Siegfried Borgwardt (CDU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Einiges hat man vermutet. Wenn man als Letzter redet, hat man den Vorteil, dass man das Bild, das sich hier zeichnet, noch einmal schön kommentieren kann. Es war mir klar, dass es von der einen Seite Relativierungen gibt. Aber dass die GRÜNEN hier sehr schnell Aufgaben verteilen - Sie können sicher sein, Herr Striegel: Der Ministerpräsident und das gesamte Kabinett werden die nötigen Maßnahmen, die wir unsererseits für angemessen halten und die verhältnismäßig sind, auch ohne Ihre Aufforderung ergreifen.

(Beifall)

Da sind wir sehr sicher.

Man muss sich einmal vorstellen: Vor einigen Monaten - man kann sagen, vor vielleicht drei, vier, sechs, sieben oder acht Monaten - waren die Worte zu hören: Stellt mal lieber bei der Bundeswehr die Hilfe im Rahmen der Pandemie ein und schnürt denen ein Marschgepäck, damit sie dann bereit sind. - Das sind auch interessante Worte, Herr Striegel. Ich hätte nie gedacht, dass ich die von Ihnen einmal höre.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Russland hat nach Medienberichten etwa 150 000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen und, wie wir heute wissen, auch bereits in Marsch gesetzt. Die US-Regierung hat am Dienstag die Verlegung von zusätzlichen Soldaten sowie von Ausrüstung nach Osteuropa angekündigt.

In der Nacht zum Donnerstag hat nun der russische Präsident Wladimir Putin den Militäreinsatz befohlen. Nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Interfax hat Russland Raketenangriffe auf militärische Ziele in der ganzen Ukraine begonnen. Der ukrainische Präsident Selenskyj hat den Kriegszustand ausgerufen und die diplomatischen Beziehungen zu Russland abgebrochen. Zudem hat er alle Ukrainer aufgerufen, ihren Beitrag zur Verteidigung des Landes zu leisten. Selenskyj vergleicht den russischen Angriff mit dem Angriff des faschistischen Deutschlands auf die Ukraine im Zweiten Weltkrieg.

Ich hätte nicht gedacht, dass man angesichts des unendlichen Leides diese Verbindung findet, und das noch auf ehemaligem sowjetischem Gebiet. Auch das ist bemerkenswert, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Die Lage ist schockierend. Nicht nur ich, sondern auch meine gesamte Fraktion und, wie ich glaube, auch die Mehrheit in diesem Hause sind persönlich fassungslos angesichts der Ereignisse. Auch wenn Regionalparlamente wie der Landtag von Sachsen-Anhalt bei derartigen weltpolitischen Krisen - meine Vorredner gingen darauf ein - keinen unmittelbaren Handlungsspielraum haben, sind wir dennoch nicht sprachlos. Deshalb finde ich es richtig und wichtig, dass wir heute in diesem Hause über diesen Konflikt debattieren. Ich bin unserem Ministerpräsidenten ausdrücklich - auch darauf gingen meine Vorredner ein - dankbar, dass er unseren Hinweis in der letzten Kabinettssitzung sofort aufgegriffen hat und eine Regierungserklärung zu diesem Thema heute früh im Plenum abgegeben hat.

Ich bin auch den Fraktionen der SPD, der FDP, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE sehr dankbar, dass wir einen gemeinsamen Antrag hinbekommen haben, mit dem der Landtag seine Solidarität mit der Ukraine erklärt und den Völkerrechtsbruch durch Russland engagiert verurteilt.

Meine Damen und Herren! Seit Wochen eskaliert der Konflikt mit Russland. Am Montag eskalierte er erstmals, als Russlands Präsident Wladimir Putin die Unabhängigkeit der Separatistenregionen Donezk und Luhansk anerkannte und umgehend Truppen entsandte. Das Parlament in Moskau als willfähriger Gehilfe ratifizierte die Anerkennung am Dienstag einstimmig - ein klarer Verstoß gegen das Minsker Abkommen. Alle bereits im Vorfeld aufgestellten Vermutungen wurden damit bestätigt. Russland und Putin wollen mit allen Mitteln verhindern, dass sich die Ukraine der Europäischen Union annähert. Es gibt bereits seit Langem die Vorwürfe, dass Putin ein neues Imperium wie zu Sowjet- und Zarenzeiten schaffen will. Im Jahr 2005 hat er den Zerfall der Sowjetunion als größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet.

In seiner TV-Ansprache hat Putin mit einer derartigen Verachtung über die Ukraine gesprochen, dass viele Experten bereits vermuten, dass Russland weiter die Stabilität des Landes mit allen Mitteln untergraben und vielleicht sogar versuchen wird, sich auch das Zentrum und den Westen des Landes wieder vollends einzuverleiben.

Die jetzigen Taten lassen dieses Szenario immer wahrscheinlicher werden, meine Damen und Herren. Putins Rede wird auch als unmissverständliche Warnung an die anderen Sowjetrepubliken verstanden, die im Jahr 1990 den Weg in die Unabhängigkeit gewählt haben. Nicht umsonst wertete der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk in Berlin die Rede Putins als Kriegserklärung. US-Präsident Joe Biden war sich relativ früh sicher, dass Russland bereit ist, deutlich weiter zu gehen, und einen massiven Militärschlag gegen die Ukraine starten wird. Er sprach von dem Beginn einer Invasion.

Die Leidtragenden sind schon jetzt die Menschen in dem Kriegsgebiet und in Russland. Nach UN-Schätzungen gab es in den ersten acht Jahren während des Konflikts zwischen der Ukraine und den Separatisten bereits 14 000 Tote. Laut Innenministerium in Kiew sind infolge russischer Luftangriffe bereits weitere Menschen - auch darauf hingen meine Vorredner ein - getötet worden.

Es muss unser oberstes Ziel sein, dass keine Toten mehr hinzukommen. Mit unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung, die EU und die UN auf, alles zu tun, um diesen Krieg zu stoppen und einen folgenschweren Flächenbrand in Europa zu verhindern. Der Frieden in Europa muss wiederhergestellt werden.

Das Vorgehen des russischen Präsidenten ist ein klarer Bruch des Völkerrechts. Weder die NATO noch die Ukraine haben Russland in irgendeiner Weise bedroht. Der Aggressor in diesem Konflikt heißt eindeutig Putin. Deshalb bin ich unserem Ministerpräsidenten auch dankbar dafür, dass er deutliche Worte gefunden hat. Es muss unmissverständlich klar sein, dass ein solches Handeln Konsequenzen hat.

Weder die Bundesregierung noch die Europäische Union hatten eine andere Wahl, als Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Vor diesem Hintergrund ist dies eine richtige und notwendige Entscheidung. Das sage ich, obwohl auch wir und meine Fraktion mit großer Mehrheit in diesem Landtag die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 beschlossen haben. Das ist allerdings bereits einen Monat her. Die Entscheidungen sollen immer mit Blick auf die aktuelle Situation getroffen werden. Dazu stehen wir. Deswegen begrüßen wir auch jetzt ausdrücklich die beschlossene Aussetzung.

Neben der Europäischen Union hat auch Großbritannien Sanktionen gegen russische Geschäftsleute und Banken verhängt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! In unserem Koalitionsvertrag haben wir festgehalten, dass unsere Demokratie vom gegenseitigen Respekt, von der Unantastbarkeit der individuellen Menschenwürde und der Wertschätzung gesellschaftlicher Vielfalt lebt. Die Ukraine ist ein souveränes Land, das selbst über seine Zukunft entscheidet. Dieses kann nicht einfach der Kreml per se übernehmen.

(Beifall)

Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation haben mich und meine Fraktion insbesondere die Aussagen der Politikerin Sahra Wagenknecht fast sprachlos gemacht. Sie hat in den letzten Wochen immer wieder betont, man müsse auch die russischen Sicherheitsinteressen berücksichtigen. Noch am Montag machte sie in einem NDR-Interview deutlich, dass es Putin und Russland nicht darum gehe, in die Ukraine einzumarschieren - schon gar nicht um kriegerische Handlungen  , sondern darum, dass Russland nicht einfach weiter hinnehmen wolle, dass sich die NATO immer weiter ausbreite. - Diese Aussagen haben mich und meine Fraktion tatsächlich zum Kopfschütteln gebracht. Ich bin dankbar - das sage ich in diesem Zusammenhang auch -, dass sie diese Aussage gestern relativiert hat.

(Zuruf: Wie viele andere Politiker auch! - Das ist so!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für diesen Konflikt braucht es eine starke NATO, die gemeinsam mit einer selbstbewussten Europäischen Union agiert. Derzeit können wir nur hoffen, dass trotz allem eine Lösung auf diplomatischem Weg gefunden werden kann. Momentan ist Krieg in Europa.

Abschließend möchte ich den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz zitieren: Es ist nicht nur ein Krieg gegen die Ukraine, meine Damen und Herren, sondern es ist ein Krieg gegen die Demokratie, ein Krieg gegen uns und ein Krieg gegen unsere Freiheit. - Herzlichen Dank.

(Beifall)


Präsident Dr. Gunnar Schellenberger:

Herr Borgwardt, der Kollege Lieschke hat eine Frage.


Matthias Lieschke (AfD):

Herr Borgwardt, Sie haben Nord Stream erwähnt. Vorhin wurde schon gesagt, dass wir von dem russischen Gas stark abhängig sind. Wir wissen, dass Agrofert in Wittenberg mehr als die Hälfte des Gases Sachsen-Anhalts verbraucht, um ihre Produkte herzustellen. Sie sagten, es ist richtig, Nord Stream zu stoppen.

Wir alle sind von den Bürgern Sachsen-Anhalts gewählt und haben die Interessen unserer Bürger zu vertreten. Sanktionen sollen eigentlich in die Richtung wirken, dass man politisch etwas fordert, und wenn man es nicht bekommt, kann man sagen, man verhängt Sanktionen, um damit etwas zu erreichen. Aber Sanktionen sollen letztendlich den politischen Gegner treffen und nicht uns selbst.

Sind Sie nicht auch der Meinung, dass wir, wenn wir uns dafür aussprechen, Nord Stream zu stoppen, dafür sorgen, dass unsere Bevölkerung mehr Schaden hat, oder sehen Sie den Schaden tatsächlich auf der russischen Seite? Ich sehe, dass wir dann steigende Preise bekommen und dass die Bevölkerung deshalb mehr bezahlen muss. In meinen Augen sind das Folgen, die Sachsen-Anhalt betreffen und weniger die Russische Föderation. Wie stehen Sie dazu?

(Zuruf)


Siegfried Borgwardt (CDU):

Noch einmal - Sie haben wahrscheinlich nicht genau zugehört  : Ich habe gesagt, dass wir - auch meine Fraktion - nachhaltig für die Inbetriebnahme waren.

(Zuruf)

- Natürlich. Das haben wir in dem Beschluss auch bekräftigt. Dafür bin ich der Koalition ausdrücklich dankbar. Jeder weiß doch, dass wir hier eine andere politische Konstellation haben als z. B. im Bund oder woanders. Daher ist es sehr bemerkenswert - das will ich deutlich sagen  , dass Koalitionspartner, die mit uns in Sachsen-Anhalt regieren und die in Berlin regieren, gleichwohl, obwohl es dazu andere eigene Aussagen gibt, einen solchen Beschluss hinbekommen. Dass ich dafür ausdrücklich dankbar bin, will ich einmal voranstellen.

Gleichwohl war uns aber klar, dass daran Bedingungen geknüpft sind; das ist doch völlig klar. Genau darauf wollen wir hinaus. Sie haben vielleicht gehört, dass ich nicht „beenden“ oder „stoppen“, sondern dass ich „aussetzen“ gesagt habe - „aussetzen“! Der Kollege Büttner hat offensichtlich genau zugehört; denn er hat genickt.

Insofern ist es völlig klar, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt davon Abstand nehmen - das ist Teil der Sanktionen  , dass wir aber natürlich auch überlegen - das machen die Partner, das machen alle; die Bundesrepublik Deutschland ist ja nicht der einzige Partner -, wie wir weiter damit umgehen. Ich habe heute - ich glaube, es war in der „Volksstimme“ - gelesen, dass wir in den letzten zwei Tage so viel Windstrom gewonnen haben, dass wir ihn gar nicht ableiten können. - So viel dazu, Herr Striegel.

(Zurufe)

- Wo denn, Freunde?

Wir haben eine gemeinsame Verantwortung, auch in schwierigen geopolitischen Situationen für eine Grundlastfähigkeit zu sorgen. Dafür sind wir gewählt worden in Sachsen-Anhalt; und möglicherweise Sie nicht in die Regierungsverantwortung. - Herzlichen Dank.

(Beifall)