Kathrin Tarricone (FDP):

Frau Präsidentin, ganz herzlichen Dank. - Liebe Damen und Herren Abgeordnete! Energiepreise und Versorgungssicherheit haben eine bedeutende wirtschafts- und sozialpolitische Dimension. Das sollten wir niemals vergessen. Eine Klimaschutzpolitik, die das unterschlägt, ist zum Scheitern verurteilt. Deshalb müssen wir möglichst alle Wirkungen des regulatorischen Handelns fest im Auge behalten.

Die Entwicklung der Energiepreise treibt nicht nur in Sachsen-Anhalt viele Menschen um. Und im Winter wird so eine Debatte verständlicherweise mit größerer Sorge geführt als in der wärmeren Jahreszeit.

Die Gaspreise im Großhandel sind seit dem Spätsommer zwar wieder deutlich zurückgegangen. Sie liegen jedoch weiterhin ein Mehrfaches über dem Durchschnitt der letzten Jahre. Im Dezember musste der marktgebietsverantwortliche Trading Hub Europe, der mittlerweile für ganz Deutschland zuständig ist, von der KfW unterstützt werden. Die notwendig gewordenen Sonderausschreibungen für Regelenergie hätten ansonsten nicht mehr finanziert werden können.

Die Erklärung für steigende Energiepreise ist eigentlich recht simpel. Sie sind ein Signal dafür, dass das Angebot mit der Nachfrage kaum mithalten kann, wie es im „World Energy Outlook 2021“ der Internationalen Energieagentur dazu heißt. Trotz steigender Investitionen in Erzeugung und Infrastruktur für erneuerbare Energien wird derzeit in keiner Weltregion ein Niveau erreicht, das die steigende Nachfrage bedienen kann. Gleichzeitig sind in Deutschland die Investitionen in die Öl- und Gasversorgung auf die Erwartung stagnierender oder gar sinkender Nachfrage ausgerichtet worden, während weltweit die Zahl der Autos mit Verbrennungsmotoren zunimmt und vielerorts Gaskraftwerke gebaut werden.

Die Energiepreisexplosion spielt sich derzeit noch vor allem am sogenannten Spotmarkt ab. Bei Strom und Wärme ist der Großteil der Verbraucher mit laufenden Verträgen noch nicht höher belastet. Mit deutlichen Erhöhungen müssen in diesen Tagen allerdings deutschlandweit 3,4 Millionen Haushalte bei der Grundversorgung mit Strom und 1,8 Millionen Haushalte bei der Grundversorgung mit Gas rechnen. Dazu gehören etwa diejenigen Kunden, die bei Stromdiscountern Verträge hatten, die - womöglich rechtswidrig; das hat Ministerin Frau Grimm-Benne auch schon erwähnt - gekündigt worden sind und die nun mit der Ersatzversorgung in die deutlich höheren Neukundentarife rutschen.

Auf der Bundesebene wird zurzeit darüber debattiert, den Grundversorgern unterschiedliche Neu- und Bestandskundentarife gänzlich zu verbieten. Nicht nur ich sehe das skeptisch, weil eine unerwartet hohe Anzahl an Neukunden gerade kleinere Stadtwerke schnell in Schieflage bringen kann. Ihre Beschaffungsstrategien können die Versorger nicht so einfach kurzfristig anpassen.

Die Anhörung im Ausschuss für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt hat allerdings auch eine sehr interessante Sache eröffnet. Und zwar hat dieses gut gemeinte faire Verbraucherschutzgesetz auch dazu geführt, dass die langfristig denkenden Stromanbieter, die sich eben absichern und ihre Risiken über die Jahre streuen, ihre langjährigen Bestandskunden jetzt loswerden. Die können also nicht mehr langfristig planen. Das macht denen natürlich auch die Einkaufspolitik schwer.

Trotz der aktuellen Probleme wäre es Unsinn, die Liberalisierung der Energiemärkte als gescheitert zu beurteilen. Das Gegenteil ist der Fall. Viele Jahre lang haben die Verbraucher vom Wettbewerb profitiert. In einem hoch regulierten Markt   das sind die Energiemärkte weiterhin   kann und muss die Regulierung aber regelmäßig überprüft und nötigenfalls angepasst werden. Die Kunden dürfen erwarten, dass sie zu jeder Zeit Strom und Wärme bekommen und das auch bezahlen können.

(Zuruf: Na ja!)

Das Vorhalten von Reserven sollte womöglich nicht allein den Grundversorgern zugemutet werden. Man könnte darüber nachdenken, dass alle Anbieter, etwa über Termingeschäfte, Absicherungen nachweisen müssen. Von den Gasspeicherbetreibern wird zudem schon eine Weile lang gefordert, die Reservekapazitäten frühzeitiger auszuschreiben.

Darüber hinaus äußerte sich zum Beispiel der Geschäftsführer der Berliner Erdgas Speicher GmbH & Co. KG kürzlich zum Thema Preisstabilität und Versorgungssicherheit wie folgt:

„Erdgasspeicher können am schnellsten auf Stresssituationen reagieren. Wenn es jedoch keine langfristigen Speicherbuchungen mehr gibt, fällt eine wesentliche Komponente der Versorgungssicherheit weg. Es müssen Regeln und Anreize für eine gerechte Kostenverteilung für die Versorgungssicherheit gefunden werden. Versorgungssicherheit entsteht, wenn alle Marktteilnehmer Verantwortung übernehmen.

Damit wir auf Marktentwicklungen schnell und flexibel reagieren können, brauchen wir kürzere Abschreibungsdauern für die Infrastruktur.“

So lassen sich zum Beispiel die Eigentümer und Betreiber von Energieinfrastrukturen zitieren. Über das Marktdesign lässt sich trefflich streiten. Entschieden wird darüber jedoch nicht in Sachsen-Anhalt.

Auf längere Sicht gibt es für die Industrienationen allerdings auch eine positive Aussicht, und zwar die folgende: Mit der Umstellung auf erneuerbare Energien können die Haushalte in den Industrienationen im Jahr 2030 sogar mit sinkenden Energiekosten rechnen. Die Voraussetzung dafür sind allerdings gewaltige Investitionen, die zudem zügig umgesetzt werden müssen, was uns in Deutschland bekanntlich nicht besonders gut gelingt.

Kurz- und mittelfristig werden sich aber steigende Beschaffungspreise auch bei den Verbraucherpreisen insgesamt niederschlagen. Deshalb ist es völlig richtig, dass auf der Bundesebene die Ampelkoalition aktiv geworden ist. Die schon zitierten 135 € für alleinlebende Wohngeldempfänger und die 35 € für jedes weitere Haushaltsmitglied wurden schon genannt. Darüber hinaus hat die Bundesbildungsministerin dafür gesorgt, dass das auch für die BAföG-Empfänger umgesetzt wird. Zurzeit wird darüber diskutiert, ob auch Azubis einbezogen werden können. Diese Maßnahmen werden helfen, bevor sich Tariferhöhungen in den Nebenkostenabrechnungen niederschlagen.

Die vollständige Abschaffung der EEG-Umlage ist von der Ampelkoalition für das Jahr 2023 vereinbart worden. Der Strompreis wird damit um etwa 10 % sinken. Womöglich gelingt es, diese Entlastung sogar noch auf den Herbst dieses Jahres vorzuziehen. Es ist auch vereinbart worden, die Stromsteuer auf das europarechtlich vorgeschriebene Minimum abzusenken. Darauf haben nicht nur wir Freie Demokraten im Programm für die Bundestagswahl aufmerksam gemacht und dies gefordert.

Mit diesen beiden Maßnahmen wird die Gesellschaft in ihrer gesamten Breite entlastet, also auch die Mittelschicht, die unter der Inflation besonders zu leiden hat, wie gerade erst wieder das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie festgestellt hat. Auch die mittelständische Wirtschaft wird entlastet.

Zudem wurde auf der Bundesebene eine Klimadividende vereinbart, deren nähere Ausgestaltung natürlich noch geklärt werden muss. Aber insbesondere diese wird den Haushalten mit geringem Einkommen zugutekommen.

Wir tun also     

(Beifall - Zurufe: Oh!)

- Ach so, das war jetzt nicht etwa für das, was ich gesagt habe, sondern - -

(Lachen)

- Ah, schön, sehr schön. Also, den Beifall hätte ich gern noch einmal am Ende meiner Rede, die gleich zu Ende ist.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Ihre Stimme bekommt jetzt eine ganz andere Färbung.


Kathrin Tarricone (FDP):

Ja, wunderbar.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Wunderbar.

(Zuruf: Aber mittelbar!)


Kathrin Tarricone (FDP):

Ein sehr schönes Gefühl.

(Zurufe)

Dann erwähne ich diesen Satz, den Sie ja nun deutlich besser hören, noch einmal. Wir tun also schon sehr viel dafür, dass eine Energiepreisexplosion unser Land nicht in Stücke reißt. Man muss aber klipp und klar sagen, die Dekarbonisierung der Energiewirtschaft ist zum Nulltarif nicht zu haben.

Wer zudem Anreize dafür setzen will, weniger Energie zu verbrauchen, kann dies nicht tun, indem Energie subventioniert wird. Die Alternative dazu wäre eine Rationierung. Das ist ein Weg, der sich in der Vergangenheit weder in wirtschaftlicher noch in sozialpolitischer Hinsicht als Erfolg versprechend herausgestellt hat.

(Zustimmung)

Wir sollten uns also weiterhin auf die Kräfte der Marktwirtschaft besinnen, die Innovationen seit jeher angetrieben haben. Anstatt auf weitere Regulierung setzen wir Freie Demokraten auf Marktanreize und eine Flexibilisierung am Energiemarkt.

Jetzt wäre die Gelegenheit, um um noch einmal Zustimmung zu erteilen. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Frau Tarricone, vielen Dank. Herr Gebhardt hat eine Nachfrage.


Stefan Gebhardt (DIE LINKE):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Kollegin, von mir haben jetzt keinen Applaus bekommen. Von mir kriegen Sie eine Nachfrage zu Ihrer Rede, weil Sie den Satz gesagt haben, Sie tun doch als Regierung schon einiges dafür, dass die Preise hier nicht so explodieren. Jetzt kommen wir beide aus der gleichen Region


Kathrin Tarricone (FDP):

Ja.


Stefan Gebhardt (DIE LINKE):

und haben bei uns im Wahlkreis das Beispiel Hettstedter Stadtwerke, bei dem der Versorger gar nichts dafür kann. Es ist ein solides kommunales Unternehmen, das jetzt aber aufgrund der bekannten und schon beschriebenen Entwicklung gezwungen ist, zum Teil eine Verdoppelung der Abschlagszahlungen vorzunehmen.

Also, wenn Leute künftig nicht mehr 200 €, sondern 400 € monatlich - monatlich! - bezahlen müssen, dann ist das schon das, was man als Explosion bezeichnen kann. Wie ordnen Sie denn Ihre Aussage ein, die lautete, wir tun doch schon einiges, um diese Explosion zu vermeiden, wenn sie gerade bei uns beiden vor der Haustür stattfindet?


Kathrin Tarricone (FDP):

Da sind wir natürlich bei einem wunderschönen Spagat zwischen dem, was bei uns vor der Haustür stattfindet, und den politischen Rahmenbedingungen, die wir hier im Land und auf der Bundesebene setzen können.

Das, was ich zitiert habe, sind die Rahmenbedingungen, die der Bund vereinbart und auf den Weg gebracht hat, sicherlich noch nicht umgesetzt hat. Da haben Sie mich jetzt insofern erwischt. Wir tun doch etwas. Natürlich ist das bei dem Verbraucher, bei uns vor Ort und bei vielen anderen vor Ort noch nicht wirklich auf der Stromrechnung angekommen. Aber wir müssen doch politische Weichenstellungen dafür vereinbaren, dass sich dieses Problem, das sich dort jetzt aufgeschaukelt hat, künftig erledigt hat.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Da kommt jetzt noch eine Nachfrage.


Stefan Gebhardt (DIE LINKE):

Vielen Dank. - Ich habe eine konkrete Nachfrage. Es gibt nun einen Antrag meiner Fraktion. Der liegt im Ausschuss und beinhaltet sehr konkrete Maßnahmen, die wir vorschlagen, unter anderem die der Steuersenkung für die Verbraucher. Nun rede ich mit einer Vertreterin einer selbst ernannten Steuersenkungspartei. Zumindest dieser Vorschlag müsste doch bei Ihnen auf offene Ohren stoßen. Können Sie sich denn für diesen Vorschlag der Fraktion DIE LINKE, den wir im Ausschuss liegen haben, erwärmen?


Kathrin Tarricone (FDP):

Dafür können wir uns erwärmen. Ich habe ja auch erwähnt, dass diese Stromsteuer auf das europarechtliche Mindestniveau abgesenkt werden soll. Über alles andere - das hat auch Frau Grimm-Benne ausgeführt - müssen wir in dieser aufgeheizten Situation natürlich neu nachdenken und neu diskutieren. Natürlich können wir uns dafür erwärmen. - Und wir sind nicht eine selbst ernannte Steuersenkungspartei, sondern eine Steuersenkungspartei.