Olaf Meister (GRÜNE):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die aktuell stark steigenden Energiepreise bleiben eine Herausforderung für Private wie für die Wirtschaft. Möglichkeiten der Entspannung oder Glättung der Preiskurve sind willkommen. Der vorliegende Antrag ist allerdings in zwei Punkten blauäugig.

Der eine Punkt betrifft dabei die erhoffte Auswirkung von Nord Stream 2 auf die Energiepreise. Diese Annahme der Antragsteller wäre dann sinnvoll, wenn wir eine Knappheit bei den Transportkapazitäten hätten, also: Russland will ganz viel liefern und wir möchten ganz viel haben, aber es passt partout nicht durch die Leitung, weil sie zu eng ist. Dann steigen die Preise in Europa. Dann wäre der Antrag sinnvoll. - Aber das ist nicht der Fall.

Die Auslastung der ukrainischen Leitungen liegt bei weniger als 30 %. Wenn die Lieferung erheblich größerer Mengen von beiden Seiten gewünscht würde, dann wäre das technisch kein Problem. Tatsächlich liefert Russland entsprechend seiner vertraglichen Verpflichtungen. Dazu haben wir gestern eine sehr interessante Diskussion geführt. Die vertraglichen Verpflichtungen werden eingehalten.

Das, was Russland im Moment aber nicht macht, ist, seine Speicher in Deutschland aufzufüllen. Die Füllmenge der Gazprom-Speicher liegt bei 17 % - im Winter. Das ist bei dem milden Winter, den wir hatten, tatsächlich bedenklich. Ende 2021   deswegen kam die Diskussion auf   ist Gas von Deutschland nach Polen geliefert worden, der Gasfluss ist also umgekehrt worden. Man kann sich fragen, warum das im Winter der Fall ist. Denken Sie mal darüber nach.

Da die Transportkapazität aktuell kein limitierender Faktor ist, wird sich ihre deutliche Ausweitung strukturell nicht auf die Preise auswirken.

(Zustimmung)

Eine kurzfristige Marktreaktion auf eine solche Entscheidung wird man natürlich sehen, darauf spekulieren Sie ein wenig. Die Hoffnung auf eine wunderbare Energiepreiszukunft, wie sie der Antrag letztlich suggerieren will, wird naturgemäß ausbleiben, weil sich der Preis marktwirtschaftlich nach anderen Kriterien bildet. Die Pipeline Nord Stream 2 mag im ökonomischen und strategischen Interesse Gazproms und Russlands liegen, einen Leitungsengpass beseitigt sie nicht.

Der zweite Punkt, den der Antrag aufmacht, hat mich etwas überrascht. Der Antrag mahnt die friedenspolitischen Auswirkungen an, aber gerade das war die Kritik an Nord Stream 2. Der Bau wurde von sämtlichen europäischen Partnern mit Ausnahme von Österreich zum Teil auf das Schärfste kritisiert. Die Bundesrepublik war weitgehend isoliert. Wieso? - Ein Blick auf die Landkarte zeigt problemlos die sich konkret nun einstellende Situation: Russland wird zukünftig in der Lage sein, seinen missliebigen Nachbarn den Hahn abzudrehen, ohne zeitgleich auch die Belieferung des westeuropäischen Goldesels einstellen zu müssen.

Die bisherige strukturelle gegenseitige Abhängigkeit von Russland einerseits und Polen und der Ukraine andererseits war ein Band, das diese Länder wohl oder übel miteinander verband. Wir haben gestern die Diskussion geführt. Ich glaube, Herr Lizureck war es, der sagte: Wenn ein Staat ein Interesse am Wohlergehen eines anderen Staates hat, dann ist das die Voraussetzung für Frieden. Das ist der Punkt. Dieses extrem fragile Verhältnis   es stehen gerade riesige Truppenkontingente an der Grenze   mit einem geradezu begeisterten Schnitt durch das verbindende Band ins Wanken zu bringen, ist überhaupt keine gute Idee.

(Zustimmung)

Wenn das schiefgeht, eskaliert, dann steht der Nutzen in keinem sinnvollen Verhältnis zu dem drohenden Schaden, auch für uns. Deshalb reden unsere europäischen Partner aus allen Himmelsrichtungen seit Jahren auf uns ein wie auf einen lahmen Gaul, und zwar nicht weil man irgendwie gegen die deutsche Gasversorgung wäre oder Russland am Zeug flicken will, sondern aus Angst vor den Konsequenzen.

Mit der Inbetriebnahme von Nord Stream 1 ging die Auslastung der ukrainischen Pipeline deutlich zurück. Mit der Inbetriebnahme von Nord Stream 2 wird sie faktisch überflüssig sein und vermutlich in kurzer Zeit als Transportweg nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Konsequenzen für die Balance in Osteuropa scheinen mir ernst. Auch wenn Herr Thomas die Qualitäten der Außenministerin hervorgehoben hat - die Krise bleibt.

(Lachen und Zustimmung)

Die Entscheidungen der Vergangenheit sind nun allerdings so gefallen, wie sie sind. Fakten sind geschaffen worden, die Pipeline ist fertig. Derzeit ist das Projekt daher Gegenstand eines rechtlich zu beurteilenden Genehmigungsverfahrens. Es gibt derzeit die entsprechenden Forderungen und Maßnahmen, Entflechtung gesellschaftlicher Strukturen und dergleichen, an deren Ende eine Entscheidung der Bundesnetzagentur und der Europäischen Kommission stehen wird. Dass der Antrag des hiesigen Landtages dabei Einfluss findet, kann ich mir eher nicht vorstellen.

Sowohl Herr Willingmann als auch Herr Silbersack sind darauf eingegangen, dass politische Einflussnahmen total unsinnig sind. Welchen Sinn hat also dieser Antrag?

(Zustimmung)

Genau das wollt ihr machen: eine politische Einflussnahme. Aber ihr sagt gleichzeitig, das geht nicht. Ihr müsstet dann konsequenterweise sagen: Das dürfen die anderen jetzt aber auch. Aber dann seid ihr im kurzen Gras, genau da, wo ihr eigentlich nicht hinwollt.

Am Ende   das ist meine Vermutung, meine Prognose  wird Nord Stream 2 ans Netz gehen. Eine dauerhafte Entlastung der Energiepreise oder gar eine positive geopolitische Wirkung werden wir nicht erleben. Letzteres verkehrt sich eher ins Gegenteil.

Sollte es allerdings tatsächlich zu einem Angriff Russlands auf die Ukraine kommen, würde sich die Lage dramatisch verändern. Ich kann mir nicht vorstellen, wie bei den dann nötigen deutlichen zivilen Reaktionen Europas und auch der Bundesrepublik ein solches Projekt dann noch an den Start gehen soll. Dann droht tatsächlich das Ende als Milliardengrab und Investruine.

Ich hoffe   damit komme ich zum Ende  , dass die diplomatischen Bemühungen zum Erfolg führen, die Kriegsgefahr gebahnt wird und den Menschen dort, aber auch uns diese Schrecken erspart bleiben. Das, was in deutscher Hand liegt, um zu einer friedlichen Lösung zu kommen, gilt es zu nutzen.

(Zustimmung)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Meister, vielen Dank für Ihre Rede. Es gibt eine Frage von dem Abg. Herrn Roi. Wollen Sie sie beantworten? - Sie wollen sie erst einmal hören. Gut. - Herr Roi, bitte.


Daniel Roi (AfD):

Vielen Dank.- Wir haben hier gestern einen kleinen Disput in der rot-grünen Familie live erleben können. Dabei ging es um die Gaspreisentwicklung und die Energiekosten. Heute sprechen wir über Nord Stream 2. Ihr Kollege Striegel äußerte gestern, dass Russland die Gaslieferungen erheblich gedrosselt habe. Jetzt frage ich Sie: Sehen Sie das auch so? Welche Quelle hat Ihre Fraktion dafür. Mich interessiert wirklich, woher Sie Ihre Informationen beziehen.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Meister, bitte.


Olaf Meister (GRÜNE):

Ich bin darauf eingegangen,

(Zustimmung)

weil die Diskussion tatsächlich gestern stattfand. Russland erfüllt seine vertraglichen Verpflichtungen.

(Zuruf: Das hatte er aber in Abrede gestellt!)

  Nein, das hat er nicht in Abrede gestellt.

(Zuruf: Doch!)

  Nein, das ist nämlich nicht identisch mit der Menge, die sie liefern. Gazprom hat in Deutschland seine Reservoirs, seine Bevorratungssysteme; diese haben wir denen vor einer Weile verkauft.

(Zuruf: Ja, schon klar!)

Die haben im Moment eine Füllmenge von 17 %.

(Zuruf: Ja, und?)

- Halten Sie das für ausreichend? - Wir haben gestern gehört, wie hoch die Füllmengen der Speicher sind, die nicht Gazprom gehören; die liegen bei etwa 50 %. Die interessante Frage ist: Wie kommt es denn, dass Gazprom da so wenig drin hat? Es würde doch Sinn machen, die Speicher zu befüllen.

Wir hatten Ende Dezember - das war diese Pressemeldung, auf die gestern Bezug genommen wurde   die Situation, dass die Lieferungen tatsächlich stoppten und das Gegenteil eintrat, also dass von Deutschland über die Pipeline Gas nach Polen geliefert wurde.

(Zustimmung)

Das kann man schwer als Lieferung an uns werten, wenn wir Gas nach Polen liefern. Das war aber die Situation. Darauf nimmt er Bezug. Ich meine, es steht durchaus in einem Gesamtzusammenhang, dass es gerade jetzt eine solche Situation gibt. Das hatten wir vorher nicht.

(Zustimmung)


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Vielen Dank, Herr Meister. - Herr Roi, wollen Sie eine Nachfrage stellen?

(Daniel Roi, AfD: Ja, genau!)

- Aber eine kurze.


Daniel Roi (AfD):

Vielen Dank für die Antwort, Herr Meister. Die Frage ist letztendlich, ob die Russen   das ist das, was Herr Striegel gestern suggeriert hat   die Verträge erfüllen oder nicht. Er suggerierte, dass die Verträge nicht erfüllt werden. Deswegen die Nachfrage: Erfüllen sie die Verträge oder nicht? Denn das ist doch das Entscheidende, wenn es um Energiesicherheit geht.


Vizepräsidentin Anne-Marie Keding:

Herr Roi, jetzt muss ich Folgendes sagen: Es ist in der Rede von Herrn Meister gesagt worden, dass die Verträge erfüllt werden. Er hat es jetzt noch einmal bestätigt. Wenn Sie dazu jetzt noch einmal eine Nachfrage stellen, dann strapazieren Sie, wie ich finde, die Geduld des Plenums etwas.

(Zustimmung - Zuruf)

Mehr, als es noch einmal zu sagen, geht doch nicht. Also belassen wir es dabei. - Jetzt folgt Herr Thomas als letzter Redner in dieser Debatte.