Tagesordnungspunkt 2

Erste Beratung

Wassergesetz anpassen - Reaktivierung natürlicher Wasserrückhaltung in der Fläche

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/704


Einbringer ist Herr Aldag. Darauf folgt eine Fünfminutendebatte. - Dann geht es los, Herr Aldag. Sie haben das Wort.


Wolfgang Aldag (GRÜNE):

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren, einige von Ihnen, diejenigen, die schon etwas länger in diesem Hause weilen, erinnern sich vielleicht an das Jahr 2011. Im September gründe sich damals der zeitweilige Ausschuss mit dem Titel „Grundwasserprobleme, Vernässung und das dazugehörige Wassermanagement“. Extreme Niederschlags- und Hochwasserereignisse hatten deutlichen Einfluss auf die damals ohnehin angespannten naturräumlich bedingten hohen Grundwasserverhältnisse genommen. An vielen Orten des Landes war eine verstärkte Vernässung zu verzeichnen.

Nach Angaben des Landesbetriebes für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft galt damals ein Anteil von 27 % der Fläche Sachsen-Anhalts als vernässungsgefährdet. Man war sich fraktionsübergreifend darin einig, dass geeignete Maßnahmen in die Wege geleitet werden müssten, um den Herausforderungen erfolgreich und dauerhaft zu begegnen.

Aufgabe des zeitweiligen Ausschusses war es, sich einen Überblick über die konkreten Ursachen und Folgen der entstandenen Grundwasser- und Vernässungsprobleme zu verschaffen, nachhaltige Lösungsansätze zu erarbeiten sowie die erforderlichen Finanzierungsinstrumente darzustellen, die zur Behebung der Grundwasserprobleme und der Vernässung führen sollen.

Das Land stellte in einer ersten Maßnahme Mittel in Höhe von 30 Millionen € für Kommunen und Verbände zur Verfügung, die nicht an den laufenden Haushalt gebunden, sondern dem Altlastenfonds angegliedert waren.


Über gut drei Jahre hinweg beschäftigte sich der zeitweilige Ausschuss in insgesamt 26 Sitzungen und zahlreichen Anhörungen von Experten mit dem Thema. Es fanden Vor-Ort-Termine während acht Arbeitsreisen durch das ganze Land statt. Zusätzlich wurde durch den Ausschuss eine wissenschaftliche Untersuchung mit dem Thema „Lösungsansätze zu einer Gefährdungsanalyse für bestehende und zukünftige Vernässungen“ initiiert.

Infolgedessen erarbeitete der Ausschuss nachhaltige Lösungsansätze und Empfehlungen. Am 15. Juli 2014 legte der zeitweilige Ausschuss dem Parlament sowie der Öffentlichkeit seinen Endbericht vor, nachdem die Tätigkeitsdauer des Ausschusses zweimal verlängert worden war, weil die zu erfüllenden Aufgaben in der vorgesehenen Zeit von zunächst zwei Jahren nicht erfüllt werden konnten.

Meine Damen und Herren! Sie erkennen vielleicht bereits jetzt, weshalb ich in der Einleitung etwas ausführlicher einen Blick in die Vergangenheit wage und weshalb wir heute mit unserem Antrag versuchen, das, was im Koalitionsvertrag in einem Satz vage vereinbart wurde, zu beschleunigen bzw. auf den Weg zu bringen. Denn der Sachverhalt ist komplex. Die Herausforderungen sind groß. Die Umsetzung des Vorhabens unter der Beteiligung aller Betroffenen ist nicht einfach. Die Zeitspanne, bis Ergebnisse auf dem Tisch liegen und sich Dinge bewegen, ist groß.

Zusätzlich   das ist der Unterschied zu den Ereignissen im Jahr 2011   haben wir es seit dem Jahr 2018 neben Starkregenereignissen auch mit extremen Dürreperioden zu tun. Der Ausschuss hat bereits 2011 erkannt, dass es im Land Sachsen-Anhalt infolge der Klimakrise einerseits zu einem Überangebot an Grundwasser kommen wird und andererseits Regionen im Land von einer Verknappung betroffen sein werden. Als mögliche Szenarien wurde damals lediglich zwischen Hoch- und Niedrigwasserständen und deren Folgen unterschieden. Extremereignisse, wie die Dürre im Zeitraum 2018 bis Sommer 2021, die uns schmerzhaft haben spüren lassen, was die Zunahme von extremen Hitze- und Trockenperioden bedeutet, hatte damals noch niemand auf dem Schirm.

Meine Damen und Herren! Die Situation, die sich derzeit darstellt, kennen wir alle. Der Sommer 2018 war der zweitheißeste und zweittrockenste Sommer seit dem Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881. In Sachsen-Anhalt zeigten sich Hitze, Dürre und Sonnenscheinreichtum bundesweit am deutlichsten. Der heißeste Ort Deutschlands war Bernburg mit 39,5 °C. Die Durchschnittstemperatur lag bei 20,2 °C. Die durchschnittliche Niederschlagsmenge betrug etwa 65 l pro Quadratmeter.

Ähnlich wie schon im Jahr 2018 zeichnete sich auch der Sommer 2019 durch anhaltende Trocken- und Wärmephasen aus. Aufgrund der wiederholt unter dem Durchschnitt liegenden Niederschlagsmengen verschärfte sich auch während des Frühlings 2020 die Bodentrockenheit in weiten Teilen des Landes hin zu einer extremen bis außergewöhnlichen Dürre. Auch im Jahr 2021 waren die Auswirkungen der Trockenperiode noch zu verzeichnen. Als Folge davon verhängte der Landkreis Anhalt-Bitterfeld ein Verbot der Wasserentnahme aus Flüssen und Seen.

Wir alle kennen die Bilder aus dem Harz. Wir kennen die Bilder aus den Auenwäldern entlang der Elbe. Oft braucht man gar nicht so weit in die Ferne zu schweifen - jeder und jede von uns sieht und spürt die Auswirkungen der letzten Dürrejahre direkt vor der Haustür. Alte Bäume, die noch eine lange Lebensdauer gehabt hätten, sterben ab und müssen gefällt werden. Dies betrifft unsere Wälder, Auen, Parkanlagen und Friedhöfe. Die Schwächung durch Trockenheit im Boden und das Auftreten von Stürmen sind eine brutale Kombination. Sowohl finanziell als auch personell ist es ein Kraftakt, das entstandene Defizit an Bäumen auszugleichen. Dabei sind sie so wichtig im Kampf gegen den Klimawandel.

Wir haben es heute schon gehört: Überall im Land gibt es zahlreiche Initiativen. Ich weiß, es gibt einige Personen unter uns, die regelmäßig an Pflanzungen teilnehmen oder gar selbst organisieren. Ich danke ausdrücklich denjenigen, die diese Initiativen unterstützen. Ich danke den Menschen vor Ort, die harte Arbeit leisten.

(Zustimmung)

Aber auch auf unsere Gewässer hat die anhaltende Dürre Auswirkungen. Kleine Fließgewässer führen teilweise kein Wasser mehr, Moore und Feuchtgebiete trocknen aus, viele Dorf- und Angelteiche verzeichnen niedrige Wasserstände. Der Sauerstoff wird knapp, Fische und Amphibien verenden, zahlreiche Pflanzen verlieren ihren Lebensraum. Die Artenvielfalt nimmt deutlich ab.

Auch die Landwirtschaft ist in besonderem Maße von der Dürre betroffen. Ernteausfälle sind auf der Tagesordnung. Die Bewässerung der Flächen ist aufwendig und teuer. Drei aufeinanderfolgende Dürrejahre sind kaum zu kompensieren und gehen an die Substanz unserer Landwirtinnen und Landwirte.

Die Trinkwasserversorger reagieren zunehmend nervös auf die derzeitige Situation. Im November 2021 hat der Wasserverbandstag deutlich gemacht, wo die Herausforderungen liegen. Er hat gefordert, den Vorrang der Trinkwasserversorgung im Wassergesetz zu verankern.

Meine Damen und Herren! In vielen Gebieten des Landes hat es seit Herbst 2021 im Vergleich überdurchschnittlich hohe Niederschlagsmengen gegeben. Das ist jedoch kein Grund, aufzuatmen und sich zurückzulehnen. Trotzdem höre ich bereits erste Stimmen, dass jetzt ja alles gut werden wird. Ich erinnere mich noch gut an die Rede des Kollegen Schumann hier im Landtag, der 2019 das Ende der Dürre vorausgesagt hat.

(Zustimmung)

Ich kann nur vor solchen Spekulationen warnen. Denn die Tendenz geht in die andere Richtung.

Dr. Andreas Marx, Koordinator des Dürremonitors Deutschlands und Leiter des Mitteldeutschen Klimabüros am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, erläuterte Anfang des Jahres in einem Interview mit dem „MDR“, dass sich die Grundwasserspeicher in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nur langsam wieder füllten. Vor allem die oberflächennahen Grundwasserkörper hätten sich zuletzt zwar gut erholt, die tiefer liegenden Grundwasserspeicher erholten sich jedoch nur zeitverzögert. Erst in mehreren Monaten oder gar Jahren könnte eine Erholung zu verzeichnen sein. Es komme jetzt darauf, dass es in den nächsten Monaten weiter regnete. Zukünftig, so Marx weiter, sei es wichtig, Wege und Möglichkeiten zu finden, das zusätzliche Wasser aus dem Winter auch im Sommer nutzbar zu machen, da wir künftig in heißen Sommern mehr Wasser verbrauchen würden.

Genau an diesem Punkt setzt unser Antrag an, der auf den ersten Blick recht schlank erscheint. Aus unserer Sicht ist aber diese kleine Änderung in § 52 des Wassergesetzes für das Land Sachsen-Anhalt der Schlüssel für weitere notwendige Maßnahmen, um Wasser in der Fläche zu halten. Sie ist auch der Schlüssel für weitere notwendige Änderungen im Wassergesetz.

(Zustimmung)

So einfach die Änderung klingt, so herausfordernd wird diese in der Umsetzung sein. Wir alle kennen die immensen Aufgaben aus dem Programm „Mehr Raum für unsere Flüsse“. Bereits der Untertitel „Aufgabe für Generationen“ auf dem Cover der zu dem Programm veröffentlichten Broschüre zeigt, über welche langen Zeiträume sich solche Projekte hinziehen. Sind diese Projekte vordergründig dem Schutz vor zukünftigen Hochwassern gewidmet, so sind sie doch auch ein wesentlicher Bestandteil einer Strategie, um Altarme wieder an das Fließgewässer anzubinden, Wasser in die Auen zu transportieren, Flächen wieder zu vernässen und damit auch dazu beizutragen, Wasser in der Fläche zu halten.

Neben den Fließgewässern erster Ordnung ist der Blick auf die Gewässer zweiter Ordnung mindestens genauso wichtig. Prof. Dr. Volker Lüderitz vom Institut für Wasserwirtschaft und Ökotechnologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal hat die Ergebnisse von knapp drei Jahrzehnten Forschung auf dem Gebiet der Gewässer- und Renaturierungsökologie in Sachsen-Anhalt im Rahmen von zumeist langfristig angelegten Untersuchungsprojekten zusammengefasst. Er kommt zu dem Schluss, dass durchgreifende Maßnahmen auf der Grundlage einer neuen Gewässerbewirtschaftungsstrategie notwendig sind und wir heute eine nachhaltige Stärkung des natürlichen Wasserrückhalts in der Fläche brauchen, um die Auswirkung der Klimakrise   in diesem Falle auch die Auswirkungen auf die Gewässer und den Wasserhaushalt   in den Griff zu bekommen.

(Zustimmung)

Ich habe es bereits erwähnt: Der erste Schritt dazu ist die Änderung in § 52 des Wassergesetzes für das Land Sachsen-Anhalt. Ziel muss es sein, neben dem ordnungsgemäßen Wasserabfluss auch die Wasserrückhaltung zu sichern.

(Zustimmung)

Auf der Grundlage dieser Änderung ist die Aufgabenstellung an die Gewässerunterhaltungsverbände neu zu formulieren. Gegebenenfalls ist auch deren Struktur anzupassen. Die Ergebnisse des von Prof. Dr. Lüderitz bearbeiteten und vom Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft und Energie in Auftrag gegebenen Projektes „Klimsa“ zeigen klar, worin diese Aufgaben liegen. In seinem Fazit beschreibt er bisherige Maßnahmen zur Gewässerrevitalisierung als zu wenig, zu technisch und zu indifferent. Infolgedessen sind der Gewässerzustand und der Zustand des Grundwasserkörpers nicht nur hinsichtlich der Qualität, also hinsichtlich eines guten chemischen Zustandes bedroht, sondern auch hinsichtlich der Menge.

Meine Damen und Herren! Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass wir dicke Bretter bohren müssen. Es gibt immer mehr und immer lautere Forderungen nach mehr Wasserrückhalt und Wasserspeicherung. Wir brauchen Projekte zur Renaturierung mit ganzheitlichem Ansatz. Das bedeutet, wir brauchen Projekte mit punktuellen, linearen, vertikalen und flächigen Maßnahmen, um den natürlichen Wasserrückhalt in der Fläche nachhaltig zu stärken.

(Zustimmung)

Die Sohlen der Fließgewässer müssen wieder ihrem Naturprofil angepasst werden. Quer- und Längsprofile müssen renaturiert werden. Dies würde dazu führen, dass wir die Wasserverluste aus der Landschaft minimieren und gleichzeitig die Ökologie der Gewässer verbessern würden. Die Maßnahmen wären eine Voraussetzung, um auch Feuchtgebiete und Moore zu revitalisieren. Gerade das ist von enormer Bedeutung; denn Moore und Feuchtgebiete sind unerlässliche Kohlenstoffspeicher. Trocknen sie aus, setzen sie vermehrt CO2 frei. Dies gilt es zu verhindern.

(Zustimmung)

Meine Damen und Herren! Wenn wir es ernst meinen   so wie die Kollegen damals 2011 mit der Einsetzung des zeitweiligen Ausschusses  , dann müssen wir jetzt damit beginnen, die ersten Schritte zu unternehmen. Vielleicht ergibt es sogar Sinn, auch für diese Aufgabe einen zeitweiligen Ausschuss zu gründen. Wenn wir diese weitreichenden Veränderungen wollen, dann ist eben dieser Paradigmenwechsel notwendig, wie er im Koalitionsvertrag von CDU, SPD und FDP formuliert wurde. Man muss diese Formulierungen in der Konsequenz aber auch untersetzen und die Dinge anpacken. Denn ein Paradigmenwechsel bedeutet, die bisherigen Handlungsweisen infrage zu stellen und komplett neue Wege zu gehen.

Meine Damen und Herren! Ich bin und wir als Fraktion sind davon überzeugt, dass das als Antwort notwendig ist, um auf die vorangegangenen Dürrejahre und die Herausforderungen, die die Klimakrise mit sich bringt, zu reagieren. Es reicht nicht aus, hier und da etwas Kosmetik zu betreiben. Es reichen keine wohlgemeinten Appelle und dekorativen Maßnahmen. Wir brauchen eine andere Sichtweise auf die Dinge. Nötig sind neue Prioritäten und damit eine neue Wirtschaftsweise. Haben wir den Mut und fordern wir, wie die Kolleginnen und Kollegen 2011, 30 Millionen €, um diese Aufgabe anpacken zu können. Beginnen wir mit dem Moderationsprozess, um die verschiedenen Akteure und die Menschen vor Ort mitzunehmen. Beginnen wir jetzt, in unserer ausgeräumten Kulturlandschaft die Natur wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Denn die Zeit drängt.

(Zustimmung)

Ich denke, wir können auch auf die Unterstützung von der Bundesebene zählen. Die Bundesumweltministerin Steffi Lemke selbst hat gefordert, das Zeitalter der Renaturierungen einzuleiten. Sie hat dafür die Bereitstellung erheblicher Gelder aus dem Bundeshaushalt anvisiert. Gerade deswegen ist es so wichtig, dass wir hier im Land gut aufgestellt sind und die notwendigen Grundlagen im Wassergesetz schaffen, dieses modernisieren sowie an die Herausforderung dieser Zeit anpassen. Unser Antrag zielt darauf ab, diese Grundlagen zu schaffen. Ich bitte um Ihre Zustimmung. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung)