Tagesordnungspunkt 6
Einführung des Gebäudetyps E - Wohnraum günstiger ermöglichen
Antrag Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/4479
Diesen Antrag bringt Herr Dr. Falko Grube ein. Bitte sehr.
Dr. Falko Grube (SPD):
Herr Präsident! Hohes Haus! Bauen wird immer teurer. Das kennt gefühlt jeder, der sich mit dem Thema Bauen beschäftigt, das bestätigen aber auch ganz real die Zahlen. Für den Zeitraum von Februar 2021 bis Februar 2024 weist das Statistische Landesamt eine Preissteigerung um rund 43 % bei Wohn- und von rund 44 % bei Bürogebäuden aus. Bei den Steigerungsraten stechen raumlufttechnische Anlagen, Abdichtungsarbeiten, Heizanlagen und zentrale Wassererwärmungsanlagen, aber auch Dämm- und Brandschutzarbeiten hervor. Das ist aber nur die Spitze des Eisberges.
Hinzu kommen - das kennen Sie alle - die gestiegenen Zinsen. Die muss man auf den ganzen Effekt noch draufrechnen. Wenn man das sieht, stellt man fest, es ist kein Wunder, dass die Bundesregierung das Ziel von 400 000 neuen Wohnungen pro Jahr verfehlt, und es ist auch kein Wunder, dass sich niemand mehr das Bauen leisten kann. Meine Damen und Herren, da müssen wir was tun.
(Zustimmung von Dr. Katja Pähle, SPD)
Wenn ich sage, dass sich das niemand mehr leisten kann, ist das ein bisschen übertrieben, aber eben nur ein bisschen. Nicht übertrieben ist, dass das Thema Baukosten auch die öffentlichen Haushalte betrifft. Schulen und Kitas bei den Kommunen zum Beispiel, aber auch die Sanierung und der Bau von Liegenschaften und Investitionsobjekten des Landes sind davon betroffen.
Wir stehen vor der Aufstellung des nächsten Haushaltes - also, wir als Parlament; die Regierung ist mittendrin. Am Ende werden wir im Haushaltsplan sicherlich auch gute Investitionsquoten haben. Aber wenn die Baukosten um 50 % gestiegen sind, kosten die Sachen eben auch das Anderthalbfache, und man kriegt nur noch zwei Drittel von dem, was man vor drei Jahren bekommen hat. Das erhöht auch den Sanierungsbedarf insgesamt im Land um den gleichen Faktor.
Ich will auch gar nicht die Haushaltsverhandlungen im Vorfeld belasten - das alles machen wir schön miteinander aus, wenn der Haushaltsplan vorliegt , aber ich habe bei einigen hier im Hause immer das Gefühl, sie denken, es geht nur um die privaten Belastungen der Bürgerinnen und Bürger. Nein, es geht auch um die öffentlichen Belastungen der Bürgerinnen und Bürger. Es geht nämlich darum, was mit den Steuergeldern passiert, und das ist genauso wichtig.
Dass etwas getan werden muss, dürfte unter uns hier, jedenfalls unter den meisten, unstrittig sein. Ziel muss es sein, dass schneller und günstiger gebaut werden kann. Aber was kann man tun?
(Tobias Rausch, AfD: Bauvorschriften ändern!)
Da kommt der vorliegende Antrag ins Spiel. Der konkrete Vorschlag der Bundesregierung, aber auch der Fachministerinnen und Fachminister ist die Einführung des Gebäudetyps E. Wir als Koalition wollen, dass sich auch der Landtag von Sachsen-Anhalt hinter dieses Vorhaben stellt. Deshalb haben wir heute diesen Antrag eingebracht.
Der Begriff „Gebäudetyp E“ klingt ziemlich technisch; das ist er auch. „E“ steht für einfaches und experimentelles Bauen. Mit dem in Bayern vorangetriebenen und durch die Bundesebene gesetzgeberisch auf den Weg gebrachten Gebäudetyp E soll erreicht werden, dass Planerinnen und Planer gemeinsam mit den privaten oder öffentlichen Bauherren festlegen können, welche Anforderungen an ein Bauvorhaben wirklich wichtig sind und an welchen Stellen Abweichungen von geltenden Normen wünschenswert oder möglich sind.
Meine Damen und Herren! Dabei geht es ausdrücklich nicht um den Verzicht auf sicherheitsrelevante Standards. Die Vereinfachung führt zum einen dazu, dass kostengünstiger und schneller gebaut werden kann. Zum anderen soll sie zu einer deutlichen Verkürzung der Genehmigungsverfahren führen; auch das spart Kosten.
Nun klingt es so, als ob man das heute auch schon könnte; zwei Vertragspartner regeln untereinander den Vertragsinhalt. Aber so einfach ist es eben nicht. Für die Erstellung von Bauwerken gelten die allgemein anerkannten Regeln der Technik, die bisher vertragsrechtlich relevant sind.
Welche Normen sich in diesen allgemein anerkannten Regeln der Technik wiederfinden, ist nicht gesetzlich geregelt, sondern in den letzten Jahren wurde in konkreten Streitfällen durch die Rechtsprechung festgestellt, welche Normen gelten, und es hat sich die Denkweise entwickelt, einen Sachmangel anzunehmen, wenn nicht alle allgemein anerkannten Regeln der Technik berücksichtigt wurden.
Das klingt erst einmal nicht so schlimm, aber, meine Damen und Herren, wir reden an dieser Stelle von sage und schreibe insgesamt 3 000 geltenden DIN- und Bauvorschriften, die für die Errichtung von Gebäuden gelten. Werden Bauvorhaben so ausgeführt, dass möglichst alle Normen angelegt werden, kann jeder gut nachvollziehen, wie sich das Ergebnis darstellt: Bauen wird langwierig und teuer gemacht.
Die Bundesregierung, genauer gesagt das Bundesjustizministerium in enger Komplizenschaft mit dem Bundesbauministerium, hat ein Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der im Wesentlichen eigentlich gar nichts mit Bauen zu tun hat, sondern in dem es darum geht, dass man auf Standards verzichten kann und - jetzt kommt der Trick - die Baufirmen dafür in Folge nicht für Sachmängel haften, die aus der Nichtbefolgung dieser Norm entstehen.
Genauer gesagt geht es in dem Gesetzentwurf um vier Punkte. Erstens soll der Begriff der anerkannten Regeln der Technik konkreter gefasst werden. Es soll erreicht werden, dass man aufteilt in geltende Standards und reine Komfortstandards. Die reinen Komfortstandards sollen dann im Allgemeinen nicht als anerkannte Regeln der Technik gewertet werden.
Zweitens soll in Verträgen zwischen fachkundigen Unternehmern die Abweichungen von anerkannten Regeln der Technik erleichtert werden.
Drittens soll ein Abweichen von anerkannten Regeln der Technik nicht mehr automatisch ein Sachmangel sein.
Viertens soll im BGB eine neue Vermutungsregelung geschaffen werden, die auf alle Bauverträge Anwendung finden soll. Künftig soll die Vermutung gelten, dass reine Ausstattungs- und Komfortstandards keine anerkannten Regeln der Technik sind. Für sicherheitsrelevante technische Normen - das sagte ich bereits - soll eine gegenteilige Vermutung gelten.
Der Gesetzentwurf soll im Herbst 2024 im Bundeskabinett beschlossen werden. Ich finde, der Landtag von Sachsen-Anhalt sollte sagen, wir wollen das. Bauen darf ruhig auch einmal preiswerter werden. Deswegen steht der Begriff „Gebäudetyp E“ nämlich nicht nur für „einfach“ und „experimentell“, sondern auch für „endlich wird es preiswerter“.
(Zustimmung bei der SPD)
Das Ganze gilt übrigens nicht nur beim Neubau, sondern auch bei der Sanierung. Für alle, für die das jetzt ein bisschen theoretisch war - das war es zugegebenermaßen auch , und für diejenigen, die vielleicht Angst haben, dass reihenweise die Neubauten einstürzen - das werden sie natürlich nicht , hier noch ein paar Beispiele.
Erstes Beispiel: Betongeschossdecken. Im Vergleich mit den europäischen Nachbarländern sind die Geschossdeckendicken in Deutschland am größten. Grund dafür ist der Schallschutz. In Belgien, in den Niederlanden oder in Frankreich kommen die Leute mit geringeren Geschossdeckendicken aus. Das bedeutet auch weniger Kosten.
Ich frage mich, ob die Leute wirklich immer die maximale Variante haben wollen, wenn sie sich das wünschen könnten und wenn sie es sich, natürlich gut beraten, auch aussuchen könnten. Ich würde vieles darauf setzen, dass das nicht der Fall ist. In Belgien, in den Niederlanden oder in Frankreich wohnen die Leute auch nicht schlecht, und es ist nicht überliefert, dass sich die Nachbarn wegen mehr Lärm dort mehr an die Gurgel gehen als hier.
Zweites Beispiel: Holzgeschossdecken. Nach heutigem Stand werden Holzbalkendecken mit Estrich gebaut, das muss aber nicht sein. Das einfache Bauen würde es ermöglichen, dass die Holzdecken auch grundsätzlich ohne Estrich eingezogen werden. Ja, das würde, was den Schallschutz betrifft, mögliche Einschränkungen im Komfort bedeuten. Aber es wäre das Gleiche wie bei den Betondecken: Der Bauherr muss die Wahl haben, die Bauherrin natürlich auch. Man kann den Komfortstandort nehmen, muss es aber nicht. Mehr Freiheit, weniger Bürokratie - wenn es das nicht gäbe, müsste man es glatt erfinden.
Drittes Beispiel: Anzahl der Steckdosen. Wenn Sie sich heute mit Leuten unterhalten, die gerade ein Haus bauen, hören Sie, dass die Anzahl der Steckdosen immer ein Thema ist.
(Eva von Angern, Die Linke: Immer zu wenig!)
Immer sind es zu wenig, keine Frage. Sie können auch allen raten, genügend Steckdosen einzubauen und am Ende, wenn die Küche steht, sind es immer noch zu wenig. Aber jede Steckdose kostet am Ende nicht wenig und das läppert sich. Nach dem Stand der Technik - raten Sie mal - sind 47 Steckdosen in einer Dreizimmerwohnung einzubauen. 47 Steckdosen in einer Dreiraumwohnung - also mir fehlt die Fantasie, mir vorzustellen, wofür man diese brauchen könnte.
(Eva von Angern, Die Linke: Deswegen sollten mehr Frauen ins Parlament!)
Also man kann Stecker herausziehen, wenn man ein Gerät nicht benutzt, und ihn später wieder reinstecken. Schließlich gibt es auch nicht in jeder Dreizimmerwohnung eine Cannabisplantage. Also, insofern könnte man sich wahrscheinlich drauf einigen ,
(Stefan Ruland, CDU: Jetzt schon, dank euch! - Jörg Bernstein, FDP, lacht)
Also wenn es in jeder Dreizimmerwohnung bei Ihnen eine Cannabisplantage gibt, dann weiß ich, dass bei der Hälfte der Fraktion etwas zu holen ist. Das ist aber eine andere Kiste.
Meine Damen und Herren! Der Gebäudetyp E ist nicht nur eine Kopfgeburt irgendeines Ministeriums; es ist der in Gesetzesform gegossene Wunsch aus der Praxis. In Bayern laufen aktuell 19 Pilotprojekte für den Gebäudetyp E über einen Zeitraum von zwei Jahren; darunter sind Schulen und Wohnhäuser. Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse.
Außerdem haben sich viele Verbände aus der Bau- und Wohnungswirtschaft hinter die Initiative gestellt. Wir sollten das auch tun. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag.
(Zustimmung bei der SPD)