Henriette Quade (DIE LINKE):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Herr Schulenburg, dass wir unterschiedliche Positionen vertreten und vertreten werden, ist völlig in Ordnung und das ist nicht überraschend. Das ist Demokratie.

Aber, Herr Schulenburg, mit Verweis auf Integrationsprobleme, die es hier geben könnte und die es hier gibt, ernsthaft zu sagen, deswegen interessiert es uns nicht,

(Zuruf)

dass die Leute an der polnischen Grenze in Elend leben, dass sie vom Tod bedroht sind, dass sie hungern, dass Menschen in der EU durch die bewusste Herbeiführung eines Mitgliedstaates der EU und unter Duldung der EU hungern, erfrieren und sterben, also weil es hier Integrationsprobleme gibt, müssen wir uns nicht dazu verhalten, ehe wir das zu unserem Problem machen - Herr Schulenburg, schämen Sie sich!

(Zustimmung)

Zu den inhaltlichen Dingen. Es ist doch unbenommen: Natürlich brauchen wir endlich eine solidarische und menschenrechtswahrende gemeinsame Asyl- und Flüchtlingspolitik in der EU. Natürlich brauchen wir gemeinsame Standards in Asylverfahren. Natürlich brauchen wir ein solidarisches, gerechtes und funktionierendes Aufnahmesystem in der EU statt Dublin. Aber solange wir das nicht haben, können wir als Bundesrepublik doch nicht immer nur darauf verweisen und nichts tun, um den Menschen zu helfen.

Solange Verletzungen des Unionsrechts keinerlei Konsequenz haben, sondern sogar noch unterstützt werden, solange ist auf etwas zu verweisen, was es nicht gibt, vor allem eines: unehrlich und im konkreten Fall den Tod von Menschen in Kauf nehmend. Wenn Sie sich einmal ehrlich machen, dann wissen Sie das auch.

Die Erpressung Lukaschenkos und das widerliche Instrumentalisieren von menschlichem Leid in Kriegs- und Krisenregionen sowie die Entmenschlichung der Schutzsuchenden als Waffe - das funktioniert nur, weil sie auch hier als Waffe verstanden werden.

Schutzsuchende machen sich weltweit nicht auf den Weg, weil Sachsen-Anhalt ein Aufnahmeprogramm auflegt, der Harz-IV-Satz um 5 € gestiegen ist oder Sachsen-Anhalt nicht mehr nach Polen abschiebt. Sie machen sich auf den Weg, weil sie keine Alternative für sich sehen.

(Zustimmung)

Wer weniger Menschen auf der Flucht will, weltweit, und wer Migrationsbewegungen kalkulierbar, planbar und steuerbar machen will und - Herr Kosmehl in dem Sinne habe ich Sie verstanden - auch legal möglich machen will, der muss Fluchtursachen bekämpfen und legale, sichere Fluchtwege schaffen.

(Zustimmung)

Im Fall von Polen wäre das ein humanitärer Korridor.

In Bezug auf Polen und die Lage dort: Herr Erben, Sie sagten, das mit dem Sperrgebiet ist schwierig. Es ist eben auch ein Problem, an Informationen zu kommen. - Das stimmt. Darin haben Sie absolut recht. Das war einer der Gründe, warum wir hingefahren sind. Wenn Sie meine Schilderung nicht überzeugt oder wenn Sie meinen, ich dramatisiere die Lage, dann will ich hier kurz ein Zitat aus den aktuellen Polen-Analysen, die vom Deutschen Poleninstitut der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen, der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, dem Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien sowie anderen herausgegeben werden, vortragen:

„Es war die polnische Regierung selbst, die sich mit ihrer Reaktion auf die zunächst vom belarussischen Machthaber Lukaschenko vermutlich mit Billigung oder gar Unterstützung des Kremls forcierte Situation an der EU-Außengrenze zum Co-Produzenten dieses menschenverachtenden Kesseltreibens ernannt hat. Nicht an einer Lösung des Konflikts war ihr gelegen, sondern daran, über einen möglichst langen Zeitraum ihre Popularitätswerte zu steigern, um von anderen innenpolitischen Kontroversen abzulenken und bei der Gelegenheit Mittel zur Einschränkung der Rechte auf freie Berichterstattung und zur Lenkung der öffentlichen Meinung zu testen.“

- So schreibt Gert Röhrborn in diesen aktuellen Polen-Analysen, zuletzt am 25. Januar dieses Jahres erschienen.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns also dieser Inszenierung nicht folgen. Lassen Sie uns klar machen, welche Werte wir in der EU vertreten. Lassen Sie uns in Sachsen-Anhalt und aus Sachsen-Anhalt heraus tun, was nötig und möglich ist, um Menschen nicht länger an der polnisch-belarussischen Grenze sterben zu lassen und um den gemeinsamen Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts, der die EU sein soll und als den ich mir in der EU wünsche, endlich Realität werden zu lassen. - Herzlichen Dank.

(Beifall)