächst, sondern dass es sich nach seinen Talenten und Begabungen bestmöglich entwickeln kann. Auch wir bitten, wie schon gehört, um eine Überweisung zur federführenden Beratung in den Sozialausschuss und zur Mitberatung in den Rechtsausschuss und in den Finanzausschuss. - Vielen Dank.
(Zustimmung bei der SPD)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Danke, Frau Kleemann. Es gibt eine Frage von Herrn Kosmehl. Wollen Sie die beantworten?
Juliane Kleemann (SPD):
Ich versuche es.
Vizepräsident Wulf Gallert:
Dann stellen Sie Ihre Frage, Herr Kosmehl.
Guido Kosmehl (FDP):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kleemann, die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern, ist nie schrankenlos, sondern muss gegenüber anderen Grundrechten abgewogen werden und zurückstehen. Dadurch würde sich der Mehrwert, den Sie für die Kinderrechte beschreiben, nicht per se durch die Aufnahme in das Grundgesetz ergeben. Die Kinderrechte müssten genauso wie die von Ihnen angesprochenen Elternrechte und andere Rechte beachtet werden.
Wie schätzen Sie das eigentlich ein? Trägt ein Kindergrundrecht dazu bei, dass es einen Vorrang für Kinderrechte gibt oder müsste sich nicht ein solches Grundrecht genauso einordnen wie alle anderen Grundrechte auch?
(Zustimmung von Konstantin Pott, FDP)
Vizepräsident Wulf Gallert:
Sie können antworten.
Juliane Kleemann (SPD):
Sie suggerieren damit ja eine Hierarchisierung. Die sehe ich nicht.