Petra Grimm-Benne (Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung):

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren Abgeordnete! Stromnetzstabilität und  qualität ist zweifellos ein wichtiges, wenn auch nicht neues Thema. Zum Jahreswechsel verbreitete sich zum Beispiel in unserem Nachbarland Frankreich die Sorge, ob die Stromversorgung in den kalten Monaten Januar und Februar gewährleistet bleibt, denn in Frankreich wird bekanntlich vielerorts mit Strom geheizt.

Ich möchte Ihnen auch den Grund für die Sorgen nennen. Von 56 Atomreaktoren in Frankreich mussten 15 wegen Störungen und Wartungen teils unplanmäßig abgeschaltet werden und konnten keinen Strom produzieren.

An diesem Beispiel zeigt sich, wie wichtig ein gemeinsames europäisches Stromnetz ist. Engpässe können durch Nachbarländer, auch Deutschland, bekanntermaßen ein Stromexporteur in Europa, ausgeglichen und Blackouts vermieden werden.

Die Frage der Stromnetzstabilität ist zweifellos auch bei dem bevorstehenden Kohle- und Kernkraftausstieg sowie bei dem weiter voranschreitenden Ausbau erneuerbarer Energien die relevante Größe.

Die gute Nachricht lautet an dieser Stelle: Die Versorgungssicherheit in Deutschland ist hervorragend, die Bundesnetzagentur ermittelt dazu seit 2006 den sogenannten SAIDI-Wert, der die durchschnittliche Stromausfalldauer für Unterbrechungen ab drei Minuten je Verbraucher und Jahr anzeigt. Dieser Wert lag 2020 mit lediglich 10,7 Minuten auf einem historischen Tiefstand. Trotz des Anstieges der Einspeisung erneuerbaren Energien in den letzten Jahren zeigt sich eine abnehmende Tendenz der Versorgungsunterbrechungen.

(Beifall)

Auch im europäischen Vergleich liegt Deutschland mit einer hohen Versorgungssicherheit in der Spitzengruppe. Dieses gilt auch gegenüber Staaten mit weitaus geringerem Anteil an einer erneuerbaren Energieerzeugung, etwa Frankreich mit einem hohen Atomstromanteil oder Polen mit hoher Kohlestromproduktion.

Es gibt daher keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen der Qualität der Versorgungssicherheit und der zunehmenden Erzeugung erneuerbarer Energie.

(Beifall)

Allerdings ist es richtig, dass sich durch die zunehmende Dezentralität des Stromsystems in den letzten zehn Jahren die Anzahl der notwendigen Steuerungseingriffe in die Netze und die dadurch entstehenden Kosten erhöht haben. Hierbei ist jedoch bei weiterem Netzausbau sowie technischem Fortschritt nicht zu vermuten, dass dieses exponentiell fortschreiten wird.

Für Ostdeutschland belegen das auch Zahlen und Prognosen des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz für sein Netzgebiet. 62 % des Jahresstrombedarfs wurden im Jahr 2020 durch Sonne, Wind und Biomasse gedeckt. Das ist ein neuer Rekord bei der Einspeisung von Grünstrom im Osten Deutschlands.

Die installierte Leistung erneuerbarer Energien stieg von rund 34 G im Jahr 2019 auf ca. 36 GW im Jahr 2020 an. Zugleich musste immer seltener in die Fahrweise von Erzeugungsanlagen eingegriffen werden. Bei diesem sogenannten Engpassmanagement, also dem Einspeisemanagement von erneuerbaren Energieanlagen und dem Redispatch mit konventionellen Kraftwerken, konnte 50 Hertz die Mengen von 2,5 TWh im Jahr 2019 auf nur noch 1,5 TWh im Jahr 2020 senken. Die Kosten für diese Maßnahmen fielen von 84 Millionen € im Jahre 2019 auf 33 Millionen € im Jahr 2020. Im Jahr 2015 hatten diese Kosten noch mehr als 350 Millionen € betragen.

Die Antragsbegründung beschwört die Gefahr eines großflächigen und länger andauernden Blackouts herbei. Diese Gefahr besteht im Grunde immer. Das kann man nicht schönreden. Wir denken insoweit an den Winter 2006 im Münsterland oder die Katastrophe im Ahrtal im Sommer 2021. Beide Fälle hatten bekanntlich witterungsbedingte Ursachen.

Beispielhaft ist hier ein gravierendes Ereignis am 8. Januar2021 zu nennen, bei dem es durch einen Vorfall an einer sogenannten Sammelschienenkupplung in einem Umspannwerk, also einem Teil der Stromnetzinfrastruktur, auf dem Balkan zu bedrohlichen Frequenzschwankungen auch in Nordwesteuropa gekommen ist. Durch planmäßige Maßnahmen der europäischen Übertragungsnetzbetreiber konnte die Frequenzabweichung im zulässigen Rahmen gehalten und eben ein Blackout vermieden werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich möchte aber ausdrücklich betonen, auch bei diesem Vorfall handelt es sich um ein Extremereignis. Der Vorfall vom Januar 2021 unterstreicht einmal mehr, wie wichtig das europäische Verbundstromnetz für die Netzstabilität in Europa ist. Regionale Insellösungen können diese Qualität nicht leisten.

(Zustimmung)

Deshalb halten wir einmal fest: Unbestritten ist, dass wir einen Zubau von grundlastfähigen und auf Wasserstoff umrüstbaren Gaskraftwerken brauchen. Ich habe das hier auch in der Debatte über den Atomausstieg bereits betont. Die Turbinen und Generatoren dieser Kraftwerke können und müssen ebenfalls die erforderlichen Systemdienstleistungen nach der Abschaltung der Atom- und der Kohlekraftwerke erbringen.

Auch große Batteriespeicher an strategischen Netzknotenpunkten, sogenannte Netzbooster, können zur besseren Netzauslastung und zur Spannungserhaltung beitragen. Dieses Konzept ist relativ neu. Der aktuelle Netzentwicklungsplan sieht aber bereits entsprechende Pilotanlagen vor.

Auch erneuerbare Energieanlagen werden zunehmend für Systemdienstleistungen herangezogen. So haben Windkraftanlagen bereits jetzt nach der Verordnung für Systemleistungen durch Windenergieanlagen entsprechende Anforderungen zu erfüllen, um zur Frequenz- und Netzstützung beizutragen.

Essenziell ist neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien der beschleunigte Fortschritt des Netzausbaus. Der Koalitionsvertrag des Bundes sieht dazu vor, beim Ausbau der Stromnetze als Rückgrat des Energiesystems an Tempo zuzulegen. Dies ist zu unterstützen, damit der Netzausbau kein Hemmnis bei der Umsetzung der Klimaschutzziele wird.

Im Koalitionsvertrag des Bundes ist die Erstellung einer Roadmap Systemstabilität für 2023 vorgesehen, die die hier aufgeworfenen Fragen in den Blick nehmen wird. Ich unterstütze dieses Vorhaben ganz ausdrücklich.

Am Thema Systemstabilität arbeiten neben den Netzbetreibern auch die Betreiber von Erneuerbare-Energien-Anlagen und deren wissenschaftliche Fachverbände, ebenso Forscherinnen und Forscher in Hochschulen, Universitäten und außeruniversitären Instituten. Hier in Sachsen-Anhalt kann ich dabei unter anderem auf die Universität Magdeburg mit ihrem digitalen Abbild der Netzleitwarte verweise, welches erlaubt, selbst heute noch nicht real aufgetretene Extremszenarien eines künftigen Energiesystems nachzubilden oder aber das Fraunhofer IFF mit seinen Arbeiten zur Einbindung erneuerbarer Energien ins Stromnetz.

Meine Damen und Herren Abgeordnete! Nach alledem sollte deutlich sein, dass das heutige vielfach dezentrale und europäisch vernetzte Energiesystem mit den Rahmenbedingungen der Stromerzeugung und -verteilung des letzten Jahrhunderts nicht mehr zu vergleichen ist. Es bestehen neue technische Herausforderungen und glücklicherweise auch Lösungswege. Die Akteure der Energiewirtschaft und auch die Politik müssen und werden sich im Interesse des Standortes Deutschland, aber auch vor dem Hintergrund des voranschreitenden Klimawandels diesen Herausforderungen stellen. Meine Ausführungen belegen zugleich: Es gibt überhaupt keinen Grund für Alarmismus bei diesem Thema. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Grimm-Benne, vielen Dank. - Es gibt eine Frage von Herrn Roi. Dann hat Herr Scharfenort eine Zwischenintervention angekündigt, und Herr Lizureck hat auch noch eine Frage. Wir haben uns eigentlich auf zwei Fragen je Redner pro Debatte verständigt. Aber wenn Sie sie kurz halten, dann machen wir es zu dritt. - Bitte.


Daniel Roi (AfD):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich habe nur eine kurze Frage. Sie haben jetzt die Rolle der Gaskraftwerke im Zusammenhang mit der Stromnetzstabilität angesprochen. Das ist ja auch richtig. Wir haben heute in der Debatte gehört, dass Herr Striegel hier behauptet hat, die Russen hätten ihre Gaslieferungen gedrosselt, und stellt in den Raum, dass die Verträge nicht eingehalten werden.

Ich frage Sie als Vertreterin der Landesregierung deshalb, ob diese Behauptung stimme, ob Sie Erkenntnisse dazu haben oder wie Ihre Stellungnahme dazu aussieht. - Danke.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Grimm-Benne.


Petra Grimm-Benne (Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung):

Frau Präsidentin! Ich habe mich mit dem krankheitsbedingt abwesenden Armin Willingmann darauf verständigt, dass aus seinem Haus extra der Referatsleiter Herr Dr. W. teilnimmt und dass Ihnen auf Nachfrage umgehend schriftlich geantwortet wird.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Roi, damit wäre das die Antwort. - Herr Lizureck.

(Zuruf)

- Nein, Herr Scharfenort hat die Zwischenintervention. Dann kommt Herr Lizureck mit der Frage.


Jan Scharfenort (AfD):

Korrekt.

(Lachen)

Frau Ministerin, wissen Sie, was mich so besorgt, ist, dass Sie einfach dieses Problem herunterspielen. Wenn man sich auch die Regierungsfraktionen anschaut, ob das jetzt im Bund ist, aber auch hier im Land - wir steigen auf der einen Seite planmäßig aus Kohle und Atomkraft aus. Das ist fixiert, das wird durchgezogen, egal welche Folgen das hat.

Gleichzeitig steigen wir aber nicht richtig ein. Es fehlen   diesbezüglich können Sie die Studien der Regierung, die in Auftrag gegeben worden sind, hinzuziehen   konkrete operative Pläne, wie denn nun 100 TWh, also 100 Milliarden kWh, zu kompensieren sind. Sie sagen, das soll uns nicht beunruhigen. Das, was Sie hier sagen, ist verantwortungslos.

(Zustimmung)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Scharfenort, es war eine kurze und knappe Zwischenintervention verabredet. - Jetzt hat Herr Lizureck eine Frage.


Frank Otto Lizureck (AfD)

Ich möchte mich dafür bedanken, dass Sie die Frage zulassen. - Sie haben in Ihrer Rede angesprochen, dass es Energiespeicher gibt. Ich wüsste gern von Ihnen, wo die stehen und welche Leistung sie haben.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Ministerin, wenn Sie nicht antworten können, dann wenden wir das gleiche Verfahren an, das Sie eben skizziert haben.


Petra Grimm-Benne (Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung):

Das hätte ich genauso gesagt; denn ich halte diese Rede in Vertretung und die Kenntnisse sind in dem zuständigen Ministerium. Diesbezüglich sichere ich Ihnen auch im Namen von Armin Willingmann zu, dass Sie alsbald schriftlich eine Antwort erhalten.


Frank Otto Lizureck (AfD):

Vielen Dank.