Rüdiger Erben (SPD):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! An erster Stelle steht für uns   das habe ich bereits vor einigen Wochen bei einer vergleichbaren Debatte hier im Hohen Haus zu einem fast identischen Thema gesagt  , dass humanitäre Organisationen Zugang zu den Menschen haben, die im Grenzgebiet campieren. Der Zugang zu humanitärer Hilfe   Frau Ministerin hat bereits zu der Situation vorgetragen   ist mittlerweile, zumindest in Teilen, gewährt worden. Insofern betrachten wir die Dinge heute teilweise rückwirkend. Ich werde an der einen oder anderen Stelle darauf eingehen.

Außerdem   auch das habe ich damals gesagt   ist es wichtig, dass in diesem Zusammenhang auch die weiteren Prozesse, nämlich ein faires Asylverfahren und eine Registrierung, stattfinden und eine entsprechende Unterbringung organisiert wird. Das ist so im vollen Umfang nicht der Fall. Wir als Sozialdemokraten sind der Auffassung, dass wir das nur europäisch lösen können.

Sie haben vielleicht auch die Initiative der neuen Bundesinnenministerin zur Kenntnis genommen. Sie hat letztlich gesagt: Dann müssen es einzelne Staaten der Europäischen Union tun und eine aktive Rolle übernehmen. Deutschland hat seine Bereitschaft entsprechend erklärt.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass bereits sehr viele Menschen bzw. die meisten Menschen, die einen Belarus-Bezug aufweisen, in Deutschland aufgenommen worden sind. Deutschland hat sich der Hilfe eben nicht verweigert, sondern hat mit Abstand die meisten Menschen aufgenommen. Auch darauf hat Frau Ministerin soeben hingewiesen. Sie hat aber auch darauf hingewiesen, dass es in den letzten Wochen deutlich weniger geworden sind.

Aber bei den Bemühungen der Bundesregierung geht es derzeit nicht darum, Aufenthaltserleichterungen vorzunehmen. Vielmehr geht es darum, dass ein ordnungsgemäßes und faires Asylverfahren stattfindet, an dessen Ende eine Aufnahme in die EU, aber auch eine Ablehnung und Rückführung stehen kann - je nach Ergebnis dieses Verfahrens.

Auf den einen oder anderen Aspekt will ich etwas ausführlicher eingehen. Ich glaube, wir sind uns alle darin einig, dass es sich bei der Aktion von Lukaschenko um eine verbrecherische Aktion handelt. Man kann aber sehr deutlich Folgendes sehen: Wenn die EU am Ende geeint handelt und Sanktionen durchdrückt, dann kann das erfolgreich sein. Das hat sich in dem Fall gezeigt. Wenn wirtschaftliche Sanktionen punktgenau vorgenommen werden, dann kann man auch jemanden wie Lukaschenko in die Knie zwingen. Am Ende hat er nichts erreicht. Er hat nicht die Aufhebung der Sanktionen erreicht und er hat keine internationale Anerkennung erreicht. Beides wollte er.

Ich glaube, das ist ein positives Beispiel dafür, dass die EU, wenn sie einheitlich und entschlossen handelt, gegen Schlepper, gegen Fluggesellschaften, die damit Geschäfte machen, gegen Organisationen, die teilweise auch in den Heimatländern der Migrantinnen und Migranten aktiv waren, dann damit auch Erfolg erzielen kann. Über die Rückflüge in den Irak, nach Jordanien und in die Türkei ist an dieser Stelle schon berichtet worden.

Nächster Punkt. Das ist ein Appell an die polnischen Partner in der EU. Dem Unrecht von Diktatoren wie Lukaschenko müssen wir mit der Stärke des Rechts begegnen. Deswegen ist es so wichtig, dass in Polen an der Grenze auch das europäische Recht gewahrt wird. An dieser Stelle gebe ich Ihnen, Frau Kollegin Quade, recht. Es hat natürlich Verstöße an der polnisch-weißrussischen Grenze gegeben. Die polnischen Behörden sind nicht immer rechtskonform vorgegangen. Das ist ohne Frage der Fall gewesen. Deswegen ist es auch wichtig, dass wir innerhalb der Europäischen Union nicht darum herumreden, sondern es klar und deutlich gegenüber den polnischen Partnern zur Geltung bringen.

Schließlich geht es darum, dass auch für die Zukunft klar ist, dass ein so niederträchtiges Vorgehen wie das von Lukaschenko nicht nur mit Sanktionen belegt, sondern am Ende auch bestraft wird. Dabei hat das internationale Recht Lücken. Diese Lücken müssen wir schließen; denn so etwas darf sich in dieser Form nicht wiederholen, dass das Leid der Menschen ausgenutzt wird, um sie - ich sage ausdrücklich: in Anführungsstrichen - als Waffe einzusetzen, um in einer hybriden Auseinandersetzung aktiv zu werden.

Ich persönlich bin überzeugt davon, dass diese Aufgaben bei der neuen Bundesinnenministerin in guten Händen sind, und - an die Beteiligten der Ampelkoalition in Berlin gerichtet - ich glaube auch, dass sie bei unseren Vertreterinnen und Vertretern in den Fraktionen im Deutschen Bundestag in guten Händen sind, dass mit einem Antrag und Beschluss im Landtag von Sachsen-Anhalt aber weder den Menschen geholfen ist, noch dass es dabei hilft, europäisches Recht zu verändern. - Herzlichen Dank.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Herr Erben. Es gibt eine Frage der Abg. Frau Quade. Würden Sie sie beantworten?


Rüdiger Erben (SPD):

Ich beantworte sie, wenn ich sie beantworten kann.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Wenn sie denn gestellt worden ist. - Also, Frau Quade, bitte.


Henriette Quade (DIE LINKE):

Herr Kollege Erben, Sie sprachen jetzt immer in der Vergangenheitsform, was sich für Verbrechen und nicht ganze so rechtmäßige Dinge ereignet hätten. Ich will Sie darauf hinweisen, es findet aktuell genauso weiterhin statt. Die Menschen sind inhaftiert. Die Menschen sitzen in den Wäldern. Die Menschen werden von polnischen Grenzbehörden durch die Wälder gejagt. Das sind keine Sachen, bei denen die polnische Regierung einmal nicht so genau war mit dem Recht. Das sind systematische Rechtsverletzungen.

Ich will die Frage stellen, wenn Sie sagen - es stimmt schon  , man muss es auf EU-Ebene thematisieren, wie genau Sie es thematisieren wollen, ob ein Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission ein geeignetes Mittel wäre.

Ich will darauf hinweisen, dass wir sehr wohl die Möglichkeit haben, diesen Menschen zu helfen, z. B. indem wir sie von dort evakuieren.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Erben, bitte.


Rüdiger Erben (SPD):

Frau Kollegin Quade, ich bitte Sie darum, wenn Sie mich zitieren und wiedergeben, es korrekt zu tun. Von ganz so rechtmäßigen Dingen habe ich nicht gesprochen. Zu meinem Vokabular gehört „ganz so rechtmäßig“ definitiv nicht. Das habe ich nicht gesagt. Insofern bringen Sie das in einen etwas eigenartigen Zusammenhang.

Dass ich über vergangene Dinge gesprochen habe: Ich glaube, es ist unbestritten - ich habe es damit verglichen, als wir hier zuletzt die Debatte zu selbigem Thema geführt haben  , dass sich die Situation im polnisch-belarussischen Grenzgebiet verändert hat. Sie hat sich deutlich verändert. Sie hat sich natürlich auch dadurch entschärft, dass die Fluggesellschaften ihre - in Anführungsstrichen - vormaligen Fluggäste wieder zurück in die Heimatländer geflogen haben. Natürlich. Das sind doch Größenordnungen. Das kann man doch nicht wegwischen, dass es nicht stattgefunden hätte.

Es ist natürlich auch so, dass Deutschland - ich habe die Zahl nicht genau im Kopf  , ich glaube, mehr als 20 000 aufgenommen hat, die in Deutschland angekommen sind und hier auch entsprechende Asylanträge gestellt haben. Das gehört doch auch zur Situation dazu. Es gehört auch dazu, dass ganz offensichtlich keine weiteren Flüge mehr stattgefunden haben - so habe ich jedenfalls Frau Ministerin verstanden - oder fast keine solcher Flüge mehr stattgefunden haben. Allein quantitativ ist es natürlich eine Situation.

Ich gebe zu, dass ich viele Dinge auch nur aus den Medien kenne. Gleichzeitig besteht aber die Problematik, dass Medienvertreter bemängeln, dass man keinen Zugang in das Grenzgebiet habe, sodass man also auch nicht so richtig weiß, was ist. Ich weiß es auch nicht.

Das Vertragsverletzungsverfahren liegt, glaube ich, am Ende in der Verantwortung der Bundesregierung; denn sie müsste es beantragen. Ich glaube, in einer EU, in der 27 Partner beständig miteinander auskommen müssen, ist das Vertragsverletzungsverfahren als allererste Maßnahme nicht die richtige.

Ich bin kein EU-Diplomat, aber ich glaube, auch die Bundesregierung tut gut daran, zunächst die anderen Dinge auszureizen, bevor man das Vertragsverletzungsverfahren einleitet, weil es erst einmal auch nur ein Verfahren ist und damit niemandem, der dort an der Grenze gestrandet ist, in irgendeiner Weise geholfen ist. Es wird zu gegebener Zeit entschieden werden müssen.